„Die Kinder finden keine Zeit zum Singen“

Der Tölzer Knabenchor gastiert in Ingolstadt – Interview mit Geschäftsführerin Barbara Schmidt-Gaden

25.11.2022 | Stand 19.09.2023, 3:29 Uhr

Vielleicht der weltbeste Knabenchor: Die „Tölzer“ präsentieren am 28. November die „Weihnachtsgeschichte“ von Carl Orff im Kulturzentrum neun in Ingolstadt. Fotos: Fleckenstein, Ackermann

Ingolstadt – Der berühmte, von Gerhard Schmidt-Gaden gegründete Tölzer Knabenchor gastiert am Montag, 28. November, 19 Uhr, im Rahmen des Mundartfestivals „dialektig“ im Kulturzentrum neun. Der Knabenchor zählt zu den weltweit besten. Er tritt regelmäßig in so wichtigen Sälen auf wie der Isarphilharmonie oder der Elbphilharmonie. In Ingolstadt wird der Chor alpenländische Weihnachtslieder singen sowie die „Weihnachtsgeschichte“ von Carl Orff aufführen. Im Interview erklärt die Geschäftsführerin des Chores, Barbara Schmidt-Gaden (Foto), mit welchen Schwierigkeiten sie derzeit zu kämpfen hat.

Frau Schmidt-Gaden, wie hat sich die Corona-Krise auf die Arbeit des Chores ausgewirkt?
Barbara Schmidt-Gaden: Nicht gerade positiv. Die Probleme werden wir erst ab jetzt und in den kommenden zwei oder drei Jahren spüren. Wir wurden als Laien-Chor abqualifiziert, was zur Folge hatte, dass wir fast ein ganzes Jahr lang nicht proben durften. Profichöre konnten dagegen weitersingen. Wir durften nur Einzelunterricht geben, zunächst nur digital. Aber wie soll man einem siebenjährigen Kind das zweistimmige Singen beibringen unter solchen Bedingungen?

Haben Sie genügend Bewerber für den Chor gefunden?
Schmidt-Gaden: Wir veranstalten ja normalerweise in jedem Jahr ein Casting in circa 70 bis 80 Grundschulen in allen ersten Klassen. In einem Jahr fiel das ganz weg, 2020. Im folgenden Jahr war das Casting zumindest im kleinen Maßstab möglich, aber natürlich nicht in 70 Schulen. Dementsprechend klein sind unsere Chöre. Wir haben jetzt nicht 30 oder 40 Kinder in den beiden Gruppen, sondern bloß 20 bis 25. Aber das reicht aus für dreistimmiges Singen. In den nächsten zwei oder drei Jahren werden wir kleinere Brötchen backen müssen. Wir können Weihnachten dann nicht zwei oder drei Konzerte gleichzeitig machen, sondern nur noch eins.

Ist die Situation für die Knabenchöre nicht bereits vor Corona schwieriger geworden?
Schmidt-Gaden: Nein, das betraf nicht nur uns, sondern alles was mit Vereinen und Hobbys zu tun hat. Seit es Nachmittagsunterricht in den Schulen gibt, finden die jungen Leute keine Zeit mehr für das Singen. Die Eltern geben ihre Kinder zudem oft in Ganztagsschulen, damit beide Eltern arbeiten können. Ich erinnere mich daran, wie es für mich früher war, als ich im Knabenchor war. Da war um 13 Uhr die Schule aus und um 14 Uhr war ich in der Chorprobe – das geht heute gar nicht mehr. Aber in einem gewissen Sinne wird sich die Situation in den nächsten Jahren wieder normalisieren. Wir waren auch in diesem Jahr schon wieder in 70 bis 80 Schulen beim Casting.
Sie waren in einem Knabenchor. Ich dachte, dort sind nur Knaben zugelassen und keine Mädchen. Aber es gibt ja inzwischen auch angesehene Mädchenchöre, so haben die Regensburger Domspatzen etwa einen Mädchenchor gegründet kürzlich.
Schmidt-Gaden: Genau. Nur das macht meiner Ansicht nach Sinn. Denn jeder gemischte Chor wird unweigerlich an den Punkt kommen, wo 90 Prozent der Mitglieder Mädchen sind, aber nicht mehr jugendliche, und der Rest sind sehr junge Knaben. Und ein zehnjähriger Bub kann halt sozial mit einem 17-jährigen Mädchen sehr wenig anfangen. Und ja es stimmt, ich war eine große Ausnahme im Knabenchor. Ich hätte eben ein Bub werden sollen.

Haben Sie auch einen Mädchenchor gegründet?
Schmidt-Gaden: Wir haben da drüber nachgedacht, wir schaffen das aber finanziell nicht. Wir benötigen für unseren Chor 1,4 Millionen Euro, damit kommen wir gerade so hin. Wir finanzieren uns zu über 50 Prozent durch unsere Konzerte. Dieses Problem haben die kirchlichen Chöre nicht. Außerdem gab es den großartigen Münchner Mädchenchor, für den wir auch viel Werbung gemacht haben. Der musste leider in der Corona-Zeit aufgeben. Aber es gibt das Problem eigentlich nicht, denn in Deutschland existieren 10 000 Kinderchöre und nur etwa 50 reine Knabenchöre. Wer singen will, der findet also auch eine Möglichkeit. Was allerdings richtig ist: Es gibt zu wenig Mädchenchöre.

Wie haben Sie das Programm für Ingolstadt ausgewählt?
Schmidt-Gaden: Die „Weihnachtsgeschichte“ von Carl Orff ist bereits seit Jahrzehnten im Programm und sehr erfolgreich. Wir wollten 2020 natürlich den 125. Geburtstag von Orff begehen, aber die Feierlichkeiten sind durch Corona nun immer weiter nach hinten verschoben worden. Carl Orff hat eine sehr große Bedeutung für uns, da wir immer wieder mit ihm zusammengearbeitet haben. Es gibt noch Bilder von mir, wie ich bei ihm auf dem Schoß sitze und Geige spiele. Orff hat den Tölzer Knabenchor oft weiterempfohlen und auch dirigiert. Außerdem ist die „Weihnachtsgeschichte“ ein richtiger Publikumsliebling. Vorher und nachher singt der Chor alpenländische Weihnachtslieder, begleitet von Akkordeon und Harfe.

Das Programm ist eher etwas leichtgewichtig. Aber der Chor stellt etwa auch die Drei Knaben in der Zauberflöte an der Bayerischen Staatsoper. Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit großen Dirigenten und wichtigen Orchestern?
Schmidt-Gaden: Das ist sehr wichtig. Das bereichert ungemein. Das sind Highlights, etwa der Auftritt beim Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach in der vergangenen Woche in Lausanne. Wir treten in den nächsten Wochen noch in der Münchner Isarphilharmonie auf im gleichen Werk, Dirigent ist dann Jos van Immerseel. Aber wir sind demnächst auch in der Isarphilharmonie mit Gustav Mahlers 3. Sinfonie und in der Bayerischen Staatsoper in Richard Wagners „Lohengrin“.

Das Interview führte

Jesko Schulze-Reimpell.


Das Konzert findet an diesem Montag um 19 Uhr im Kulturzentrum neun in Ingolstadt statt. Die Eintrittskarten sind erhältlich in der Tourist Information am Rathausplatz, im Westpark Ingolstadt, im Achtzig20 GmbH co. Schanzer Ludwig Store (Theresienstraße 13) sowie über Ticket Regional. Und an der Abendkasse.