Kinderbuchlesung beim Fem*Festival
Drag-Lesung in Ingolstadt: „Leute, ihr könnt anders sein!“

13.02.2024 | Stand 14.02.2024, 6:55 Uhr

Andere darin bestärken, dass sie so sein können, wie sie möchten: Das wollen Vicky Voyage (l.) und Erik BigCl!it mit ihrer Lesung „Wir lesen die Welt, wie sie euch gefällt“ beim Fem*Festival erreichen. Foto: Michelle Walter

„Am Ende erhoffe ich mir leuchtende Kinderaugen. Und dass wir die Menschen in ihrem Sein bestärken können“, sagt eine 35-jährige Kunstfigur, die der Eiskönigin aus einem bekannten Disney-Film sehr ähnlich sieht und am 4. März in der Fronte 79 gemeinsam mit einem Prinzen eine Kinderbuchlesung für Familien und Kinder ab 4 Jahren mit dem Titel „Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt“ veranstaltet.



Klingt das problematisch? Für einige Ingolstädterinnen und Ingolstädter sowie AfD-nahe Menschen ja. Für das Kulturamt Ingolstadt, das die Künstlerin und den Künstler zum Fem*Festival eingeladen hat, auf keinen Fall. Worin für die Gegnerinnen und Gegner das Problem besteht? Vicky Voyage und Erik BigCl!it sind als Drag-Künstlerin und -Künstler aktiv.

Sieht man sich die Kommentare unter Facebook-Beiträgen an, die auf die Veranstaltung hinweisen, liest man von „Gehirnwäsche“, die den Veranstaltenden vorgeworfen wird, von angeblicher „Pädophilie mit staatlichem Segen“ oder auch von „Frühsexualisierung“ und „Indoktrination“.

Diese Begriffe fielen auch schon im Juni 2023, als in München genau die gleiche Veranstaltung stattgefunden hat. Dort hatten Vertreter der AfD, der CSU, aber auch Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger gefordert, die Lesung abzusagen – aus Angst vor angeblicher „Kindeswohlgefährdung“.

Unterstützerinnen und Unterstützer machen sich stark

Schlussendlich stellten sich am Tag der Lesung in München rund 500 Personen des Bündnisses „München ist bunt“ mit Regenbogenfahnen 200 Demonstrierenden aus dem AfD-nahen Spektrum entgegen. Genauso stellen sich auch unter Ingolstädter Facebook-Beiträgen Nutzerinnen und Nutzer gegen die Kommentare: „Leben und leben lassen“, heißt es da.

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Anders als es Gegnerinnen und Gegner dieser Veranstaltung darstellen, geht es bei der Kinderbuchlesung keineswegs um sexuelle oder in irgendeiner Weise nicht altersgerechte Themen. Die ausgewählten Bücher vermitteln vor allem die Botschaft, dass jeder Mensch so sein kann, wie er möchte – ob Jungs gerne lange Haare tragen möchten oder Mädchen lieber Hosen als Röcke.

Vicky Voyage erzählt im Gespräch, dass die Kinderbuchlesung zu der Veranstaltung geworden ist, die sie sich als Kind gewünscht hätte. „Leute, ihr könnt anders sein. Weil es schon Leute vor euch gab, die anders waren und das ist vollkommen okay.“ Diese Botschaft will sie vermitteln.

Voyages Kollege Erik BigCl!t erzählt, dass die Leseveranstaltung geprägt ist von Mitmach-Momenten. Und die meisten Kinder legen seiner Erfahrung nach die anfängliche Schüchternheit schnell ab. „Erst schauen sie mit großen Augen unsere Outfits an, die Eiskönigin und mich als Kleinen Prinzen.

Auch die Eltern blühen auf

Aber dann rufen sie auch rein, wenn wir zum Beispiel nach ihrer Lieblingsfarbe fragen. Es geht darum, dass wir alle eine gute Zeit haben, das ist ja kein Vortrag.“ Die Kinderbücher haben die beiden Kunstschaffenden zusammen mit dem Regenbogen-Familienzentrum München ausgesucht. Dazu gehören „Der Junge im Rock“ oder „Ein Tag im Leben des Marlon Bundo“, aber auch „Der kleine Prinz“.

„Und nicht nur die Kinder blühen richtig auf, auch die Eltern.“ Denn die dürfen auch mitmachen – sich im Anschluss zum Beispiel mit mitgebrachten Kostümen verkleiden und Fotos machen.

Dass die Botschaft ankommt, sieht Vicky Voyage im Austausch mit den kleinen Besucherinnen und Besuchern. Einem kleinen Jungen habe eine Kindergärtnerin gesagt, er müsse ab sofort aufs Mädchen-Klo, weil er lange Haare habe.

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„Und das hat er so verdruckst und traurig erzählt“, sagt Voyage. „Ich habe ihm gesagt: Hey, es ist vollkommen in Ordnung, dass du lange Haare hast und niemand hat dir zu sagen, dass du aufs Mädchen-Klo gehen musst. Und da hat er sich wieder bestärkt in seinem Sein gefühlt, weil ihm das jemand von außen gesagt hat.“

Sie lassen sich nicht einschüchtern

Erik BigCl!t sieht in den Kommentaren zur Lesung, die ihnen eine angebliche „Indoktrination“ unterstellen, vor allem eine absurde Art der Bevormundung. „Ich finde es wahnsinnig übergriffig, Menschen zu sagen, welche Kleidung sie zu tragen oder eben nicht zu tragen haben. Und genau das machen wir ja nicht. Wir sagen: Alles, was gut tut und niemandem schadet, ist willkommen und schön.“

Von den Hasskommentaren und auch sogar von Morddrohungen lassen sich der Prinz und die Eiskönigin nicht einschüchtern. „Das ist ganz, ganz furchtbar“, sagt BigCl!t.

„Aber dann muss man sich daran erinnern, warum man das macht. Denn das Leben ist eh so schwer. Und wir wollen einfach mal einen Raum haben, in dem alle durchatmen können.“ Die leuchtenden Augen, von Kindern und von Eltern, die geben ihm Kraft, weiter für Menschlichkeit einzutreten.

„Es geht um Menschenfreundlichkeit“

Im Kulturamt Ingolstadt hat man nach dem Aufruhr um die Lesung in München schon mit Gegenwind gerechnet. „Man sieht, dass die Leute Ängste haben, die aber vollkommen unbegründet sind“, sagt ein Sprecher von Urbankultur. „Wir haben das ja immer kommuniziert: Es sind verkleidete Künstlerinnen beziehungsweise Künstler, die aus schon vorhandenen Kinderbüchern vorlesen. Und es geht nicht um sexualisierte Inhalte.“

Und genau weil es immer noch Menschen gibt, die dazu Hasskommentare im Netz abgeben, steht die Stadt fest hinter der Veranstaltung. „Weil man damit ein ganz wichtiges Signal aussendet. Am Ende geht es um Gerechtigkeit und um Menschenfreundlichkeit.“