Neues Werk
Schockrocker im Interview: Alice Cooper bringt mit 75 neues Album „Road“ heraus

24.08.2023 | Stand 25.08.2023, 10:24 Uhr

Vincent Damon Furnier alias Alice Cooper ist tausend Tode gestorben – auf der Bühne. −Foto: Jenny Risher/earMUSIC/Kontor New Media/Edel Music & Entertaiment/dpa

Von Olaf Neumann

Alice Cooper veröffentlicht mit dem Titel „Road“ bereits sein 29. Studioalbum. Darauf singt Cooper über das Tourleben als Rockstar. Im Interview in Frankfurt inszeniert er sich mit schwarzer Haarpracht und verschmiertem Kajal als liebenswerter Großvater des Gothic Rock.



Vincent Damon Furnier alias Alice Cooper ist tausend Tode gestorben – auf der Bühne. Mal durch Strom oder den Strick, mal durch die Guillotine oder die Giftspritze. Heute erscheint sein neues Werk „Road“, ein lupenreines, makaberes Hardrockalbum. Galgenhumor wirkt auf den 75-jährigen Entertainer, Sänger und Songschreiber aus Phoenix/Arizona wie ein Jungbrunnen. Jung bleibt er auch durch strikte Ernährung: Statt Alkohol und Drogen − davon hat sich der Schockrocker schon vor 40 Jahren losgesagt – gibt es nur ein kleines Müsli oder Obst nach der Bühnenshow.

Seit über fünf Jahrzehnten touren Sie durch die Welt, spielen in Stadien, Arenen und Amphitheatern. Für das neue Album „Road“ wollten Sie Ihre Live-Band einmal in die Entstehung aller Studiosongs einbeziehen. Wie war das?
Alice Cooper: Meine Live-Band ist so gut, dass ich mit ihr einmal angeben wollte. Ich sagte zu meinem Produzenten Bob Ezrin: „Ich möchte, dass die Band die Songs mit uns schreibt. Und das Thema des Albums wird die Straße sein.“ Denn das ist der Ort, an dem wir leben. Es gibt so viele lustige und tragische Aspekte der Straße, so viele Dinge, über die man schreiben kann. Zu meiner Band sagte ich: „Schreibt mir zwölf Stücke, und Bob und ich werden sie zu Alice Cooper-Songs formen.“

„Road“ ist seit 1971 Ihr 16. Studioalbum mit dem Produzenten Bob Ezrin. Warum ist diese Zusammenarbeit immer noch so fruchtbar?
Cooper: Bob Ezrin hat unsere ersten fünf Alben produziert und gab uns unseren Sound. Am Anfang waren wir eine gute Rockband und hatten diese ganze Theatralik, aber uns mangelte es an einer eigenen Handschrift à la Doors, Beatles oder Rolling Stones. Also haben wir ein Jahr lang daran gearbeitet. Und als das Album „Love It To Death“ herauskam, war es Alice Cooper. Bob Ezrin ist genauso ein Teil von Alice wie die Band. Er ist unser George Martin. Wir bleiben immer zusammen, egal, was passiert. Weil es eine perfekte Kombination ist. Auch mit meinem Manager Shep Gordon arbeite ich seit 55 Jahren zusammen.

Eine kreative Kameradschaft fürs Leben?
Cooper: Wir denken nicht wie alte Männer. Die Musik geht hierhin oder dorthin, aber wir spielen immer noch Hardrock. Der einzige Sound, der nicht alt wird. Wir haben Disco, Punk und Grunge mitgemacht und sind immer noch dabei.

