Verantwortung abgegeben:
„Im Stadion wird man mich nicht sehen“ – Ex VfB-Trainer Markus Mattes fiebert künftig vor dem Livestream mit

13.05.2023 | Stand 16.09.2023, 22:12 Uhr

Markus Mattes wechselt sich selbst aus: Mitten im Abstiegskampf zieht der Chefcoach nicht unumstritten die Reißleine. Foto: Traub

Die Ära von Markus Mattes beim VfB Eichstätt ist beendet. Drei Spieltage vor dem Saisonende hatte er Anfang der Woche aus freien Stücken sein Amt zur Verfügung gestellt. Wir haben uns mit dem 47-jährigen A-Lizenz-Inhaber über Kritik, die schönsten Momente und seine Wunsch-Elf unterhalten.

Herr Mattes, Ihre Entscheidung zum Rücktritt wurde vor allem in den sozialen Medien wohlwollend respektiert. Es gab aber auch vereinzelt Kritik. Wie gehen Sie damit um?
Markus Mattes: Grundsätzlich hat jeder Mensch ein Recht auf freie Meinungsäußerung. Und wenn einer meint, dass ein Trainer warten muss, bis er entlassen wird, weil er den Schritt nicht selber gehen kann, dann steht ihm das zu. Aber man muss die Meinung nicht teilen.

Kann man Ihnen vorwerfen, dass Sie als Kapitän das sinkende Schiff zuerst verlassen haben?
Mattes: Heutzutage muss man bei allem, was man tut, immer mit negativen Reaktionen rechnen. Schlussendlich musste ich eine Entscheidung treffen – und zwar eine brutal schwere. Ich hatte jetzt nicht das Gefühl, die Mannschaft im Stich zu lassen. Denn für mich war und ist es die letzte Möglichkeit, das Ganze irgendwie noch zu retten, weil ich es in den vergangenen vier Spielen trotz verschiedener Ansätze nicht geschafft habe, die offenbar bestehenden Blockaden zu lösen. Am Ziel Klassenerhalt hat sich dadurch nichts geändert.

Hatten Sie früher schon mal mit Rücktrittsgedanken gespielt?
Mattes: Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass die Phase im Herbst vergangenen Jahres überhaupt nicht einfach war. Und wenn der Erfolg ausbleibt, hinterfragt man sich als Trainer natürlich auch immer selbst.

Kann so eine schmerzhafte Erfahrung eine hilfreiche Leitplanke für den weiteren Weg sein?
Mattes: Diese Entscheidung habe ich nicht für mich getroffen. Denn Trainer treffen immer Entscheidungen im Sinne und zum Wohle der Mannschaft – und nicht für das eigene Ego. Aber klar ist das jetzt für mich eine neue und ungewohnte Situation, die einen vielleicht in der weiteren Entwicklung weiterbringt.

Bei vier Direktabsteigern und zwei Releganten war es von Anfang an klar, dass es ein sehr harter Kampf um den Klassenerhalt werden wird. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass der VfB so weit hinten drinhängt?
Mattes: Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle. Weh getan haben uns auf jeden Fall die vielen Englischen Wochen im Spätsommer. Sonst hatten wir den Pokalwettbewerb immer frühzeitig beendet, dieses Mal kamen wir bis ins Viertelfinale, wo wir dem Drittligisten FC Ingolstadt 04 erst im Elfmeterschießen unterlagen. Diese Zusatzbelastung war nicht förderlich.

Spielt Glück auch eine Rolle?
Mattes: Ja, zum Beispiel beim Spielplan. Normalerweise hätten wir gegen den TSV Aubstadt vor dem Winter gespielt. Wir waren gut drauf und sie nicht. Dann ist die Partie abgesagt worden und zum Zeitpunkt des Nachholspiels waren die Aubstädter wieder sehr stabil. Ähnlich war es mit Schweinfurt und Buchbach. Beide Mannschaften zeigten das ganze Jahr über nicht wirklich gute Leistungen, aber in den Partien gegen uns hatten sie dann ihre gute Phase. Hätten wir jetzt drei, vier Punkte mehr, dann wäre die Ausgangsituation eine ganze andere.

Als Außenstehender hat man das Gefühl, dass es sehr viele Arbeiter, aber nur wenige Anführer im Team gibt.
Mattes: Dieser Fakt ist nicht von der Hand zu weisen. Klar haben wir den einen oder anderen, der vorangeht. Aber wir haben keinen Benni Schmidramsl mehr in der Mannschaft.

