Toxische Männlichkeit

Ingolstädter Literaturtage: Berliner Studierende setzen sich mit Fleißers „Der Tiefseefisch“ auseinander

28.06.2022 | Stand 22.09.2023, 21:47 Uhr

Verletzliche Männlichkeit: Fleißers Drama als Maskenspiel im Ingolstädter Altstadttheater. Foto: Luff

Von Robert Luff

Ingolstadt – Ein ungewöhnliches Format hat durchaus seine Reize: Am ersten von vier Theaterabenden im Rahmen der 29. Ingolstädter Literaturtage setzten sich drei Studierende der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch im Altstadttheater mit Marieluise Fleißers 1930 geschriebenem und Fragment gebliebenem Stück „Der Tiefseefisch“ auseinander und kombinierten dabei verschiedene Mittel des Figurentheaters, die von der Klappmaulpuppe über die Stimme aus dem Off und einzelne Objekte bis hin zum klassischen Schauspiel reichten. Die derzeitige Fleißer-Preisträgerin Ines Geipel, Schriftstellerin und Hochschuldozentin, hatte dieses Projekt im vergangenen November auf den Weg gebracht und präsentiert es nun mit Studenten des zweiten Studienjahres in Ingolstadt.

Das Ergebnis kann sich wahrhaft sehen lassen, denn die Studierenden Laura Schulze, Leon Schamlott und Max Teschemacher setzten sich monatelang mit Fleißers Stück, aber auch mit ihrer Biografie auseinander und kombinierten verschiedene Texte zu einer eindringlichen dramaturgischen Momentaufnahme. Dabei konzentrierten sie sich auf die spezifische Wahrnehmung dominanter und verletzlicher Männlichkeit, die im „Tiefseefisch“ immer wieder aufscheint, und ergänzten die verbale Auseinandersetzung von Mann und Frau durch Kommentare und Einwürfe Bertolt Brechts, der die dritte Handpuppe darstellte.

In Fleißers vieraktigem Stück lebt das Schriftstellerpaar Laurenz und Gesine in einem gemieteten möblierten Zimmer zusammen. Nur Gesine verdient ausreichend, während ihr Partner sich aushalten lässt und über seine Verhältnisse lebt. Er macht sie für seine Misserfolge verantwortlich, denn die Zeitung druckt seine Artikel nicht mehr ab. Gesine aber verzweifelt an seiner machohaften Egozentrik und an seinem verletzten männlichen Stolz. Als auch sie schließlich wegen der politischen Verhältnisse ihre Texte nicht mehr veröffentlichen will, zerbricht die Beziehung.

Der biografische Hintergrund dieser Konstellation scheint immer wieder durch und wird durch eingeflochtene Briefe verstärkt: Marieluise Fleißer pflegte in den 20er Jahren intensive Kontakte zu Bertolt Brecht, der ein ganzes Kollektiv an Frauen für sich arbeiten ließ. Vor allem aber lebte die Fleißer über fünf Jahre hinweg in einer unglücklichen Beziehung mit dem Journalisten Hellmut Draws-Tychsen. Dieser behandelte sie wie seine Sekretärin und verlangte finanzielle Unterstützung von ihr und ihrer Familie. Der schreibende Mann als sich zurückziehender hypersensibler Tiefseefisch, der gegenüber seiner ebenfalls schreibenden Partnerin ein wahrer Despot werden kann – das ist auch die persönliche Geschichte Marieluise Fleißers.

„Warum sollen Sie damit identisch sein?“ nannten die Schauspieler ihre szenische Collage aus Dialog, Puppenspiel, Brecht’schen Songs und Visualisierungen über Objekte, wie die kleine amerikanische Flagge, die für Brechts Flucht in die USA steht. Akustische Signale wie das ständige Schreibmaschinengeklapper oder die militärischen Marschschritte stehen für den historischen Kontext: Ein zerstrittenes Schriftstellerpaar versucht sich in schwierigen Zeiten durchzuschlagen und scheitert aneinander.

Subtil inszenieren die Schauspiel-Studierenden die Etappen dieser gegenseitigen Entfremdung zwischen Gesine und Laurenz von der anfänglich noch um Verständnis ringenden Diskussion bis zur gegenseitigen Abkehr der beiden Protagonisten, die sich – zusammen mit ihren ausdrucksstarken handgefertigten Puppen – nun buchstäblich den Rücken zukehren. Dazwischen dann des Gespräch von Mann zu Mann, sprich von Laurenz zu Brecht, dem Zigarre rauchenden Theaterguru, der immer die richtigen Ratschläge im Umgang mit Frauen parat hat: Frauen sind nützlich und werden schon lernen, in den Schatten ihres Mannes zu treten.

Angesichts derartiger maskuliner Phrasen nimmt es nicht wunder, dass Gesine die Reißleine zieht und sich nicht dazu instrumentalisieren lässt, für ihren Mann in die Redaktionen zu laufen, wo überall neue Leute sitzen, und dort um die Publikation seiner Artikel zu bitten. Da helfen auch kein Drohen und kein Flehen. Ihre konsequente Weigerung, selbst weiterhin zu schreiben und sich so innerlich umzubringen, bedeutet zugleich das Ende der Beziehung. 1930 war dies ein mutiges Stück, das leider erst 50 Jahre später zu seiner Uraufführung fand. In Ingolstadt wurde es nun in einem neuen, attraktiven Format präsentiert, das die Zuschauer begeisterte. In einem abschließenden Gespräch beantworteten Ines Geipel und ihre Studierenden die Fragen der Zuschauer.

Der letzte Theaterabende des Berliner Figurentheaters finden am Mittwoch, 29. Juni, („Fleißer und ihre Sprache“) um 20 Uhr im Altstadttheater statt.

DK