„Emotional ist es ein Schlingerkurs“
Der letzte Tanz in Roth: Weltmeister Kienle beendet beeindruckende Langdistanz-Karriere am Herzensort

24.06.2023 | Stand 14.09.2023, 22:41 Uhr

Noch einmal über den Solarer Berg: Im ultimativen Stimmungsnest des Challenge-Rennens am Hilpoltsteiner Ortsausgang werden die Triathlon-Fans den 2018-Sieger Sebastian Kienle beim letzten Auftritt hier sicherlich besonders laut anfeuern. Fotos: Karmann, dpa/Imago Images

Auf Hawaii errang Sebastian Kienle bei der Ironman-Weltmeisterschaft seinen größten Sieg, doch sein Herz gehörte den Rothern. Am Sonntag geht der 38-jährige Triathlon-Star das letzte Mal beim Challenge an den Start.



Die Reise endet dort, wo sie begonnen hat. In Roth. Damals vor 13 Jahren. „Der letzte große Tanz“, sagt Sebastian Kienle selbst über diesen Sonntag beim Challenge (ab 6.30 Uhr/BR überträgt live) in der deutschen Triathlon-Hauptstadt , in der er seine so illustere Karriere auf der Ironman-Strecke beenden will. „Meine letzte relevante Langdistanz“, versicherte der bald 39-Jährige auf Nachfrage. Und was für ein Rennen das werden soll! Super emotional sicherlich.

Kienle: „Die Droge Roth wirkt schon noch verdammt gut“



Für seine Abschiedstournee hat sich der sympathische Schwabe bewusst Roth ausgesucht. 2010 meisterte Kienle erstmals die 3,86 Kilometer Schwimmen, 180,2 Kilometer auf dem Rad und den abschließenden Marathon (42,195 Kilometer) – und blieb gleich unter der magischen Acht-Stunden-Marke. „So nah an mein Limit bin ich nie mehr rangekommen“, erinnert er sich an die „Flügel“, die ihm in der besonderen Rother Stimmung wuchsen. Und die ihn anfixte. „Die Droge Roth wirkt schon noch verdammt gut“, beschrieb er nun seine Gefühlswelt bei der Rückkehr in das mittelfränkische Städtchen. „Als Athlet stumpft man irgendwann ab, selbst auf der großen Bühne.“ Aber bei Roth, „da pocht das Herz“ – schon am Ortsschild.

Kienle hat die Center Stage erlebt, stand mitten im Rampenlicht, als Deutscher, der seine Sportart prägte. Sein triumphaler Erfolg 2014 bei der Ironman-WM auf Hawaii leitete eine deutsche Ära ein. Jan Frodeno (2015, 2016, 2019) sowie Patrick Lange (2017, 2018) folgten bei der Mutter aller Triathlons. Kienles Herz aber gehörte den Rothern. Als er 2018 endlich seinen bisher einzigen Sieg davontragen konnte – mit 7:46:23 Stunden in der viertbesten Challenge-Zeit bisher –, war es endgültig um ihn geschehen.

2021 ausgestiegen, 2022 verletzungsbedingt gar nicht dabei



Insofern hat er sogar noch eine kleine Rechnung offen für einen würdigen Abschluss. Zuletzt überwogen die bitteren Erlebnisse. Beim Neustart im September 2021 nach der Corona-Pause musste der frühere Weltmeister auf der Radrunde durchs südliche Mittelfranken entkräftet und frustriert aussteigen; im Vorjahr verletzt sogar ganz absagen. Als viele schon an ein schleichendes Karriereende aus dem Krankenstand heraus dachten, „haute“ – wie die Ausdauersportler selbst so sagen – Kienle im Oktober auf Hawaii „einen raus“: bester Deutscher, erstmals dort unter acht Stunden, Gesamtplatz sechs. Die Triathlon-Welt staunte über den 38-Jährigen, der sich selbst wohl am meisten überrascht hatte – und nach dem verkündeten Abschied in den vergangenen Monaten mit den Gefühlen kämpft.

„Emotional ist es ein Schlingerkurs“, sagte Kienle nun bei der Challenge-Pressekonferenz, „ich hatte es mir einfacher vorgestellt.“ Die Wehmut übermannte ihn dann ein bisschen. Sogar einen Rat an die junge Konkurrenz, die ihm in Person von Titelverteidiger Magnus Ditlev (25) oder dem Hawaii-Zweiten Sam Laidlow (24) am Sonntag sicherlich die Hölle heiß machen will, kam ihm in der Gesprächsrunde mit den Profis über die Lippen: „13 Jahre sind es seit meinem ersten Start – das geht so schnell vorbei.“ Alles genießen, und sich privilegiert fühlen, das sollten sie im Kopf behalten – „ich spreche schon, als wäre ich 80“, sagte Kienle dann und musste selbst darüber grinsen.

Mit fast 39 ist er der Älteste der Favoriten, erfahren in vielen Triathlon-Schlachten. „Die Ziellinie überqueren und nichts bedauern müssen“, das ist sein Ziel für den letzten ernsthaften Einsatz auf der Langdistanz – wie auch für die gesamte Abschiedsrunde, die Anfang August noch den Extrem-Triathlon Norseman umfasst, bei dem er es mit einem kalten norwegischen Fjord und beim Marathon mit einer Bergankunft zu tun bekommt.

Challenge Roth wird in 170 Länder übertragen



Wie für Skandinavien gilt vor allem für Roth: „Nochmal alles aufsaugen und speichern“, sagt Kienle. Aufmerksamkeit ist ihm gewiss: Das Rennen wird in 170 Länder übertragen. „Das hatten wir noch nie“, schwärmt Challenge-Organisator und Renndirektor Felix Walchshöfer über das Medieninteresse wegen des dieses Jahr einzigartig starken Männer- und Frauenfelds an einem Tag. Die Ironman-WM wird heuer nach Geschlechtern getrennt in unterschiedlichen Monaten auf Hawaii und Nizza ausgetragen.

Dort wird Kienle nicht mehr am Start sein. „Cool, dass Sebi hier dabei ist“, sagt deshalb Patrick Lange, der am Sonntag ebenfalls seinen Sieg von 2021 (damals auf verkürzter Radstrecke) wiederholen möchte. „Wir werden uns in den 7:30 bis 8:00 Stunden nichts schenken, aber danach ist es auch wieder gut“, sagt Lange über sein Verhältnis zu Kienle, das sich bei den beiden großen Hawaii-Konkurrenten deutlich gebessert hat. Vor allem um vermeintliches Windschatten-Fahren drehte sich der Ärger einst, längst vergessen. „Wir haben auch wieder zueinandergefunden und verstehen uns richtig gut“, berichtete Lange. Dem emotionalen Abschied im Zielraum steht also nichts im Weg. Auf welcher Position wird spannend.

DK