Umbruch in Eishockey-Deutschland?
Welche Folgen das neue Einbürgerungsgesetz für den ERC Ingolstadt haben könnte

02.02.2024 | Stand 02.02.2024, 15:18 Uhr

Bald Deutsch-Kanadier? Panther-Verteidiger Maury Edwards spielt seit mehr als zehn Jahren in Deutschland und könnte womöglich im Sommer den deutschen Pass erhalten. Foto: Traub

Über Fachkräftemangel klagt die deutsche Wirtschaft schon länger – und auch im Eishockey ist der Begriff bekannt. Die Zahl der guten deutschen Spieler ist trotz Fortschritten bei der Ausbildung chronisch knapp, also füllen vor allem die Profiklubs aus der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) und DEL2 ihre Kader mit – im Durchschnitt günstigeren – Ausländern auf.



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In der DEL gilt ein „Gentlemen’s Agreement“: Jeder Klub darf aktuell elf Lizenzen für Importspieler vergeben, von denen jeweils neun pro Partie eingesetzt werden können. Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts (siehe unten) könnte laut Charly Fliegauf allerdings „eine Änderung der Struktur im deutschen Eishockey“ bringen, wie der Sportdirektor der Grizzlys Wolfsburg in der Fachzeitschrift „Eishockey News“ prophezeit. Jürgen Arnold, Beiratschef des ERC Ingolstadt und Aufsichtsratschef der DEL, warnt hingegen vor „Aktionismus“.

Derzeit 31 eingebürgerte Profis in der DEL

Schon seit Jahrzehnten tummeln sich eingebürgerte Spieler − meist Nachfahren deutscher Auswanderer nach Nordamerika − im deutschen Eishockey. In der jüngeren Vergangenheit betrieben Klubs wie die Pinguins Bremerhaven oder Iserlohn Roosters rasche Einbürgerungen ihrer Profis in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden besonders intensiv, um auch mit begrenztem Budget das „Gentlemen’s Agreement“ einzuhalten. Dieses Vorgehen sorgt bei Fans und Konkurrenten immer wieder für Kritik.

Vom ERC kommen zwei Spieler in Frage

Die 14 DEL-Klubs beschäftigen 31 eingebürgerte Spieler, wie „Eishockey News“ gezählt hat. Auch beim ERC Ingolstadt stehen mit Devin Williams und Colton Jobke gebürtige Nordamerikaner unter Vertrag, die dank familiärer Wurzeln im Besitz eines deutschen Passes sind und daher das Ausländerkontingent nicht belasten. Mit dem neuen Gesetz könnten nun auch der Kanadier Maury Edwards (seit 2013 bei deutschen Klubs) und der US-Boy Wayne Simpson (seit 2019 beim ERC) Deutsche werden, ohne ihre bisherigen Staatsangehörigkeiten ablegen zu müssen. Insgesamt sind 15 ausländische Spieler fünf Jahre oder länger ununterbrochen in der DEL (weitere 40 Profis drei Jahre oder mehr) und könnten somit den deutschen Pass erhalten – sofern sie statt der immer noch verbreiteten Neun-Monats-Verträge ganzjährig bei ihren Klubs angestellt waren.

Panther-Sportdirektor Regan wagt keine Prognose

Droht dem deutschen Eishockey nun eine Einbürgerungswelle – zulasten deutscher Talente? Sinkende Gehälter, weil künftig mehr Deutsche um die Kaderplätze wetteifern? Tim Regan wagt noch keine Prognosen. „Wie sich das neue Einbürgerungsgesetz genau auswirken wird, ist aktuell schwer absehbar“, teilt der ERC-Sportdirektor auf Anfrage mit. Die Details seien unklar, die Liga prüfe sportliche und rechtliche Konsequenzen.

Auch Arnold hält Voraussagen für schwierig. Der Ingolstädter ist aber skeptisch, dass plötzlich viele Importspieler Deutsche werden wollen. „Diese Profis kommen meist erst mit Ende 20 nach Deutschland. Bis sie für eine Einbürgerung in Frage kommen, dauert es, sodass sie dann aufgrund ihres Alters in der Regel nicht mehr zu den begehrtesten Spielern gehören – zumindest aus DEL-Sicht“, erklärt er.

Fokus auf die Nationalmannschaft

Bei den Treffen der Liga-Gremien stehe das Thema auf der Tagesordnung, doch eine Änderung der Statuten ist für die kommende Saison nicht geplant. „Wir werden das genau beobachten und gegebenenfalls reagieren“, stellt der DEL-Aufsichtsratschef klar. Was laut Arnold nicht passieren darf: „dass die ,Lokomotive Nationalmannschaft’ geschwächt wird“. Es müsse weiterhin gewährleistet sein, dass deutsche Talente in der Liga Fuß fassen können. „Deswegen dürfen wir aus meiner Sicht auch nicht an der U23-Regel rütteln, durch die wir mehr Spieler gewinnen“, sagt er. Auch das ist ja eine Maßnahme gegen Fachkräftemangel.

Staatsangehörigkeitsrecht: Der Bundestag hat kürzlich eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts beschlossen, um im Ringen um internationale Fachkräfte attraktiver zu werden. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass künftig Einbürgerungen schon nach fünf statt wie bisher acht Jahren möglich sein sollen. Bei „besonderen Integrationsleistungen“ wie gesellschaftlichem Engagement soll die deutsche Staatsbürgerschaft sogar schon nach drei Jahren verliehen werden können. Zudem sollen Ausländer grundsätzlich ihre bisherige Staatsangehörigkeit behalten dürfen, sie hätten dann also zwei Pässe. Voraussetzung für die schnellere Einbürgerung sind jedoch unter anderem gute Deutschkenntnisse. Einbürgerungswillige müssen darüber hinaus nachweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Die Neuerung tritt voraussichtlich im April in Kraft.