Triathlon
Wettkampf gegen sich selbst gewonnen

Nicole Bretting

08.07.2022 | Stand 22.09.2023, 21:24 Uhr

Was für eine Freude: Nicole Bretting überglücklich beim Überqueren der Ziellinie. Foto: ENDUPix

Von Roland Kaufmann

Sulzano/Hohenwart –3,8 Kilometer Schwimmen, 175 Kilometer Radfahren, 39 Kilometer Laufen, wobei insgesamt 6400 Höhenmeter zurückzulegen sind: Selbst ein sportlich veranlagter Europäer findet für den „StoneBrixiaMan“ in den italienischen Alpen wohl nur ein Wort – nämlich „Quälerei“. Nicole Bretting hingegen bezeichnet ihn ganz nonchalant als „einen Wettkampf gegen sich selbst“. Einen, die sie nun gewann.

Unglaublich, wie gut Pommes Frites schmecken können. Genüsslich verspeiste Bretting gleich einen ganzen Teller davon. Exakt 16:30:53 Stunden war sie zuvor an ihre Grenzen gegangen – in einer Weise, wie es selbst die einstige Ironman-Weltmeisterin (W40) aus dem Jahr 2014 noch nie getan hatte. Und jetzt also, kurz nach dem Erreichen des Ziels auf 2600 Metern Meereshöhe, diese richtig schön fetten beziehungsweise salzigen Leckereien: Die 50-Jährige wirkte in diesem Moment rundum glücklich.

Aber auch komplett geschafft. „Das war das mit Abstand Härteste, was ich in meiner bisherigen Karriere gemacht habe“, gibt die Ausdauersportlerin aus Hohenwart unumwunden zu. Also härter als all die unzähligen Ironmen, die sie bereits absolviert hatte. Und härter als der „Austria eXtreme Triathlon“, der ihr 2021 alles abforderte. Dabei war Bretting nach diesem ausgegangen, dass es nicht mehr anstrengender werden könne.

Komplett ungewohntes Schwimmen in der Dunkelheit

Wobei sie schon damals den „StoneBrixiaMan“ auf dem Schirm hatte. Diese schier unglaubliche Herausforderung in der italienischen Provinz Brescia – vom Lago d’Iseo aus auf den Passo Paradiso – fehlte schlichtweg noch in ihrer Sammlung. Bis jetzt, bis Anfang Juli 2022.

Aber allein schon das Schwimmen.. . Auf direktem Weg wären es 3,8 Kilometer quer durch den Iseosee gewesen. Dumm nur für die heuer knapp 100 Teilnehmer, dass diese Strecke traditionell komplett im Dunklen zurückgelegt werden muss. Die Startzeit: 4 Uhr in aller Frühe – und damit unterwegs niemand verloren geht, bekommt jeder eine Art „aufgeblasenen Ball“ um die Hüfte und wird zudem mit einem „Blinklicht“ ausgestattet. „Wenigstens war dann heuer die Kälte kein Problem, das Wasser war angenehm warm“, vermeldet Bretting augenzwinkernd.

Wenn nur diese bislang ungekannte Dunkelheit nicht gewesen wäre... „Wenn man nichts sieht, wenn man sich nicht an irgendwelchen Bojen orientieren kann, hat man auch kein Gefühl mehr für die eigene Geschwindigkeit“, berichtet die 50-Jährige: „Man meint sogar sehr schnell, überhaupt nicht weiterzukommen – und fragt sich zudem, ob man noch auf dem richtigen Weg ist.“

Bretting war auf dem richtigen Weg, schwamm letztlich „nur“ um 198 Meter zu viel. Darüber wäre der Großteil aller Starter heilfroh gewesen. Einige von ihnen mussten zum Schluss sogar quer schwimmen, um an der offiziellen Wechselzone an Land anzukommen. Aber auch auf ihre Zeit durfte die Hohenwarterin mächtig stolz sein, bereits nach 1:24 Stunden kam sie wieder aus dem Wasser – als erste Frau überhaupt. „Super, das hätte ich niemals für möglich gehalten“, gibt die Ausdauersportlerin aus dem Altlandkreis Schrobenhausen gerne zu.

