Damenfussball
Notfalls wird sogar mit Zehenbruch gekickt

Beobachtungen rund um den Punktrundenstart bei der SG Waidhofen/Mühlried/Hohenwart

13.09.2022 | Stand 22.09.2023, 5:43 Uhr

Das Team der SG Waidhofen/Mühlried/ Hohenwart vor dem ersten Punktspiel 2022/23: (stehend, v. l.) Elena Barth, Lina Tintenherr, Selina Lachnit, Annika Halbich, Anja Wagner, Trainer Erwin Kothmayr sowie (kniend, v. l.) Sabrina Kreis, Ramona Bäuerle, Annika Prell, Vanessa Lechner und Lisa Stimpel. Foto: M. Schalk

Von Roland Kaufmann

Waidhofen – Juli 2022: Fußball-Deutschland befand sich im Ausnahmezustand. Die schwart-rot-goldenen Elitekickerinnen „rockten“ damals die EM in England, begeisterten die Massen, stürmten sogar bis ins Finale vor. Bloß was ist von all dieser Euphorie geblieben? Hat die Basis im Allgemeinen, hat die SG Waidhofen/Mühlried/Hohenwart im Speziellen in irgendeiner Weise von den Erfolgen von Alexandra Popp und Co. jenseits des Ärmelkanals profitiert?

Es wird Herbst im Paartal. Das Thermometer zeigt an diesem Sonntagvormittag nur noch knapp 14 Grad Celsius an, am Himmel befinden sich dunkle Wolken. Egal, in der Kreisliga Augsburg geht’s trotzdem los mit der Punktejagd. SG Waidhofen/Mühlried/ Hohenwart gegen SG Rohrenfels/Oberhausen/Zell: So lautet die Ansetzung. Und alleine schon sie zeigt, dass in unserer Region nicht alles supergut in Sachen Damenfußball ist. Jeweils drei Vereine, die benötigt werden, um gemeinsam zumindest ein Team ins Rennen schicken zu können: Das spricht Bände.

Nur noch zwei Teams aus Altlandkreis übriggeblieben

„Früher hat’s hier im Altlandkreis Schrobenhausen noch deutlich mehr Klubs gegeben, die mit Frauenmannschaften in der offiziellen Punktrunde vertreten waren“, weiß Erwin Kothmayr. Er denkt dabei etwa an die DJK Sandizell, den TSV Weilach, den BC Aresing – und auch an Damenvertretungen des SV Steingriff oder des BSV Berg im Gau glaubt sich der aktuelle Vereinsboss des SV Waidhofen erinnern zu können. Ein Stück weit traurig wirkt er bei dieser Aufzählung – um nur einen Augenblick später ein „Aber jetzt ist’s halt, wie’s ist“ hinterherzuwerfen: „Es gibt eben in dieser Richtung momentan nur den FC Gerolsbach und unsere SG.“

Selbstverständlich würde er es toll finden, wenn sich daran wieder etwas ändern sollte. Kothmayr wäre zudem froh, wenn die eine oder andere Frau, die aktuell nur in einer Freizeitliga mitkickt, zu seiner SG ins Paartal kommen würde. „Bereits zwei, drei weitere Spielerinnen würden uns eminent gut tun“, berichtet er. Denn trotz ihres Zusammenschlusses von gleich drei Vereinen: Auch die Vertretung aus Waidhofen/Mühlried/ Hohenwart ist derzeit in Sachen Quantität nicht auf Rosen gebettet.

Ganz konkret, für das Auftaktspiel zur neuen Saison, bedeutet dies: Die Gastgeberinnen aus dem Paartal können lediglich zu zehnt antreten. „Drei unserer Mädels befinden sich noch im Urlaub, zwei sind noch verletzt, eine ist krank“, rechnet Kothmayr vor. Und er tut dies übrigens nicht nur als Vorsitzender des SV Waidhofen, sondern auch als Cheftrainer des SG-Damenteams. „Irgendwann war das so aus der Not geboren gewesen“, erinnert sich der 54-Jährige: „Aber mittlerweile habe ich einen Riesenspaß an dieser tollen Aufgabe.“

Und dann geht’s für ihn beziehungsweise seine „Mädels“ hinein in die Partie. Zwar von Anfang an in Unterzahl, aber dafür mit einer Riesenleidenschaft. Selbst ein vor Kurzem erlittener Zehenbruch: kein Problem. Zumindest nicht für Annika Halbich, die Angreiferin steht trotzdem auf dem Platz. Als sei nichts gewesen.

Zuschauer an diesem Sonntagvormittag auf dem Waidhofener Sportgelände: vielleicht ein Dutzend, höchstens 20. „Sonst sind auch noch einige Spieler aus unserer Herrenmannschaft da. Weshalb jetzt nicht, kann ich nicht sagen“, so Kothmayr ein Stück weit verwundert. Wobei alle diejenigen, die daheimgeblieben sind, sehr bald etwas verpassen – denn bereits in der siebten Minute erzielt Lisa Stimpel mit einem technisch anspruchsvollen Heber das 1:0 für die Gastgeberinnen. Was für ein Start. Beziehungsweise was für eine Freude.

