Der Absturz des ST Kraiberg
„Müssen alles tun, damit es hier weitergeht“

12.08.2022 | Stand 22.09.2023, 6:54 Uhr

Gaimersheim – Ein Jahrzehnt lang war das Sport-Team Kraiberg eines der Aushängeschilder im Fußballkreis Donau/Isar. Solange, bis man nicht mehr bereit war, Geld in teure Spieler zu investieren. Dieser Kurswechsel manövrierte den Verein nach und nach ins sportliche Abseits. Kurz vor dem 50. Vereinsjubiläum steht man dank des Engagements eines engagierten Duos an einem Neuanfang.

Mit dem Aufstieg in die Kreisliga im Jahr 2006 erreichte die Entwicklung des als Stammtisch- und Freizeitklub gegründeten Vereins seinen vorläufigen Höhepunkt. Längst war es zu diesem Zeitpunkt ein offenes Geheimnis, dass (auch) in Kraiberg „Geld Tore schießt“. Robert Plei, seit 2019 Vorstand an der Römerstraße in Gaimersheim, und Denis Kitschaty, der mit dem Erreichen der Kreisligazugehörigkeit zum ST wechselte und seit vier Jahren das Amt des Fußball-Abteilungsleiters innehat, erinnern sich noch gut an diese Zeit: „Es war nicht das gesamte Team, das hiervon profitierte, sondern nur Einzelne.“ Dass dort, wo nach der Spielersitzung Kuverts mit Banknoten den Besitzer wechseln, nicht nur „Söldner“ angelockt, sondern insbesondere auch Eigengewächse und der gesamte Nachwuchs vernachlässigt und vergrault werden, ist wahrlich kein Einzelfall und wurde – wie anderswo – in Kraiberg völlig unterschätzt: „Die Folgen sind bis heute spürbar. Uns fehlt eine ganze Generation an Spielern und Mitgliedern“, erklärt Plei.

Ab 2010 hieß die prägende sportliche Persönlichkeit beim Kreisligisten Denis Dinulovic. Der Torjäger wechselte als Spielertrainer vom Landesligisten FC Pipinsried nach Gaimersheim und betreute die Gelb-Schwarzen fünfeinhalb Jahre. 125 Tore in 120 Spielen für das ST erzielte er und wurde dabei dreimal Torschützenkönig der Kreisliga, „Ich habe die Entwicklung in Kraiberg schon aus der Ferne interessiert beobachtet. Horst Lang (der damalige Vereinschef, Anm. d. Red.) hat mich damals dann angesprochen. Da ich gerade zum ersten Mal Vater geworden war und nicht mehr so weit fahren wollte, hab ich das Angebot gerne angenommen“, erinnert er sich. In der Saison 2011/2012 klopfte man mit dem Torgaranten Dinulovic als Tabellenzweiter gar an das Tor der Bezirksliga, musste sich aber ausgerechnet in jenem Jahr den Regularien des Bayerischen Fußballverbandes (BFV) unterordnen. Aufgrund der Abschaffung der Bezirksoberliga konnte einmalig nur der Kreisliga-Meister aufsteigen.

„Denis missfiel von Anfang an das System, dass nur einzelne Spieler finanziell unterstützt wurden. Da nicht Leistung oder Trainingsbeteiligung honoriert wurden, sondern der Name, gab es verständlicherweise Neid und Missgunst“, erzählt Abteilungsboss Kitschaty. Auf Drängen des Spielertrainers wurde ein Prämiensystem vereinbart, das den gesamten Kader berücksichtigte. Damit war für Spieler, die vor allem nach Kraiberg wechselten, um „beide Hände aufzuhalten“, die goldene Zeit vorbei. Ein erster Bruch wurde spürbar: „Wir hatten wirklich eine Riesen-Zeit in Kraiberg, alle haben mitgezogen. Aber nach und nach hat das Geld viel kaputt gemacht – und andere Vereine haben den Spielern eben auch sehr attraktive Angebote gemacht“, erzählt Dinulovic, der seit einigen Jahren beim Kreisklassisten SV Denkendorf als Trainer arbeitet.

