Schrobenhausen/Neuburg
Absoluter Notstand in der Pflege

Kreiskrankenhaus hält sich noch mit dem Herzblut der Beschäftigten und Zeitarbeitern über Wasser

30.03.2022 | Stand 23.09.2023, 2:08 Uhr

Der Pflegenotstand ist für sie alle ein ganz akutes Thema: Landrat Peter von der Grün (v. l.), Gesundheitsreferent Shahram Tabrizi, Pflegedienstleiterin Isabella Fischer, die Stationsleiterin der Akutgeriatrie Nadja Kornreiter, der ärztliche Leiter Martin Schreiber, Geschäftsführer Holger Koch und der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und Schrobenhausener Bürgermeister Harald Reisner. Foto: Ammer

Von Isabel Ammer

Schrobenhausen – „Der Pflegenotstand ist katastrophal.“ So drastische Worte hört man Kreiskrankenhaus-Geschäftsführer Holger Koch selten wählen. Doch die Zeiten sind schwer, es handle sich aktuell um die personell gesehen „schrecklichste Lage“ seit Corona. Doch auch ohne Pandemie fehlen dem Kreiskrankenhaus momentan rund 45 Pflegekräfte – das sind rund 40 Prozent offene Stellen. Und der Fachkräftemangel im medizinischen Bereich ist nicht nur in der Pflege eklatant. Das hat vielschichtige Gründe.



Momentan frage er beim Kreiskrankenhaus nicht mehr an, wie viele Patienten es gerade habe, sondern wie viel Personal, sagt Neuburg-Schrobenhausens Landrat Peter von der Grün (FW). Ein Problem, das aktuell durch Corona-Fälle, lange Quarantänezeiten und andere Ausfälle auch beim Personal natürlich verstärkt wird. „Wir haben zwei Stationen zusammenlegen müssen, sie hätten sonst personell nicht mehr überleben können“, berichtet Pflegedienstleiterin Isabella Fischer. Aktuell gebe es noch dazu viele Covid-Patienten im Krankenhaus und sie seien alle pflegebedürftig. Nur woher die Kräfte nehmen beim eh schon viel zu spärlich vorhandenen Personal?

Gemeistert wird die Situation nur noch dank aufopferungsvoller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit so viel Herzblut dabei sind, dass sie die zusätzliche Belastung für die Patienten in Kauf nehmen. Und diese sei enorm hoch, weiß Isabella Fischer. Aber: „Ich weiß nicht, wo wir die Leute herbringen sollen.“ Und hier kommen die Zeitarbeitsfirmen ins Spiel, deren Personal teils monatlich durch die Krankenhäuser wechselt. Die Zeitarbeiter sorgen für Unmut beim teils sehr langjährigen Bestandspersonal, denn sie müssen aufwendig eingearbeitet werden, bleiben allerhöchstens neun Monate und verdienen deutlich besser als alle anderen. „Bis zum Dreifachen“, verdeutlicht Koch. „Wir haben exorbitante Zeitarbeiterkosten.“ Kein Wunder, dass manch langjährige Mitarbeiter sich nach solchen Erfahrungen frustriert aus der Pflege abwenden, wie Isabella Fischer bedauert.

Von diesen Problemen kann auch Nadja Kornreiter ein Lied singen: Sie ist Stationsleiterin der Akutgeriatrie und hat neben sechs Vollzeit- und einigen Teilzeitkräften auch sechs Zeitarbeiter auf ihrer Station. Sie ins Team zu integrieren sei schwierig, natürlich auch wegen des Themas der Bezahlung, und sie hätten alle spezielle Anforderungen: keine Arbeit am Wochenende oder keine Nachtschicht zum Beispiel. „So einen Dienstplan schreiben ist eine Kunst“, weiß Nadja Kornreiter. Ein tägliches Jonglieren. „Aber wir sind auf sie angewiesen, sonst könnten wir den Betrieb teilweise einstellen“, fügt Isabella Fischer hinzu.