Wahre Glücksgefühle bei eigenem Tor

Gerade der Coach selbst jubelt fast schon euphorisch. „Ansonsten probiere ich, möglichst ruhig und sachlich an der Seitenlinie zu stehen. Aber wenn wir ein Tor schießen, kann ich mich tatsächlich kaum zurückhalten“, gibt der 54-Jährige zu: „Für mich ist es in diesem Moment ein tolleres Gefühl, als wenn ich das Tor selbst erzielt hätte.“

Schade nur aus Sicht der Paartalerinnen, dass es nicht bei ihrer Führung bleibt. Barbara Wolf (18./29.) sowie Alea Röger (31.) wenden stattdessen schnell das Blatt zugunsten der SG Rohrenfels/Oberhausen/ Zell. „Diese Beiden im Zentrum sind schon verdammt stark“, sagt Kothmayr anerkennend. Ein echtes Rezept dagegen: an diesem Vormittag absolute Fehlanzeige aus Sicht der Gastgeberinnen. Aber dafür haben sie ja ihre Lisa Stimpel, und diese sorgt mit ihrem Treffer zum 2:3 kurz vor dem Pausenpfiff doch wieder für Hoffnung.

„Bereits seit meinem dritten Lebensjahr spiele ich Fußball“, verrät die inzwischen 26-Jährige. Was ihr auch deutlich anzumerken ist. Egal, ob in Sachen Schusstechnik, Spielverständnis, Laufbereitschaft oder Kampfgeist – Lisa Stimpel weiß in der Tat überall zu überzeugen. Weshalb sie noch nie den Sprung in eine höhere Liga gewagt hat? „Weil mir der Teamgeist einfach wichtiger ist als die Spielklasse“, so die Aushilfskapitänin vom Sonntag wie aus der Pistole geschossen: „Wir sind hier eine tolle Clique, obwohl wir innerhalb des Kaders einen krassen Altersunterschied aufweisen. Oder vielleicht genau deshalb? Auf jeden Fall wird es für mich ‚immer Waidhofen’ heißen, woanders kicken geht gar nicht.“

Der „krasse Altersunterschied“ – das bedeutet, dass sie im Paartal Kickerinnen im Alter von 16 bis zu 30 Jahren besitzen. „Und alle weisen eine gute spielerische Qualität auf“, ergänzt Kothmayr: „Was uns dagegen fehlt, ist Quantität.“ Als Indiz für einen schleichenden Tod des Damenfußballs im Altlandkreis Schrobenhausen möchte er das allerdings nicht sehen. „Gerade wir tun alles dafür, dass es nicht so weit kommt“, betont der 54-Jährige. So sei nun im B- und C-Juniorinnenbereich die eigene Spielgemeinschaft mit dem FC Tegernbach erweitert worden, um noch mehr weibliche Talente entwickeln zu können. „Davon verspreche ich mir für die Zukunft eine ganze Menge“, verrät Kothmayr.

Nichts wird es mit der erhofften Aufholjagd

Zurück ins sonntägige Auftaktmatch: Eine eigene Aufholjagd nach dem 2:3-Rückstand zur Halbzeitpause, so lautet der Plan der Gastgeberinnen für den zweiten Durchgang. Das Dumme ist nur, dass die Frauen der SG Rohrenfels/Oberhausen/Zell dabei nicht mitspielen. Vor allem erneut Wolf (72./79.) und Röger (52.) nicht, die auch nach dem Seitenwechsel zusammen wieder dreimal einnetzen. Hierzu kommt noch ein Treffer von ihrer Kapitänin Judith Lindner (60.) – und schon dürfen sich die Gäste über sieben eigene Streiche an diesem frühherbstlichen Vormittag freuen, verbunden mit dem zweiten Tabellenrang nach dem ersten Spieltag 2022/23.

Abdruck am Oberschenkel als Beleg für tollen Einsatz

Im Umkehrschluss muss die SG Waidhofen/Mühlried/Hohenwart nun zunächst mal mit dem vorletzten Platz im Klassement vorlieb nehmen. „Aber wir waren bei Weitem nicht so schwach, wie es das Ergebnis vielleicht vermuten lässt“, betont Kothmayr sofort: „Uns ging zum Ende hin nur leider die Kraft aus – was aber auch kein Wunder war, nachdem wir nur zu zehnt kicken konnten.“

Sein Blick geht bei diesen Worten immer wieder in Richtung seiner Spielerinnen. Etwa zu seiner erst 17 Jahre alten Torfrau Annika Prell, die zuvor alles gehalten hat, was zu halten war. Auf ihrem linken Oberschenkel ist sogar noch der Ballabdruck von einer sensationellen Rettungstat deutlich sichtbar, ihr Kopf hängt derweil enttäuscht nach unten – wobei Letzteres auch für viele ihrer Teamkameradinnen gilt. „Ja, unsere Mädels müssen nun erst mal wieder aufgerichtet werden“, weiß Kothmayr: „Aber ich bin mir sicher, dass wir das hinbekommen.“

Was ihm an seinen Fußballerinnen besonders gefällt: „Sie entwickeln immer wieder einen Ehrgeiz, der einfach nur sensationell ist – und den ich mir hin und wieder bei den Männern ebenfalls so wünschen würde.“ Genau jener würde auch ihn persönlich hundertprozentig mitziehen: „Wenn ich sehe, dass die Mädels so riesige Lust aufs Kicken haben, dann habe ich ebenfalls hundertprozentig Lust darauf.“ Dann ist’s ihm auch vollkommen egal, wenn sich dunkle Wolken am Himmel befinden und nur knapp 20 Zuschauer an der Seitenlinie stehen.

SZ