Der zweite Bruch dann kurz vor der Winterpause 2015/16. Nachdem die Mannschaft nach mäßiger sportlicher Leistung auf dem drittletzten Platz rangierte, entschloss sich die Vereinsführung, Dinulovic („Das hat schon wehgetan“) freizustellen: „Ein Fehler“, wie man heute einräumt. Das Sport-Team landete zum Saisonende auf dem Relegationsplatz, gewann gegen den SV Kasing und verlor – trotz Spielern wie Mario und Dalibor Peric – gegen den TSV Hohenwart und kickte fortan in der Kreisklasse.

So hätte es bleiben können, hätte da nicht die Corona-Pandemie arg dazwischen gegrätscht. Zum Abschluss der „Viren-Saison“ 2019/20 rangierte das ST Kraiberg auf dem 12. Tabellenrang, der gerade noch so eben für den Klassenerhalt reichte. Da jedoch in dieser Phase zwölf Spieler den Verein verließen, die zweite Mannschaft eher „just for fun“ gegen das runde Leder trat und der Verein seit längerem keine Jugendmannschaft im Spielbetrieb hat, war man zum Handeln gezwungen: „Was wir dann erlebt haben, ist eigentlich unglaublich. Wir haben bei rund 40 Spielern angefragt, ob sie sich uns anschließen möchten. Die Reaktionen waren stets die gleichen: Was verdient man? Wie viel krieg ich? Meine Unterschrift kostet euch 500 Euro, und so weiter“, verrät der 37-jährige Abteilungsleiter.

Da der Verein unter der Leitung von Plei und Kitschaty nicht mehr bereit – und wohl auch nicht mehr in der Lage – ist, finanzielle Drahtseilakte zu wagen, war Plan B, mit der zweiten Mannschaft freiwillig in die A-Klasse zu wechseln. Diesem Ansinnen machten jedoch die Statuten des BFV einen Strich durch die Rechnung. Nachdem der Antrag ein paar Tage zu spät beim Spielleiter einging, blieben zwei Möglichkeiten: Den Spielbetrieb komplett einstellen oder mit dem verbliebenen Team einen absoluten Neuanfang ganz unten zu wagen. „Wir entschieden uns für die C-Klasse und ich muss im Nachhinein sagen, dass dies die absolut richtige Entscheidung war – ja, sogar eine Art Befreiung“, erklärt Kitschaty.

Die Premierensaison schloss die neuformierte Elf auf Rang acht ab. Für die neue Saison haben sich die Gelb-Schwarzen viel vorgenommen. Durch die Verpflichtung von Neu-Trainer Yasin Sinoglu, der von seinem bisherigen Verein MTV Ingolstadt neun Spieler mitbrachte, heißt das erklärte Ziel „Aufstieg in die B-Klasse.“ Die Talsohle scheint durchschritten.

Es sind Plei und Kitschaty, die fest entschlossen sind, das Sport-Team Kraiberg am Leben zu halten. Dazu gehört es auch, dass die beiden gemeinsam als Platzwarte und Vereinswirte agieren. Das Duo setzt zudem neue soziale Akzente in der Vereinsarbeit. Die Integration von Menschen mit Fluchthintergrund durch Sport ist einer davon. Zudem soll die Jugendarbeit wiederbelebt werden. Die räumliche Nähe zum TSV Gaimersheim erweist sich hier allerdings nicht als vorteilhaft. Ein vielversprechender Versuch, den – wer sonst – Vereinschef Plei vor einigen Jahren initiierte, scheiterte letztendlich an der Bereitschaft mancher Eltern, ihre Kinder zu Auswärtsspielen zu begleiten. Wenn nach den Sommerferien wieder der Unterricht beginnt, sollen Werbeflyer an den umliegenden Schulen verteilt werden, um die Jugendlichen zum Fußballspielen zu animieren. Qualifiziert unter die Arme greifen wird dem ST hier Denis Dinulovic („Der Verein ist mir einfach ans Herz gewachsen“), der mit seiner Fußballschule eng mit dem Verein kooperiert.

Schließlich steht im Mai kommenden Jahres das 50-jährige Bestehen des ST an. Die Planungen laufen, Details werden aber noch nicht verraten. Gerne würde man zu diesem Anlass auf dem Vereinsgelände einen „Hochkaräter“ präsentieren.

Plei und Kitschaty sind sich einig: „Wir müssen alles tun, damit es hier weitergeht!“

pku