Ingolstadt
Jackett oder Irokesenschnitt

Armin Grunwald und Sascha Lobo streiten über digitale Zukunftsaussichten

15.05.2022 | Stand 15.05.2022, 20:40 Uhr

Skeptiker und Optimist: Armin Grunwald (links) und Sascha Lobo haben einen unterschiedlichen Blick auf die Folgen der Digitalisierung. Mit ihren Vorträgen wurde der Kongress eröffnet. Fotos: Hauser

Von Jesko Schulze-Reimpell

Ingolstadt – Manchmal hilft Anschaulichkeit mehr als alles Argumentieren. Das dachte sich offenbar der Referent des Eröffnungsabends Armin Grunwald, als er aufstand und sich neben Sascha Lobo stellte, der den zweiten Vortrag am Freitagabend hielt. Er wollte zeigen, dass allein Kleidung und Habitus ihn vor dem Publikum in die Defensive drängen, ihn als Technik-Skeptiker entlarven würde. Aber genau in diese Ecke wollte er sich nicht abschieben lassen.

Was also war zu sehen? Ein locker gekleideter Universitätsprofessor, Institutsleiter in Karlsruhe. Der Experte für Technikfolgenabschätzung trug Jackett, Hemd und Jeans. Neben ihm allerdings stand ein Ausbund an Provokation. Sascha Lobo, Blogger und Autor, hält nichts vom repräsentativen Äußeren, sein Markenzeichen ist der Irokesenschnitt. Dissonanzen waren da programmiert. Zumal Sascha Lobo die Technikbegeisterung fast schon wie eine Religion kultiviert.

Grunwald hätte in dem kleinen Disput beinahe schon die Oberhand gewonnen, wäre ihm in den letzten Minuten der Podiumsdiskussion nicht noch ein verhängnisvoller Lapsus unterlaufen, der seine Glaubwürdigkeit für viele im Saal untergrub. Freimütig erzählte der studierte Physiker, dass er sich vor einigen Monaten erstmals ein Smartphone gekauft hätte, bis dahin sei er mit seinem zuletzt zwölf Jahre alten Nokia-Handy ausgekommen. „Ich habe nichts vermisst“, betonte er. Für Lobo und einige Leute im Publikum ein gefundenes Fressen: Wie kann ein Wissenschaftler in Büchern und Vorträgen die digitale Transformation aufarbeiten und gleichzeitig die wichtigste technologische Innovation des bisherigen 21. Jahrhunderts aus eigener Anschauung nicht kennen? Grunwald wehrte sich in der Diskussion zögerlich. „Muss man Krebs erlebt haben, um ein guter Arzt zu sein“, fragt er, ein Einwand, der von Lobo sofort als Kategorienfehler zurückgewiesen wird.

Aber worum geht es?

Grunwald hatte in seinem Eröffnungsvortrag über das Thema „Der unterlegene Mensch. Macht die Menschheit sich mittels Digitalisierung überflüssig?“ Einwände gegen die um sich greifende Technikeuphorie formuliert. Natürlich, er erkenne auch die Vorzüge der Revolution an. „Noch nie sind so viele Dinge entwickelt worden wie jetzt durch die Digitalisierung“, sagt er. Aber die Kehrseite ist, dass die Menschen sich als langsam empfinden. „Viele Menschen fühlen sich abgehängt.“ Die These, die Grunwald in diesem Zusammenhang formuliert ist aber eine andere: Er warnt vor Technik-Determinismus, einer um sich greifenden Überzeugung, dass die digitalen Entwicklungen unausweichlich seien. Und vor allem: dass die Menschen sich nun an die Errungenschaften des digitalen Zeitalters anpassen müssten – etwa an die spezifischen Erfordernisse des modernen Arbeitslebens, an die Eingabe von Daten so, dass Maschinen damit etwas anfangen können. Der Karlsruher Wissenschaftler erzählte dazu die berühmte Geschichte vom Herrn und Knecht. Der Knecht dient dem Herrn, der allerdings begibt sich dadurch so sehr in Abhängigkeit, dass er am Ende vom Knecht beherrscht wird. „Der Zweck der digitalen Apparate ist aber doch, uns ein besseres analoges Leben zu ermöglichen“, sagte Grunwald. Und nicht, neue Abhängigkeiten zu schaffen.

Sascha Lobo sah die Situation gänzlich anders. In seinem Vortrag mit dem Titel „Die postpandemische Gesellschaft – wie durch Corona die Digitalisierung endgültig gewann und was das für uns bedeutet“, kritisierte er die Technik-Skepsis speziell der Deutschen. Die Pandemie hätte offengelegt, wie unfassbar technologisch rückständig Deutschland sei. Dem staunenden Publikum eröffnete er mit viel Überraschungseffekt, dass die Glasfaserversorgung in Deutschland 2020 ungefähr auf dem Niveau von Angola läge – ein Land, in dem es in 40 Prozent aller Haushalte kein fließendes Wasser gäbe. Sascha Lobos Vortrag war kabarettreifes, witziges Edutainment voller Exkurse. Da wurden komische Zeitungsschlagzeilen eingeblendet und verblüffende Daten und Fakten. Für Lobo ist der herrschende Trend die Virtualisierung. Selbst die Medikamente werden virtuell, die Antibabypille wird durch einen Sensor mit künstlicher Intelligenz ersetzt, der die fruchtbaren Tage einer Frau präzise vorhersagen kann.

Gleichzeitig wird die Plattform-Wirtschaft zur dominanten Ökonomie. Großes Wachstum haben fast nur noch Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf umfassender Datenanalyse in Echtzeit beruht – wie Apple, Tesla oder Google.

Dabei vertraut Lobo der Urteilskraft gerade der jüngeren Generation, die immer bessere Abwehrstrategien gegen Fake-News entwickele: „Wir werden immer klüger.“ Die Vorbehalte gegen das Smartphone sind für ihn allenfalls ein Grund für Humoreinlagen. Während des Vortrags zeigte er das Foto einer offenen Hand, auf der geschrieben steht: „Wenn du das lesen kannst, dann hat jemand mein iPhone gestohlen.“

DK