DK-Interview
Eichstätter Michael Kreitmeir über Lage in Sri Lanka: „Was gerade passiert, ist beispiellos“

„Little-Smile“-Gründer spricht im Interview über die zugespitzte Lage in Sri Lanka

21.05.2022 | Stand 23.09.2023, 0:57 Uhr

Die Menschen in Sri Lanka gehen auf die Straßen und protestieren, weil die Not im Land immer größer wird. Fotos: Kreitmeir

Sri Lanka/Eichstätt – Der Eichstätter und frühere TV-Journalist Michael Kreitmeir unterstützt seit mehr als 20 Jahren mit seiner Hilfsorganisation „Little Smile“ singhalesische und tamilische Kinder in Sri Lanka. Am 7. Dezember 1999 ist das Projekt des 65-Jährigen mit zwei Kinderhäusern gestartet. Inzwischen ist daraus eine Dorfgemeinschaft geworden, die über 1000 Menschen ernährt. Farmen in der Organisation „Little Smile Organic“ sind ein weiterer Baustein für die Hilfe zur Selbsthilfe. Im Interview mit unserer Zeitung spricht Kreitmeir über die aktuelle prekäre Lage in Sri Lanka, Diebstähle auf Feldern und Heimatverbundenheit.

Herr Kreitmeir, in Sri Lanka verschärft sich die Lage: Die schlechte wirtschaftliche Situation führt zu gewalttätigen Protesten, immer mehr Menschen leben in großer Armut. Vor mehr als 20 Jahren haben Sie die Kinderhilfsorganisation „Little Smile“ in dem südasiatischen Land gegründet. Haben Sie eine Phase wie die jetzige zuvor erlebt?
Michael Kreitmeir: Seit ich mich im Jahr 1999 mit dem Bau des ersten Kinderdorfes in den Bergen Sri Lankas auf das „Abenteuer Menschlichkeit“ einließ, das zu meiner Lebensaufgabe werden sollte, wurde das Land immer wieder von Katastrophen und schweren Krisen heimgesucht. Am Zweiten Weihnachtstag 2004 tötete eine bis dahin nie dagewesene Tsunamiwelle in wenigen Augenblicken 30000 Menschen und zerstörte weite Teile der Küste des Landes. Der Bürgerkrieg zwischen dem mehrheitlich singhalesischen Süden und dem überwiegend tamilischen Norden, der nach 25 Jahren und 100000 Toten erst 2009 endete, blockierte lange jede normale Entwicklung und behinderte unsere Arbeit. Wiederholt war ich in Lebensgefahr, als ich Kindern in den von Rebellen kontrollierten Gebieten half. Doch das, was gerade passiert, ist beispiellos. Nie vorher war das ganze Land, waren so viele Menschen betroffen. Die Wirtschaft ist kollabiert, es gibt kaum Lebensmittel, kein Benzin oder Diesel, kein Gas, keine Medikamente und das Geld verliert rasend schnell an Wert.

Was hat zu dieser Eskalation geführt?
Kreitmeir: Da sind einmal die externen Ursachen, mit denen nahezu die ganze Welt zu kämpfen hat: Corona hat die Wirtschaft in allen Ländern geschwächt. Dazu kam die Störung der Versorgungsketten, die vielfältige Ursachen hat. Als Putin die Ukraine überfiel und zwei Mainplayer bei der Produktion von Getreide und Kunstdünger ausfielen, wurde es für wirtschaftlich schwächere Länder wie Sri Lanka eng. Absolut unmöglich ist es für solche Länder, die Verknappung und extreme Verteuerung von Öl und Gas durch den Krieg in der Ukraine und Spekulation vieler Ölmultis zu verkraften.

Die Ursachen sind auch auf Entscheidungen im Land zurückzuführen.
Kreitmeir: Die vielen Hilfsgelder, die nach der Tsunamikatastrophe ins Land kamen, hat man überwiegend nicht sinnvoll investiert. Meist wurde und wird im Land Geld da ausgegeben, wo die Mächtigen am meisten verdienen – etwa beim Straßenbau. Dort verschwinden mindestens 50 Prozent der Gelder. Mega-Projekte wie der neue Hafen an der Südspitze des Landes, ein Flughafen, der auch mehr als zehn Jahre nach Fertigstellung nicht angeflogen werden kann, ein gigantisches Kulturzentrum und ein riesiges Cricket-Stadion im Nirgendwo: All das wurde mit Schulden finanziert und zudem an ausländische Unternehmen vergeben. Die Mächtigen haben extrem gut verdient; auf den Schulden blieb der Staat sitzen.

