Sein – nicht sein – besser sein

Musik, Schauspiel, Video, Ausstellung: T.Raum.Phase#02 im „Labor“ im Zeughaus des Neuen Schlosses

18.07.2022 | Stand 22.09.2023, 21:04 Uhr

Von Anja Witzke

Ingolstadt – „Sein oder Nichtsein“ – mit Shakespeare hebt sie an diese T.Raum.Phase#02. „Sterben. Schlafen. Vielleicht auch träumen.“ Der Schauspieler Benjamin Dami beginnt seinen Monolog in einer dunklen Ecke des Raumes. Er sitzt dort auf einem roten Sofa, schwarze Hose, schwarzes Kapuzenshirt überm silbrig glitzernden Hemd, und spricht – fast unbeachtet vom Publikum. Das ist erst mal fasziniert von Markus Jordans „Labor“, das dieser im Zeughaus des Neuen Schlosses eingerichtet hat. An eine Alchemistenküche denkt man sofort, wenn man all die Apparaturen, Maschinen, Automaten, Gerätschaften sieht. Vielleicht auch an Fritz Langs „Metropolis“. Bestimmt aber an Frankenstein. An Zukunftsvisionen, die längst Vergangenheit sind.

Gänge aus spinnwebfeinem Gespinst, Installationen, springende Punkte, Lampen im Spiegel, Bilder aus Licht, kinetische Kunst, Ringe aus Dampf: „Retrofuturistische Visionen“ zeigt Markus Jordan – und überall zischt, dampft, sprudelt, wabert, pulsiert, wimmert, blitzt etwas. Vieles davon kann man per Knopfdruck oder Fußpedal selbst in Gang setzen. Anderes leuchtet geheimnisvoll, verbindet sich mit den Licht- und Videoprojektionen von Esteban Nuñez zu mysteriösen Bildwelten.

Das Publikum braucht ein bisschen Zeit, um sich tatsächlich auf die Geschichte zu konzentrieren, die Benjamin Dami erzählt. Er beschreibt mit den Worten Heiner Müllers aus „Herakles 2 oder die Hydra“ den Gang eines Kriegers durch den Wald auf dem Weg in die Schlacht. Erst nach und nach erkennt er: Der Wald selbst ist der Feind, das Durchschreiten des Walds „die Schlacht“. Mithin befindet er sich im Krieg gegen alles und gegen sich selbst. Wald und Körper verschmelzen, jeder vermeintliche Befreiungsschlag ist ein Vernichtungsschlag gegen sich selbst. Was passiert mit ihm? „Nur er, der Unbenannte, war sich selber gleichgeblieben. Oder war auch, was auf seinen Beinen über den zunehmend schneller tanzenden Boden ging, schon ein andrer als er?“, heißt es bei Heiner Müller.

Benjamin Dami hat „Herakles 2“ zu einem spannend-zeitlosen Destillat aufbereitet und rhythmisiert, den Text mit Auszügen aus Mary Shelleys „Frankenstein“ und Zitaten aus Shakespeares „Hamlet“-Monolog verschränkt und ihn an prägnanten Stellen des Labors eindrucksvoll in Szene gesetzt. Was passiert mit dem Menschen in seinem Zwang zur Selbstoptimierung? In seinem Leistungsdenken? Seiner Sucht nach Superlativen und Perfektion? In der ständigen Vermessung des eigenen Selbst? Wie hält er dem Druck von außen und der eigenen Verzweiflung stand? „Besser sein“, murmelt er eins ums andere Mal. Bis zur endgültigen Erschöpfung.

Die Musik von Claudius Konrad spielt dabei eine wichtige Rolle – als atmosphärischer Verstärker, als emotionale Zustandsbeschreibung, im Dialog mit dem Schauspieler. „I keep on trying“, singt Claudius Konrad, während Benjamin Dami im Hamsterrad zappelt. Herzschlag-Wummern, treibende Beats, traumverlorene Sounds: Es ist eine erzählende Musik, die von Aufbruch und Auflösung handelt, vom Getriebensein und von der Imagination.

Nach einer Stunde ist alles vorbei. Es gibt großen Applaus für dieses spannende interdisziplinäre Kunsterlebnis – und das Versprechen einer Fortsetzung. T.Raum.Phase#03 soll in der gleichen Besetzung über die Bühne gehen.

DK


Termine für T.Raum.Phase#02 am 22. und 23. Juli jeweils um 20.30 Uhr im „Labor“ im Zeughaus des Neuen Schlosses. Eintritt frei.