Dann rauf auf das Rennrad – und los ging’s durch das gesamte „Valle Camonica“, das Ganze mit einem insgesamt positiven Höhenunterschied von rund 4300 Metern. „Grundsätzlich habe ich es ja ganz gerne, wenn es bergauf geht“, sagt Bretting. Aber teilweise Steigungen von gleich 19 Prozent – das machte selbst ihr nicht wirklich Spaß. Über den Aprica-Pass und Edolo erreichte sie dann Mortirolo (1852 Meter über dem Meeresspiegel) – ehe nach einer steilen Abfahrt nach Monno sowie Ponte di Legno der Gavia-Pass bis auf 2621 Meter wartete. Und weil das ja immer noch nicht genug war, folgte zum krönenden Abschluss der gleiche Weg hinunter – bis auf den Marktplatz von Ponte di Legno.

Jeder Bergliebhaber würde bei diesem Trip mit der Zunge schnalzen, so schön ist es hier. Die meisten Starter dagegen bei diesem „StoneBrixiaMan“ 2022 verfluchten ihn regelrecht. Bretting ist vor allem das letzte Teilstück in schlechter Erinnerung geblieben: „Der Gavia-Pass war schlichtweg gruselig. Unter acht Prozent Steigung gab es bei ihm nichts, meistens war es sogar noch mehr. Außerdem war hier der Teer schlecht, die Strecke war eng – und es waren ausgesprochen viele Motorradfahrer unterwegs.“ Oder, ein bisschen anders ausgedrückt: „Ich war heilfroh, als ich wieder unten war und die Wechselzone hin zum Laufen erreicht hatte“, berichtet die Hohenwarterin.

Zu diesem Zeitpunkt wusste sie übrigens schon, dass ihr der Gesamtsieg in der Frauenwertung nicht mehr zu nehmen sein wird – vorausgesetzt, dass ihr auf den abschließenden 39 Kilometern nichts mehr passiert. Bretting vernahm’s allerdings nur am Rande. Wie bereits anfangs erwähnt: Sie sah den „StoneBrixiaMan“ stets als „Wettkampf gegen mich selbst“ an. Irgendwelche Platzierungen in diesem Zusammenhang? Fast schon egal.

„Das Resultat einer sensationellen Teamleistung“

Also weiter zur Laufstrecke, auf der die 50-Jährige sofort „Begleitschutz“ bekam – genau so, wie es für solche Wettbewerbsformate zwingend vorgeschrieben ist. Die beiden von ihr Auserwählten: Matthias Eichhorn aus Ilmried, der sie bereits 2021 beim „Austria eXtreme Triathlon“ unterstützt hatte, für die ersten 20 Kilometer – und Tobias Wagner aus Schwandorf für die restlichen 19. „Ohne sie sowie ohne meinen Ehemann Reinhard hätte ich es niemals geschafft, diesen Wettbewerb zu bewältigen“, sagt Bretting nun voller Dankbarkeit: „Diesen Triathlon habe ich nicht allein geschafft, das war vielmehr das Resultat einer sensationellen Teamleistung. Ich war immer bestens versorgt, bestens informiert – und durch ihre ruhige, besonnene Art waren die drei Männer auch in psychischer Hinsicht ausgesprochen wichtig für mich.“

Gerade bei der abschließenden Disziplin hatte die Ausdauersportlerin aus Hohenwart gute Worte dringend nötig – denn das Ganze glich phasenweise kaum noch einem echten Rennen, sondern hatte vielmehr den Anschein eines Spießrutenlaufs unter hochalpinen Bedingungen. „Immer wieder ging es extrem steile Geröllhänge nach oben, immer wieder folgten dann auch ausgesprochen schmale Pfade mit so manchen Hindernissen“, berichtet Bretting. Nach rund 17 Kilometern auf der Laufstrecke machte Bretting selbst ihre ganz persönlichen Negativerlebnisse damit, als sie über eine Baumwurzel stolperte. Das Knie blutete daraufhin, die rechte Hand schwoll schnell an – „aber trotzdem war ich extrem froh, dass nicht mehr passierte“. Also: Verband um die Wunde, und weiter ging es.