Inwiefern beeinflusst die angespannte Lage die Arbeit Ihrer Hilfsorganisation?
Kreitmeir: Gerade in der UVA-Provinz – der ärmsten Region des Landes, in der wir leben – sind die Armen gewohnt, mit sehr wenig auszukommen. Sie hatten selten mehr als Reis, ein wenig Gemüse und Trockenfisch. Selbst das können sich nun immer weniger Menschen leisten, und da der Staat weitgehend handlungsunfähig ist, stehen immer mehr Hungernde an unserem Tor. Besonders schlimm ist es für Alte, Kranke sowie verlassene Mütter mit Kindern. Es gibt sonst in unserer Region keinen Ort, an dem diese Menschen Hilfe bekommen.

Die Armut hängt mit den Problemen der Währung Sri-Lanka-Rupie zusammen.

Kreitmeir: Viele Jahre war hemmungslos Geld gedruckt worden, etwa um das viel zu große Heer der beim Staat Beschäftigten zu bezahlen. Der Wechselkurs wurde künstlich eingefroren, sodass ein immer größeres Ungleichgewicht entstand. Das ging so lange gut, weil das Land durch viele Touristen Devisen verdiente und man Schulden mit neuen Schulden bezahlte. Als Präsident Gotabaya Rajapaksa ein Wahlversprechen einlöste und massiv die Steuern – gerade für Reiche – senkte, der eigenen Landwirtschaft mit dem sofortigen Zwang zur organischen Anbauweise massiv schadete – eine Verordnung, die dann zurückgenommen wurde –, war es um die Wirtschaft im Land geschehen. Verzweifelt wurde versucht, an Devisen zu kommen. Im Februar dieses Jahres wurde nach einer neuen Verordnung ein Teil unserer Eurorücklagen zum festgesetzten Kurs von 230 Rupien für einen Euro zwangsumgetauscht.

Wirken sich diese Veränderungen auf die Kinderdörfer der Organisation aus?
Kreitmeir: Es ist ein großes Glück, dass mich seit acht Jahren die Ansbacherin Anka Blank vor Ort unterstützt. Sie kam nach zahlreichen Volontariaten, als ihr Studium beendet war, mit einem One-Way-Ticket und ist heute für Betreuung und Erziehung der Kinder zuständig. Mit großem Engagement und Organisationstalent hat sie ein Netzwerk mit Händlern geschaffen. So gibt es im Kinderdorf noch drei  Mahlzeiten pro Tag und die Vorräte sichern dies für die kommenden drei Monate. Da freilich immer mehr Hungernde Lebensmittel brauchen und es fast unmöglich ist, alles auf dem regulären Markt zu besorgen, müssen wir immer wieder an unsere Vorräte gehen. Noch funktioniert es mit dem Nachschub an Grundnahrungsmitteln, wenngleich diese immer teurer werden.

Haben Sie Kontakt zu anderen Einrichtungen?
Kreitmeir: Wir wissen von vielen Kinderheimen, die große Schwierigkeiten haben, die ihnen anvertrauten Kinder ausreichend zu ernähren. Besonders sind die Einrichtungen betroffen, die bisher hauptsächlich von Essensspenden gelebt haben. Wie fast immer trifft es die Schwächsten zuerst und am schlimmsten. Die bedrohten Einrichtungen können sich bei uns melden und wir schauen, wie wir am schnellsten helfen können.

Sie betreiben auch Farmen in der Organisation „Little Smile Organic“.
Kreitmeir: Es war von Anfang an meine Idee, jeder sozialen Einrichtung eine wirtschaftliche Partnereinrichtung zur Seite zu stellen, damit wir nicht von Spenden alleine abhängig sind und durch Krisen wie diese kommen. Da in den Berglagen – das Kinderdorf Mahagedara liegt auf etwa 800 Metern – Gewürze sehr gut wachsen, habe ich vor mehr als 15 Jahren begonnen, Farmen aufzubauen. Dort werden neben Tee und Kaffee Pfeffer, Zimt, Nelken und Vanille angebaut. Einen Großteil der Gewürze exportieren wir nach Deutschland. Der Verdienst wird reinvestiert, teilweise werden damit die sozialen Projekte unterstützt. Das Problem derzeit ist, dass die Not bekanntlich nicht nur erfinderisch macht, sondern Diebe und Räuber hervorbringt. Es wird ein Teil unserer unreifen Ernte von den Feldern gestohlen. Da wir nur organisch anbauen, es zwischen kleineren Feldern immer ursprüngliche Natur gibt, ist es unmöglich, die Felder rund um die Uhr zu bewachen.

