Erdöl als Alternative
Ohne Erdgas droht der Supergau: Südstärke in Schrobenhausen zieht Plan B

Fuel-Switch beim Schrobenhausener Kartoffelstärkeunternehmen

18.08.2022 | Stand 22.09.2023, 6:45 Uhr

Beeindruckt von der strategischen Unternehmensführung zeigte sich Wirtschaftsstaatssekretär Roland Weigert (v. l.) beim Rundgang durch die Südstärke mit Werkleiter Joachim Kreuzer und Geschäftsführer Stefan Dick. Foto: Ammer

Was wird aus den ganzen Stärkekartoffeln, wenn es im Zuge der aktuellen Energiekrise plötzlich kein Erdgas mehr gibt? Die Lebensmittel können Tage gelagert werden, aber keine Wochen. Heimische Produkte könnten verrotten, weil die Maschinen stillstehen. Ein ernstes Drohszenario, dem der Schrobenhausener Hersteller und Vermarkter von Kartoffelstärke und Stärkederivaten Südstärke nun aktiv entgegenwirkt.



Und zwar mit einem sogenannten Fuel-Switch, sprich einer möglichst raschen Umstellung von Gas auf einen anderen Energieträger, in diesem Fall Erdöl.

70 Gigawattstunden Erdgas im Jahr

Ende der 1930er-Jahre gegründet blickt die Südstärkefabrik in Schrobenhausen auf so manche Krisenzeiten zurück, angefangen mit den Kriegsjahren. Die Herausforderung der aktuellen Zeit ist, wie Geschäftsführer Stefan Dick sagt: „genug Energie zu bekommen“. Denn davon braucht die Südstärke eine ganze Menge. 70 Gigawattstunden jährlich am Standort in Schrobenhausen, 100 in Sünching. Zum Vergleich: Ein Vier-Personen-Haushalt verbraucht im Jahr zwischen 12000 und 18000 Kilowattstunden an Gas. Bei der Südstärke werden mit der Energie rund 600000 Tonnen Kartoffeln pro Jahr von etwa 1400 Vertragslandwirten verarbeitet.

„Die Kartoffeln würden verrotten“

Damit das so bleibt, Energiekrise hin oder her, rüstet das Unternehmen nun um, sodass die Brenner für den größten Kessel am jeweiligen Standorten zwar weiter mit Gas, aber ebenso mit Erdöl betrieben werden können. „Denn wenn die Anlage steht, wäre das der Supergau“, sagt Dick mit Blick auf die ins Haus stehende Kartoffelernte. Dann stünden die Genossenschaftsmitglieder mit ihren Bulldogs vor den Toren, die Anhänger überquellend von frisch geernteten Stärkekartoffeln – und müssten unverrichteter Dinge wieder fahren. Denn die Südstärke hat nur Lagerkapazitäten für rund 6000 Tonnen Kartoffeln, die Menge, die an etwa drei Tagen verarbeitet wird. Unvorstellbar, wenn die Maschinerie über einige Wochen oder gar Monate nicht mehr betrieben werden könnte. „Die Kartoffeln würden verrotten, Lebensmittel würden verschwendet“, so Dick. Und ob die Landwirte dann im kommenden Jahr wieder für die Südstärke anbauen würden, wäre ebenfalls fraglich. Für sie ist eine Absatzgarantie das A und O, wie der Geschäftsführer der Genossenschaft weiß.

Deswegen hat die Firma also einen siebenstelligen Betrag in die Hand genommen und in den energetischen Plan B investiert. Im April wurde alles angeleiert – im Oktober nun soll die Umrüstung erfolgen. Warum sich das so gezogen hat? „Wir waren nicht die einzigen auf der Welt mit der Idee“, sagt Dick nur. Nicht ganz günstig mitten in der Zeit der Kartoffelkampagne, wie Werkleiter Joachim Kreuzer bestätigt. Etwa eine Woche müsse man die Produktion dafür abstellen. Doch Kreuzer hofft einfach, dass es keine weiteren Verzögerungen mehr gibt.

„Das ist strategische Unternehmensführung“

Wirtschaftsstaatssekretär Roland Weigert (FW), der das Unternehmen am Mittwoch besuchte, zeigt sich beeindruckt vom Weitblick dort. Im April hätten viele noch geschwurbelt, nicht so bei der Südstärke. „Das ist strategische Unternehmensführung.“ Insgesamt gehe es bei der aktuellen Energiethematik um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der bayerischen Industrie, so Weigert, der im Zuge seines Besuchs in Schrobenhausen die „Bodenlosigkeit in der deutschen Industriepolitik“ anprangert (ausführlicher Bericht folgt).

Auch beim Thema Energieeinsparung wird in der Schrobenhausener Südstärke weiter gedacht. Gerade entsteht eine Wärmerückgewinnungsanlage, ein Projekt, das 2020 angestoßen wurde. Zwei Gigawattstunden Gas könne man sich damit im Jahr sparen, so Dick. „Als riesiger Energieverbraucher trägt man Verantwortung“, ist er überzeugt. „Jedes Kilowatt zählt.“ Und das nicht nur, weil der Gaspreis in den vergangenen zwei Jahren von 16 auf 220 Euro pro Megawattstunde gestiegen sei. An erneuerbaren Energien ist die Südstärke ebenfalls dran – die PV-Anlage kommt, an einem Windrad in Schrobenhausen hätte man sich gerne beteiligt und aktuell laufen Gespräche in Sachen Wasserstoff. Denn dieser wäre ideal für das Unternehmen, sagt Dick.

Im Moment bleibt trotzdem die Frage: Wer bekommt im Ernstfall noch Gas? Denn ganz unabhängig von der Antwort darauf wird auch die Südstärke nicht werden, Fuel-Switch hin oder her. „Wir sind auf die Chemieindustrie angewiesen“, nennt Dick ein Beispiel. „Wenn die nichts mehr kriegt, stehen wir am übernächsten Tag.“ So greift eben alles ineinander, in einer umfassend vernetzten Industrielandschaft.

SZ