Karlshuld
Eine Karlshulderin im Einsatz für das Ahrtal

29.06.2022 | Stand 22.09.2023, 21:47 Uhr

Kerstin Lohner (links) mit Veronika, die acht Tage nach der Flutkatastrophe die kleine Maila zur Welt brachte. Foto: Lohner

Von Heidrun Budke

Karlshuld – Vor fast genau einem Jahr ereignete sich die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal. Menschen starben, andere retteten sich auf Dächer. Brücken, Straßen und Bahnlinien wurden zerstört. Häuser wurden gänzlich oder teilweise unbewohnbar. Aus ganz Deutschland machten sich Helfer auf, unterstützten bei Aufräumarbeiten, brachten Kleidung und Nahrungsmittel. Kerstin Lohner aus Karlshuld fuhr im vergangenen Oktober hin. Warum sie das damals tat und warum sie sich aktuell wieder auf den Weg gemacht hat, das erzählte sie unserer Zeitung.

„Der Auslöser war, dass es mir keine Ruhe gelassen hat, ich mir aber von zu Hause aus kein Bild machen konnte“, erzählt Kerstin Lohner. „Haben die Leute keine Autos mehr? Sind die Supermärkte weg? Haben sie kein Geld?“ Wo genau das Problem liegt, das habe sie wissen wollen – zumal sie das Gefühl gehabt habe, helfen zu müssen. Als sie im Oktober 2021 zehn Tage ins Ahrtal fuhr, stellte sie fest, dass es eigentlich alles auf einmal war und noch viel mehr.

„Da war das Gespräch von zehn Minuten auf der Straße oder zwei Stunden bei einem Kaffee“, erinnert sich Kerstin Lohner. Viele tragische Geschichten, die sie wohl nie vergessen wird, wurden ihr erzählt. So wie diese: Ein Vater und eine Mutter hielten sich in der Strömung an Ästen fest – der Vater mit dem einen Kind, die Mutter mit dem anderen. Irgendwann konnte sie sich nicht mehr halten. Die Mutter trieb mit dem Kind ab, beide starben in den Fluten.

Vor Ort habe sie gelernt, dass Hilfe nicht nur aus Aufräumen, Aufbauen, Lebensmitteln und Kleidung bestehen muss, sondern auch ganz einfach ein Gespräch sein kann, erklärt Lohner. „Die Leute wollen und können nicht nur mit ihren Nachbarn und Freunden, die das Gleiche erlebt haben, darüber reden.“ Deshalb hat sie sich Zeit genommen, zuzuhören, Informationen weiterzugeben und Kontakte zu knüpfen oder Verbindungen herzustellen – ganz, wie es die Menschen brauchten und noch immer brauchen.

Kontakt mit zwölf Familien

Inzwischen steht Kerstin Lohner, die selbst aus Schrobenhausen stammt und in Karlshuld lebt, seit ihrem ersten Ahrtal-Besuch mit zehn bis zwölf Familien in Kontakt: „Mit manchen sporadisch, mit anderen fast täglich.“ Darunter ist Veronika, die acht Tage nach der Flutkatastrophe ihre Tochter zur Welt gebracht hat. Zu Weihnachten schickte Kerstin Lohner den Familien Pakete mit Weihnachtsgeschenken. Das waren nicht immer nur nützliche Dinge, sondern manchmal etwas, das sich die Menschen einfach wünschten und das sie brauchten, um den Lebensmut aufrechtzuerhalten oder überhaupt wieder zu fassen. „Die Selbstmordrate ist dort stark gestiegen.“

In den Nachrichten, die Kerstin Lohner per WhatsApp bekommt, ist neben Ärger über die Politik, die aus Sicht mancher Betroffener tatenlos zu sein scheint, vor allem eines zu lesen: unendlich viel Dankbarkeit darüber, dass es Menschen gibt, die helfen: „Ohne euch Helfer wäre alles so viel schwerer“, das lese sie oft. Genau diese Rückmeldungen sind ein Grund, warum Lohner aktuell wieder im Ahrtal unterwegs ist. Eng getaktet besucht sie ihre „Patenfamilien“. Sie ist gespannt, wie sich die Situation entwickelt hat: Wie geht der Wiederaufbau voran? Wie läuft die Abwicklung mit den Versicherungen? Welche Hilfsangebote gibt es derzeit? Doch vor allem möchte sie wissen, wie die Menschen im Ahrtal inzwischen leben und was sie brauchen, damit es ihnen besser geht.

Kerstin Lohner ist sich sicher: Hier wird noch lange Hilfe notwendig sein, auch wenn manche diese gar nicht in Anspruch nehmen wollen. Die Scham sei groß, sagt sie. „Manche gehen erst zu den Lebensmittelausgabestellen, wenn es gar nicht mehr anders geht, teilweise im Dunkeln, um nicht gesehen zu werden.“ Die Helferzentren sollen Ende Juli schließen – wie es für die Leute im Ahrtal dann weitergehen soll, ist für die Karlshulderin ein Rätsel. Deshalb hat sie unter anderem Kontakt zu einer Frau aufgenommen, mit der sie während ihres aktuellen Besuches im Ahrtal einige Bedürftige treffen wird. Im Gepäck hat Lohner Geldspenden und Lebensmittelgutscheine.

Etwas ist ihr ganz wichtig: Sie dankt selbst den Helfern, die sich aus dem ganzen Landkreis Neuburg-Schrobenhausen bei ihr melden, um sie zu unterstützen: Das sind Privatpersonen, die auf ganz verschiedene Arten helfen. Auch jemand wie Verena Weingut vom Tante-Emma-Laden, die ein Spendenglas aufgestellt hat, das sie weiterhin stehen lassen wird. „Ich möchte mich gerne bei allen bedanken, die mich jetzt aktuell wieder unterstützt haben“, sagt Kerstin Lohner. „Denn ohne diesen Zusammenhalt und die Unterstützung könnte auch ich nicht helfen.“

Wer Fragen hat oder helfen möchte, kann sich per E-Mail an Kerstin Lohner wenden: Helfer-2021@gmx.de – da sie ihre „Patenfamilien“ gut kennt, kann sie genau sagen, was gebraucht wird.

DK