„1938 ist der point of no return“
Volker Kutscher stellt seinen Roman „Transatlantik“ vor

Zum Abschluss der Pfaffenhofener Lesebühne

07.11.2022 | Stand 22.09.2023, 3:40 Uhr

Volker Kutscher ist einer der erfolgreichsten Autoren Deutschlands. Seine Gereon-Rath-Krimis wurden unter dem Titel „Babylon Berlin“ verfilmt. Am Sonntagabend las er in Pfaffenhofen. Foto: Witzke

Von Anja Witzke

Pfaffenhofen – Zum Finale der Lesebühne ein Paukenschlag: Volker Kutscher ist mit seinen Kriminalromanen um Kommissar Gereon Rath berühmt geworden. Die Reihe, die 2007 mit „Der nasse Fisch“ begann, erzielte Millionenauflage und bildete die literarische Grundlage für die TV-Serie „Babylon Berlin“. Jetzt ist mit „Transatlantik“ Band neun erschienen, der unmittelbar an die Geschehnisse des Vorgängerromans „Olympia“ anknüpft und die Leser aufatmen lässt: Hatte Gereon Rath doch am Ende des achten Bandes auf der Flucht aus Deutschland am 3. Mai 1937 den Zeppelin „Hindenburg“ Richtung New York bestiegen. Jenes Luftschiff, das wenige Tage später kurz vor der Landung in Lakehurst explodieren würde. Ob Rath den Absturz überlebt?

Das tut er. Wenn auch schwer verletzt. Er nimmt eine neue Identität an. Doch die Schatten der Vergangenheit holen ihn auch hier ein. Er wird erkannt – und muss erneut um sein Leben fürchten. Davon handelt eine der insgesamt drei Lesepassagen, die Autor Volker Kutscher im Rathausfestsaal am Sonntagabend vor 110 Besuchern vorträgt. Vor knapp zwei Wochen ist „Transatlantik“ erschienen, Pfaffenhofen ist erst die fünfte Station auf seiner Lesereise, auf die er sich sehr gefreut hat. „Ich bin froh und glücklich, dass ich wieder live lesen kann und Kontakt zu meinem Publikum habe“, sagt er.

Im Gespräch mit dem Literaturvermittler Thomas Böhm gibt Volker Kutscher einen kleinen Einblick in seine Schreibwerkstatt. Erklärt etwa, warum er im aktuellen Band Charlotte ins Zentrum gerückt hat: „Sie ist eine gute Kriminalistin mit einem politisch wachen Verstand.“ Außerdem sei sie nicht nur tougher, sympathischer, sondern auch hübscher – und nimmt ihre Ermittlungen aus privaten Gründen auf: Ihre Freundin Greta gerät unter Mordverdacht. Mit dem toten SS-Mann, der – durch Autoabgase vergiftet – in einer Parkgarage gefunden wird, hatte sie eine Affäre.

Charlotte ist nicht mehr bei der Polizei. Deshalb muss sie auf anderem Weg an Informationen kommen. Beispielsweise durch einen nächtlichen Einbruch ins Polizeipräsidium. Volker Kutscher nimmt das Publikum mit in die Rote Burg, die 1937 neben dem Berliner Schloss das größte Gebäude Berlins ist. Durch ein dunkles Treppenhaus geht es zu dem Büro, in dem einst Gereon Rath Dienst tat. Jetzt arbeitet dort Andreas Lange. Und dort findet Charlotte den Karton mit allen Unterlagen zum Fall Rekowski. „Dann knallte eine Tür“, liest Volker Kutscher – und bricht mit einem Cliffhanger ab.

Ob er denn einen Grundriss des historischen Gebäudes zum Schreiben benutzt hat, will Thomas Böhm von ihm wissen. Tatsächlich habe er sich einen solchen besorgt, antwortet Volker Kutscher. Mittlerweile habe er den Plan aber im Kopf und gestatte sich bei seinen fiktiven Figuren natürlich auch viele Freiheiten. Die reale Behörde befand sich von 1890 bis 1945 an der Alexander-/Dircksenstraße, wurde mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten Sitz der Berliner Gestapo, später bei alliierten Luftangriffen schwer beschädigt und 1957 abgerissen. Heute befindet sich auf dem Areal das Einkaufszentrum Alexa. So unterhaltsam wie aufschlussreich ist das Gespräch. Erfährt man doch beispielsweise etwas zu den Ring-Vereinen, bei denen Gangster Johann Marlow Helfershelfer findet. Gegründet zunächst zur solidarischen Unterstützung Strafgefangener entwickelten sich die Vereine zu Verbrecherorganisationen für Raubzüge, Prostitution und Hehlerei und beschafften sich gegenseitig Alibis. 1898 schlossen sie sich in Berlin zum Dachverband Ring Berlin zusammen, bis sie 1934 von den Nationalsozialisten verboten wurden.

Und woher rührt Volker Kutschers Vorliebe für Autos als Tatwerkzeuge? „Bei drei von neun Verbrechen ist ein Auto im Spiel“, meint Moderator Böhm. Kutscher grinst: „Mein Onkel hatte ein Autohaus.“ Natürlich gibt es auch Fragen zum Konzept der Krimireihe – und warum diese mit Band zehn im Jahr 1938 enden soll. „Mein erster Plan reichte bis 1936. Aber dann wollte ich meine Figuren nicht in diesem Propaganda-Jahr zurücklassen. Für mich war der endgültige Zivilisationsbruch 1938 erreicht. 1938 ist der point of no return. Alles, was danach kommt, ist so grausam. Ich will den Krieg nicht erzählen.“

Immerhin soll es nach Band zehn noch einen Kurzgeschichtenband geben – und nach „Moabit“ und „Mitte“ eine weitere Erzählung für Kat Menschiks „Illustrierte Lieblingsbücher“. Was danach kommt? „Das weiß ich noch nicht“, sagt Volker Kutscher. „Ich sammle aber schon Ideen in einem Ordner auf meiner Festplatte. Es muss ja nicht unbedingt ein Krimi sein.“

DK


Volker Kutscher: Transatlantik, Piper, 592 Seiten, 26 Euro.