In dem Song „I'm Alice“ stellen Sie sich selbst vor. Warum brauchen wir einen Bösewicht wie die Figur Alice Cooper, besonders in der heutigen Zeit?
Cooper: „Star Wars“ wäre kein guter Film, wenn er nicht einen großartigen Bösewicht wie Darth Vader hätte. Jedes Buch, jeder Film, jedes Spiel muss einen haben. Aber niemand wollte dieser Bösewicht sein, außer mir. Ich sagte damals: „Ich werde gerne der Bösewicht der Rockwelt sein.“

Haben Sie Kontrolle über Ihre Figur?
Cooper: Ja. Ich finde, Alice sollte sexy sein. Gefährlich. Und auch lustig. Er muss definitiv einen Sinn für Humor haben. Ich habe Alice als meinen Lieblingsrockstar entworfen. Ich muss nicht immer er sein, weil ich ihn spiele. So wie Bowie seine Charaktere wie Ziggy Stardust gespielt hat.

Wie kamen Sie auf den berühmten Alice Cooper-Look?
Cooper: Ich wollte, dass er wie ein Vampir aussieht. Ganz in Schwarz. Mit Make-up. Wenn die Teenager schreien: „Ja, wir wollen unseren Bösewicht!“, dann hast du einen Hit gelandet. Wenn man den nicht hat, ist es nur ein Puppentheater. Aber so wurde der Bösewicht Alice wichtig. Heute denke ich, dass ich für die Leute sowohl ein Schurke als auch eine Art Volksheld bin. Denn die Eltern mögen mich jetzt. (lacht)

Direkt nach Ihrer Europatournee startete Ihre Amerikatournee mit 51 Terminen. Warum sind Sie mit Ihren 75 Jahren noch immer so gern unterwegs?
Cooper: Ich denke, ich wurde für diese Aufgabe geschaffen. Ich werde nie müde davon. Wenn ich jemals als Alice auf die Bühne gehen und nicht hundert Prozent geben würde, würde ich ihn nicht mehr spielen. Wenn ich nicht mehr die gleiche Energie wie 1975 hätte, würde ich mich einfach zurückziehen. Aber jetzt ist mehr Energie da oben als damals, weil ich mittlerweile nüchtern bin. Und ich bin kreativer mit der Figur. Ich sehe also überhaupt keinen Ruhestand in meiner Zukunft. Kiss und Aerosmith gehen in Rente, aber ich mache weiter!

Wie verleihen Sie Ihrer Stimme Geschmeidigkeit?
Cooper: Zunächst einmal singe ich ausschließlich in dem Bereich, für den ich bekannt bin. Ich versuche nicht, Freddie Mercury zu sein. Ich habe andere Sänger, die die Harmonien nach oben singen. Meine Frau zum Beispiel, die bei den Hollywood Vampires (Alice Coopers zweite Band, Anm. d. Redaktion) und in meiner eigenen Band ist. Ich muss mich also nie anstrengen, um da hochzukommen. Das hat viel mit meiner Langlebigkeit zu tun. Und ich habe nie Zigaretten geraucht und seit 40 Jahren keinen Alkohol mehr getrunken. Das würde mein Instrument zerstören.

Warum sind viele Künstler so selbstzerstörerisch?
Cooper: Ich kannte Jim Morrison ziemlich gut. Wir haben oft zusammen gefeiert. Er war für mich wie ein großer Bruder. Ich war auch mit Jimi Hendrix high und habe mit Janis Joplin getrunken. Sie alle starben im Alter von nur 27 Jahren. Weil sie immer alles wollten. Jim war sehr selbstzerstörerisch. Ich liebte ihn, aber alle seine Lieder handelten vom Tod. „Break On Through To The Other Side“ oder „This Is The End“. Deshalb war ich über seinen Tod nicht überrascht. Ich konnte es kommen sehen.

Was haben Sie von Ihren verstorbenen Freunden gelernt?
Cooper: Ich habe von ihnen gelernt, wie man nicht stirbt. Mit anderen Worten: Alle, die überlebt haben, wie Iggy Pop, Mick Jagger, Steven Tyler oder ich, haben irgendwann die Kontrolle über ihr Leben übernommen. Wir haben eine Entscheidung getroffen: Wenn wir weiter Platten machen und touren wollen, müssen wir mit dem aufhören, was wir mit 20 gemacht haben. Die ganze Idee der Hollywood Vampires ist eine Hommage an unsere toten betrunkenen Freunde. Auf der Bühne spielen wir ihre Songs.