„Gibt nichts Größeres“
Christoph Öttl vom SC Zell erhält Silbernes Lorbeerblatt für sein sportliches Lebenswerk

13.03.2024 | Stand 15.03.2024, 11:24 Uhr

Bei der WM 2018 führte Christoph Öttl die deutsche Nationalmannschaft als Kapitän zum Titel. Foto: privat

Seit vergangenem Freitag hat Christoph Öttl neue Profilbilder in seinen sozialen Medien. Inmitten der deutschen Sportelite wurde in der Bundeshauptstadt Berlin auch dem Zeller Stockschützen das Silberne Lorbeerblatt überreicht – womit für den 40-Jährigen ein Traum in Erfüllung gegangen ist.

Es ist der unbändige Ehrgeiz, der Öttl schon seit Kindesbeinen antreibt. Er ist vom sportlichen Wetteifern fasziniert, fängt in seiner Heimat Zell mit dem Fußballspielen an. „Ich war und bin fußballverrückt“, sagt Öttl. Doch im Gegensatz zu den meisten anderen fährt Öttl schon immer zweigleisig. Sein Papa Xaver ist 1981 Gründungsmitglied des Zeller Stockvereins, nimmt den Sohnemann schon als kleines Kind mit auf die Bahn. „Erst zum Zuschauen, ab acht Jahren hatte ich dann selbst den Stock in der Hand“, erinnert sich Öttl. Zunächst muss er sich mit der Ersatzspieler-Rolle zufrieden geben. „Das hat mich richtig gewurmt, daher habe ich danach trainiert wie ein Irrer.“ Nicht selten schießt er am Sonntagvormittag erst ein Pokalturnier und fährt anschließend mit gepackter Tasche direkt weiter auf den Sportplatz.

Bis ihn drei Bänderrisse im Sprunggelenk ausbremsen. „Wenn ich etwas mache, dann mache ich es gscheid. Beides zusammen hat nicht mehr funktioniert.“ Der Fokus verschiebt sich fortan Richtung Stocksport. „Das ist zwar eine Randsportart, aber ich war halt einfach besser als viele andere. Dann ist der Fußball erstmal hinten heruntergefallen.“

Durchbruch bei den Stockschützen

Erstmals auf Öttl aufmerksam wird der Deutsche Eisstock-Verband (DESV), als der damals 14-Jährige 1998 mit dem SC Zell Deutscher U18-Meister geworden ist. „Ich habe am Ende den entscheidenden Schuss gemacht, das vergesse ich nie.“ Rund ein Jahr später folgt bei der U16-EM das Debüt im Nationaltrikot – und mit Gold im Mannschaftszielwettbewerb auch das erste internationale Ausrufezeichen. Bis zum letzten U23-Jahr ist Öttl aus dem Nationalteam nicht mehr wegzudenken, sammelt in seiner Jugend- und Juniorenzeit 14 Medaillen.

Vom Herren-Nationalteam wagt der Zeller zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht zu träumen. „Das bestand aus lauter Koryphäen wie meinem Idol Thomas Rapp.“ Doch es dauert nicht lange, bis der ehrgeizige Sportler das nächste Statement setzt. „Im ersten Jahr nach meiner Jugend bin ich aus dem Nichts bayerischer Meister bei den Herren geworden.“ Zwei Jahre (2010) später wird Öttl DM-Vierter, versaut sich dabei mit dem letzten Wurf die Silbermedaille. „Ich war so grantig, wollte mit keinem mehr reden und war wochenlang fix und fertig.“ Doch spätestens jetzt führt kein Weg mehr an ihm vorbei, er wird zum Qualifikationslehrgang für die deutsche Nationalmannschaft eingeladen und ist fortan gesetzt – ab dem Jahr 2017 sogar mit Führungsrolle. „Das war eine große Ehre. Ich durfte vier Jahre lang Kapitän sein, das macht einen schon stolz.“

