Von der „Strada del Sole“ zum „Starkregen“
Reinhard Fendrich bietet in der Saturn-Arena eine grandiose Zeitreise durch den Austro-Pop

07.11.2022 | Stand 22.09.2023, 3:40 Uhr

Nimmt auch politisch kein Blatt vor den Mund: Reinhard Fendrich fordert in der Saturn-Arena das Publikum auf, auch über den eigenen Tellerrand zu blicken und gegen Hass und Hetze, Verschwörungstheoretiker und Kriegstreiber Position zu beziehen. Foto: Luff

Reinhard Fendrich füllt mühelos Stadien und Open-Air-Arenen: Seit fast 40 Jahren steht das Urgestein des Austropop nun als Singer-Songwriter und Entertainer auf der Bühne.



Seine Hits wie „Weus’d a Herz host wia a Bergwerk“, „Es lebe der Sport“ oder „I am from Austria“ genießen Kultstatus. Natürlich hatten der Wiener Ausnahmesänger und seine Band diese Songs auch in Ingolstadt im Gepäck. Aber er kann auch anders. Sein 18. Soloalbum heißt „Starkregen“ und präsentiert unbequeme Wahrheiten, denn das zwischenmenschliche Klima hat sich in diesen Zeiten verändert. Und Fendrich schaut genau hin und legt den Finger in die Wunde.

Gelungene Mischung aus Hits und neuen Liedern

Die Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz musste mehrmals verschoben werden. Trotzdem freute sich der Österreicher sichtlich über die mehr als 1000 Fans, die in die Saturn-Arena gekommen waren. Er begrüßte sie mit seinem neuen Hit „Rock‘n‘Roll Band“ und blickte darin nostalgisch auf seine Anfänge als Musiker zurück. In den nächsten knapp zweieinhalb Stunden lief Fendrich dann zur Höchstform auf und bot eine gelungene Mischung aus seinen unübertroffenen Partyhits wie „Oben ohne“, „Es lebe der Sport“ oder „Macho Macho“ und kritischen Liedern aus seinem neuen Studioalbum „Starkregen“.

Fendrich reflektierte in seinen Songs schon immer gerne das Zeitgeschehen: In Ingolstadt wurde dies durch den immer noch aktuellen „Tango Korrupti“ ebenso deutlich wie durch das zeitlose Lied „Blond“, das die weibliche Schönheitsdiktatur aufs Korn nimmt, oder durch den älteren Hit „Schickeria“, in dem der Hedonismus der High Society an den Pranger gestellt wird. In seinen neuen Liedern aus dem Album „Starkregen“ wendet sich der Sänger mit dem unverkennbaren Wiener Schmäh aktuellen Phänomenen zu, die ihn stören.

Politisch kein Blatt vor den Mund

Was stimmt nicht in unserer Gesellschaft, in der „Social Media Zombies“ wie Geister am Frühstückstisch sitzen und ein Foto von ihrem weichen Ei posten, statt mit ihrer Partnerin von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren, wie man es Jahrhunderte lang erfolgreich gemacht hat? So fragt er im gleichnamigen Lied und klagt in „Heiße Luft“ die inhaltsleeren und verlogenen populistischen Parolen an, die heutzutage zu hören sind. Eine davon lautet: „Wenn immer wo was schief rennt, die Fluchtlinge san Schuld.“ Für den Songwriter sind solche Parolen nichts als heiße Luft. Und so bleibt die letzte Frage des Songs auch unbequem in der Luft stehen und hallt noch lange nach: „Doch was ist mit der Mutter, die mit ihrem Kind ertrinkt?“

Der Österreicher moderiert immer wieder seine eigenen Lieder an und nimmt auch politisch kein Blatt vor den Mund, denn die Bühne sieht er als seine Wirkungsstätte. Er lokalisiert die vielen Gesichter der Teufels heute in Pjöngjang und Moskau („Sag ma net, es gibt kan Teufel“) und positioniert sich klar gegen Rassismus („Schwarzoderweiß“). Er fordert sein Publikum dazu auf, nicht in spießiger Teilnahmslosigkeit zu verharren, sondern über den eigenen Tellerrand zu blicken und sich nicht nur für Wetter und Lottozahlen zu interessieren. Denn „glei hinterm Tellerrand hebt sie leider scho wieder die rechte Hand. Der Hass ist wieder hochmodern, aber du willst des alles ned hörn“. Und die Verschwörungstheoretiker und andere „Spaziergänger“ weist er darauf hin, dass man nur in einer Demokratie so laut „Diktatur!“ brüllen könne.

Zum Abschluss der Song „Frieden“

Natürlich ist und bleibt der Liedermacher Fendrich auch hochgradig emotional und so sind an diesem Abend auch einige ältere und neue Balladen zu hören. In „Nur die Liebe“ und in „Mein Leben“ besingt er, was für ihn wirklich zählt, nämlich die heilende Kraft der Liebe, die aber fragil ist und sich nicht erzwingen lässt. Leider lässt er „Abendrot“, die wohl beste Ballade seines neuen Albums aus. Dafür beschert er den restlos begeisterten Fans zwei Zugabenblöcke mit insgesamt sechs Liedern, die von den großen Hits („Macho Macho“, „Oben ohne“, „Autofriedhof“) bis zu den großen Österreich-Hymnen reichen („I am from Austria“, „Strada del Sole“).

Gänsehautfeeling pur stellt sich freilich beim letzten Lied des Abends ein, das sich der österreichische Musiker aus aktuellem Anlass bis zum Schluss aufgehoben hat. Ganz allein auf der Bühne, nur in einen einsamen Spot getaucht, nimmt er die Gitarre in die Hand und singt das 2016 geschriebene Lied „Frieden.“ Und jeder der Zuhörer, die in stummer Ergriffenheit ihre Handytaschenlampen zücken, weiß intuitiv: Dieses Lied ist für die Menschen in der Ukraine geschrieben, denen ein grausamer Krieg derzeit alles nimmt. Es ist ein genialer Schachzug des Altmeisters des Austro-Pop, das Konzert damit ausklingen zu lassen.