Dass das Ziel schließlich auf dem „Passo Paradiso“ lag – es wirkt fast schon lustig nach all den Anstrengungen zuvor. Die letzten Meter dorthin für Bretting: ein regelrechter Triumphmarsch. Zwar am Ende ihrer Kräfte, aber willensstark legte sie (mit Wagner als Motivator hinter ihr) auch die letzten Meter zurück – und nach ein paar Schritten auf einem blauen Teppich war’s schließlich so weit: hoch nach oben mit der Zielbanderole! Nach exakt 16:30:53 Stunden Leidenszeit. Nach unglaublichen Eindrücken sowie Emotionen in den italienischen Alpen.

Bretting lachte in diesem Moment einfach nur überglücklich – um sich anschließend, auf der Bergstation, die bereits erwähnten Pommes Frites zu gönnen. Als die zweitplatzierte Dame ins Ziel kam, war die Hohenwarterin übrigens schon mit der Seilbahn ins Tal unterwegs – schließlich hatte sie zum Schluss mehr als eine Stunde Vorsprung auf ihre hartnäckigste Verfolgerin.

Und was kommt jetzt, nach dem „StoneBrixiaMan“, als Nächstes in Sachen Extremwettbewerb? „Nichts“, antwortet Bretting spontan. In Tschechien würde es zwar schon noch etwas Ähnliches geben – „aber dort wird bei nur elf Grad Celsius Wassertemperatur geschwommen. Und das würde ich wohl nicht überleben“, verrät sie lachend.

Wenn überhaupt, dann könne sie sich noch einen Start beim „Norseman Xtreme Triathlon“ in Norwegen vorstellen. Er gilt definitiv als allerhärtester seiner Art. Also härter als der „StoneBrixiaMan“. Und erst recht als der „Austria eXtreme Triathlon“. Aber jetzt, im Moment, möchte Bretting nicht weiter daran denken. Ihr nächstes sportliches Ziel ist der Schliersee, wo am 17. Juli ein Triathlon auf der Olympischen Distanz ausgetragen wird. Und Ende September könne sie sich eventuell noch einen Start beim Triathlon in San Remo über die Mitteldistanz vorstellen. Aber nicht mehr für 2022. Also auch keine Teilnahme an der Duathlon-WM im schweizerischen Zofingen – „obwohl ich mit diesem Wettbewerb noch eine Rechnung offen habe“, wie die 50-Jährige schmunzelnd ergänzt.

Ironman auf Hawaii „mittlerweile Abzocke“

Vielleicht wird diese dann ja 2023 beglichen. Und einen zweiten Start beim Race Across America (RAAM), diesmal dann in einem Zweierteam, hat Bretting ebenfalls noch für irgendwann auf ihrem Wunschzettel stehen. „Nein, die Ideen gehen mir so schnell nicht aus“, verrät sie mit einem Augenzwinkern. Nur auf den Ironman auf Hawaii habe sie definitiv keine Lust mehr: „Ich war ja schon achtmal dabei. Und mittlerweile hat sich dieses Event zu einer regelrechten Abzocke entwickelt. Die Flüge und die Unterkunft dort würden für Reinhard und mich nun rund 15000 Euro kosten – wohl gemerkt ohne Essen. Davon könnte man sich schon mühelos ein kleines Auto kaufen.“

Beziehungsweise Unmengen von Pommes Frites. Oder Aperol Spritz. Letzerwähnten gönnte sich Bretting übrigens, nachdem sie vom „Passo Paradiso“ in Italien in ihr dortiges Hotelzimmer zurückkehrt war sowie dort eine ausgiebige Dusche genossen hatte. „Und anschließend flog ich einfach nur ins Bett“, verrät die Hohenwarterin lächelnd.

SZ