Geburt der Tochter inmitten der EM

Wie sehr, zeigt seine EM-Premiere als Mannschaftsführer. Seine Frau Michaela, die ihm bis heute stets den Rücken freihält, befindet sich zu diesem Zeitpunkt in einer komplizierten Schwangerschaft, weshalb Öttl bereits die Anreise ins tschechische Pisek verschiebt und alleine auf sich nimmt. Doch nach erfolgreicher Vorrunde wird er durch einen Handyanruf jäh aus dem Turnier gerissen. „Fruchtblase, Frühchen – damit hat man natürlich nicht gerechnet.“ Sofort setzt er sich ins Auto, macht sich auf die fünfstündige Reise ins Krankenhaus, während seine Tochter per Operation das Licht der Welt erblickt. Bereits am nächsten Tag befand sich der frisch gebackene Vater wieder auf dem Weg nach Tschechien. „Wenn es medizinisch nicht vertretbar gewesen wäre, hätte ich es nicht gemacht“, sagt Öttl und führt aus: „Meine Teamkollegen haben es gar nicht fassen können, dass ich für sie noch einmal anreise. Das war auch der erste Moment, wo ich gemerkt habe: Wir sind ein geiles Team.“

Nur ein Jahr später folgt Öttls größter Erfolg. „Der WM-Titel in Amstetten war pure Emotion. Davor hieß es oft, die Mannschaft ist nicht gut genug. Aber wir waren dominant ohne Ende, ein unbeschreibliches Gefühl. Wir haben die ganze Nacht gesungen.“ Zurück in der Heimat wird Öttl von 130 Leuten aus dem Dorf empfangen und mit Blasmusik zum Vereinsheim begleitet. „Die WM 2018 war das Highlight schlechthin und einfach perfekt.“

Im Gegensatz zur unrühmlichen Heim-WM 2020 in Regen. „Aus dem erhofften spektakulären Karriereende wurde ein einziges Chaos. Es ging nur noch um Corona, das war wirklich nicht schön.“ Dennoch habe sich der anschließende Rücktritt im Juli 2020 richtig angefühlt. „Du hast alles erreicht, was du erreichen wolltest. Und mit den Kindern fällt das Wegfahren auch immer schwerer“, erklärt der zweifache Vater.

Die eindrucksvolle Bilanz: Bei fünf WM- und sechs EM-Teilnahmen gewinnt Öttl insgesamt 16 Medaillen. Dreimal wird er mit der deutschen Mannschaft Europameister und einmal Weltmeister. Doch auch seine Einzelerfolge können sich sehen lassen, etwa Bronze bei der WM 2016 in Ritten (Italien). „Das ist für mich eigentlich ein zweiter WM-Titel.“

Shakehands mit Nancy Faeser

Und weil Öttl nicht nur Weltmeister geworden ist, sondern im Heimatverein seit knapp 20 Jahren auch abseits der Bahn – etwa als Schriftführer, Spielbetrieb- oder Website-Beauftragter – engagiert ist, wurde er am vergangenen Donnerstag mit dem Silbernen Lorbeerblatt, der höchsten staatlichen Auszeichnung für sportliche Spitzenleistungen in Deutschland, ausgezeichnet. „Wenn man für sein sportliches Lebenswerk ausgezeichnet wird, von der Innenministerin Nancy Faeser die Hand geschüttelt bekommt und man im Namen der Bundesrepublik diese Ehrung erhält, gibt es eigentlich nichts Größeres. Schon vor zehn Jahren habe ich gesagt, dass das mein großer Traum ist.“

Und was macht der 40-jährige, der als Individualkundenberater bei einer Bank arbeitet, heute? „Seit dem Rücktritt gehe ich Laufen. Angefangen habe ich mit drei Kilometern, aktuell sind es zehn und das Ziel ist aktuell ein Halbmarathon.“ Öttl braucht weiterhin Ziele, auf die er hinarbeiten kann. Auch im Stocksport ist Öttls Ehrgeiz ungebrochen: Er ist amtierender Deutscher Meister im Einzel, und will das auch bleiben. Öttl schmunzelt: „Ich bin jetzt der Gejagte.“

DK