Die Gründe des Mangels beheben, das sei essenziell, sagt Gesundheitsreferent Shahram Tabrizi (FW). Am Schrobenhausener Kreiskrankenhaus behilft man sich dabei mit Personal aus dem Ausland – trotz bürokratischer Hürden. Von den Philippinen beispielsweise, was grundsätzlich gut funktioniere, aber nicht überhand nehmen dürfe. Tabrizi: „Eine heimatnahe Versorgung sollte überwiegend mit heimischem Personal funktionieren.“ Schon der Sprachbarriere wegen. Ein Beispiel: „Der bayerische Fuß geht bis zur Hüfte – das muss man erst mal verstehen.“

Corona habe auf den Personalmangel ein Brennglas gelegt, aber auch sonst seien es „anspruchsvolle Zeiten“, bestätigt der ärztliche Leiter Martin Schreiber. Die medizinische Welt verändere sich – es gebe zunehmend mehr Ärztinnen, wodurch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen ganz anderen Stellenwert bekomme. Von den aktuellen Assistenzärzten seien 80 Prozent in Teilzeit. „Man muss viel flexibler sein als früher“, weiß Schreiber. Punkten könne das Schrobenhausener Krankenhaus mit seiner familiären Atmosphäre, mit fortschrittlichen Arbeitszeitmodellen, einem guten Arbeitsklima, Wertschätzung und seiner guten Digitalisierung. Und, so Schreiber: mit einer attraktiven Umgebung. Dazu gehören Wohnraum und Kita-Plätze.

Auch im ambulanten Sektor tut sich viel. „Der klassische Landarzt scheint auszusterben“, ist Schreibers Eindruck. Gemeinschaftspraxen und medizinische Versorgungszentren seien auf dem Vormarsch. Auch hier spielt die Work-Life-Balance eine große Rolle. Hausärztemangel ist ein Problem, das auch auf Schrobenhausen zukommt. Umso wichtiger ist Harald Reisner (FW), Bürgermeister und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender, das Kreiskrankenhaus mit seiner „hervorragenden Betreuung“. Auch wenn er weiß: „Alle Umstrukturierungen sind mit Neuland verbunden.“ Wichtig sei beim Fachkräftemangel, dass die Weichen von ganz oben neu gestellt und gerade die Pflegeberufe mehr gewertschätzt würden. Denn: „Bloß klatschen ist zu wenig, davon bekommt man höchstens Tinnitus.“

„Den Standort in Schrobenhausen mit Vollgas entwickeln“

Was wird aus dem Krankenhaus-Standort in Schrobenhausen, sollte der Landkreis den Zuschlag für die größere Neuburger KJF-Klinik bekommen? Die Frage stellen sich momentan viele im Schrobenhausener Land. Doch alle Sorgen seien unnötig, wie die Verantwortlichen beim Pressegespräch am Mittwoch im Kreiskrankenhaus klar kommunizierten.

„Wir werden den Standort in Schrobenhausen in den nächsten Jahren mit Vollgas entwickeln“, betont Kreiskrankenhaus-Geschäftsführer Holger Koch. Zu 100 Prozent würden dort – unabhängig von einem Kauf von St. Elisabeth – in acht bis zehn Jahren mehr Patienten versorgen als heute. Er sei, so Koch, dem Landrat sehr dankbar, dass beide Standorte nicht zur Debatte stünden.

„Wir werden in Schrobenhausen immer einen Gesundheitsstandort haben, der sich zum Positiven weiterentwickeln wird und den wir immer stärken werden“, bestätigte Landrat Peter von der Grün (FW). Wie es mit dem angedachten Gesundheitscampus in Schrobenhausen weitergehe? Da müsse man jetzt noch ein paar Wochen auf die Entscheidung der KJF warten. Sicher sei, so der Landrat, ein bedarfsgerechter Ausbau vor Ort – und dazu gehöre für ihn unter anderem eine qualitative Notfallversorgung. Zugleich gelte es, Doppelstrukturen abzubauen und Synergien zu nutzen.

Egal, ob der Landkreis nur Träger in Schrobenhausen bleibe oder künftig beide Häuser führe: „Wir werden Schrobenhausen selbstverständlich ausbauen“, so Gesundheitsreferent Shahram Tabrizi (FW). Die Pläne für einen Gesundheitscampus seien bereits sehr weit gediehen, die Frage sei nicht, ob er kommen werde, sondern in welcher Form. Denn: „Wir werden das Konzept nicht aufgeben, für eine heimatnahe Versorgung lohnt es sich zu kämpfen und der Standort Schrobenhausen ist nicht verhandelbar.“ Man müsse den Bedürfnissen einer älter werdenden Gesellschaft gerecht werden und dürfe „nicht den Rotstift an der Gesundheit ansetzen“.

Vorteile von beiden Kliniken in einer Hand sieht Pflegedienstleiterin Isabella Fischer für das Personal. Auf diese Weise könnte es einen Springerpool geben und man könne sich in schwierigen Zeiten aushelfen. „Und bei Fachweiterbildungen wäre alles aus einer Hand.“

SZ