Wenn Sie das Rad der Zeit der vergangenen achteinhalb Jahre zurückdrehen könnten, welchen Moment möchten Sie noch einmal erleben.
Mattes: Es ist wirklich schwer, sich nur auf einen Augenblick zu beschränken, weil total viel passiert ist. Aber der Schlusspfiff in Neumarkt – verbunden mit dem Regionalliga-Aufstieg – wird ewig in Erinnerung bleiben. Man muss nämlich auch sagen, dass viele ihr Leben lang Fußball spielen und nie Meister werden. Und wir hatten es in der Bayernliga geschafft. Das war wirklich außergewöhnlich und da ist eine große Last abgefallen.

Sie standen in exakt 250 Punktspielen sowie unzähligen Freundschafts- und Pokalspielen an der Seitenlinie. Welche Partie würden Sie gerne noch einmal coachen – um es einerseits besser zu machen oder andererseits um noch einmal den Erfolg zu genießen?
Mattes: Ein absoluter Höhepunkt war das Auswärtsspiel im ausverkauften Grünwalder Stadion. So etwas erleben zu dürfen, wird für immer bleiben. Hier hatten wir uns alle natürlich ein anderes Ergebnis erhofft, letztendlich sind wir mit 0:5 unter die Räder gekommen. Dagegen haben wir an gleicher Stelle einen unserer größten Siege gefeiert, als wir als Tabellenzweiter den Spitzenreiter FC Bayern München II mit 3:0 düpiert haben. Das war der Wahnsinn und eine eigentlich nie für möglich gehaltene Konstellation.

Hinter dem Trainerdasein steckt eine große Portion Ungerechtigkeit. Immerhin muss man vieles opfern: Familie, Freizeit etc.
Mattes: Diese Aussage stimmt zu 100 Prozent, denn so ein Job ist brutal kräftezehrend. Jetzt ist es für mich mal so etwas wie eine längere Sommerpause. Da mein Abschied ja schon vorher feststand, gab es bereits regelmäßig Angebote für ein neues Engagement. Aber es muss auch passen. Von daher lasse ich einfach auf mich zukommen, was die Zukunft so bringt. Man kann im Fußball nie etwas ausschließen, aber mein Plan ist derzeit ein anderer. In dieser Hinsicht hat sich in den vergangenen Tagen vieles im Kopf gedreht.

Wie werden Sie die restlichen VfB-Saisonspiele verfolgen?
Mattes: Im Stadion wird man mich nicht sehen. Aber es gibt ja die Möglichkeit, die Spiele über den Livestream im Internet zu verfolgen. Und da werde ich schon so neugierig sein und mal reinschauen. Denn ich kann auch an dieser Stelle nur noch einmal betonen: Ich habe diese Entscheidung bewusst getroffen mit der Hoffnung, dass es etwas Positives bewirkt. Als Fan drücke ich den Jungs weiterhin ganz fest die Daumen.

Ihre ehemaligen Spieler Teoman Akmestanli, Marcel Schelle oder Yomi Scintu hatten den VfB verlassen und wollten den nächsten Schritt im Profifußball gehen. Warum hat es bislang für den Durchbruch nicht geklappt?
Mattes: Wir hatten auch noch andere Akteure, die mit Sicherheit 3. Liga oder höher hätten spielen können. Aber Fußball ist viel Beziehungssache und man braucht ein großes Netzwerk – und man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Ich habe erst kürzlich gelesen, dass es von den Regionalliga-Spielern jährlich nur ein Prozent schafft. Das heißt, dass ungefähr nur vier Spielern den Sprung in den bezahlten Profifußball gelingt. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese dann aus dem Kader der Nachwuchsmannschaften entstammen, ist natürlich viel höher, als dass sie vom VfB Eichstätt sind.

Sie hatten beim VfB insgesamt 91 Spieler unter Ihren Fittichen. Wie würde die Wunschelf aussehen?
Mattes: Diese Frage aus dem Stegreif beantworten zu müssen, ist gemein. Denn da würde ich bestimmt einen unterschlagen. Aber ich würde mal sagen, dass das Team, mit dem wir in der Saison 2018/19 Bayerischer Amateurmeister wurden, meiner Traum-Elf schon sehr nahekommt.

Das Gespräch führte Norbert Dengler