Sie sind Eichstätter, verbringen die meiste Zeit aber in Sri Lanka. Haben Sie regelmäßigen Kontakt zu Ihrer Familie oder bekommen Besuch?
Kreitmeir: Es gab eine Zeit, da bin ich einmal im Jahr in die alte Heimat gekommen – etwa zwei Wochen lang, meist im Frühjahr, weil ich diese Jahreszeit so liebe und sehr vermisse. Dann kam Corona und nichts ging mehr. Wir bekamen in Sri Lanka nur das chinesische Sinopharm als Impfstoff. Mit diesem durften wir nicht nach Europa. Zudem war das Land sehr oft im Lockdown. Wir waren ganz allein auf uns gestellt – nur Anka Blank und ich für gut 100 Kinder. Als es in Deutschland besser wurde mit Corona und man wieder nach Sri Lanka reisen durfte, kamen meine Kinder im April. Die Reise war schon lange vorher gebucht. Es wurde eine besonders wertvolle Zeit, weil Sumalee, Manuel und Marco erlebten, wie schwer und unberechenbar das Leben und Helfen in Sri Lanka sind und wie wichtig es ist, niemals aufzugeben. Als sie nach zwei Wochen gefahren sind, war ich traurig und doch froh, sie in Deutschland in Sicherheit zu wissen. Denn kurz darauf eskalierte hier die Lage.

Lassen Sie uns vorausblicken: Wie wird sich die Lage in Sri Lanka entwickeln?
Kreitmeir: Viele Menschen hier sind Minimalisten; sie sind sehr geduldig und genügsam. Es braucht viel, bis sie demonstrieren. Der Hunger und die Aussichtslosigkeit hat sie nun auf die Straße getrieben. Ausgegangen ist das von einer eher kleinen Gruppe von Studenten in der Hauptstadt Colombo. Die Wut ist so groß, dass es schnell fast in allen Städten zu Unruhen kam. Es ist gerade diese Ungerechtigkeit – immer weniger Extremreiche stehen immer mehr Armen gegenüber – die nahezu allgegenwärtige Korruption, dieses totale Versagen des Staates, die wirklich jeder mehr und mehr selbst spürt. Es bräuchte einen wirklichen Neuanfang. Aber woher soll diese neue politische Kraft kommen? Die Macht haben sich in Sri Lanka seit der Unabhängigkeit immer einige Familienclans geteilt, und wohin dies das Land gebracht hat, sieht man gerade. Ich denke, es geht derzeit um Schadensbegrenzung. Besonders den Schwächsten muss geholfen werden. Ändern wird sich freilich nur etwas, wenn auch ein Umdenken der Menschen einsetzt.

Sie wollen als Beispiel vorangehen.

Kreitmeir: Man sollte sich fragen, wie man selbst handelt. Ich fahre kein dickes Auto, bin noch nie in meinem Leben Business Class geflogen, habe kein Haus in Deutschland. „Reichtum ist das Lächeln der Menschen, denen wir helfen konnten“: Das ist die Botschaft von „Little Smile“ und ich wünsche mir sehr, dass diese ankommt und der Samen aufgeht, den wir in Kindern und Mitarbeitern säen.

Wie geht es mit „Little Smile“ weiter?
Kreitmeir: Ich gehe davon aus, dass die Not wachsen wird, dass es immer mehr Menschen geben wird, die ohne Hilfe nicht mehr über die Runde kommen. Die „Little Smile Assoziation“ wird noch mehr als bisher Ansprechpartner sein und Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Durch die vielen Kinder und Jugendlichen, die in Einrichtungen von „Little Smile“ leben und aufwachsen, wollen wir weiterhin einen Beitrag leisten, dass sich in den Köpfen etwas ändert. Da fängt jede Veränderung an.

Wie können die Menschen in Ihrer Heimatregion Sie unterstützen?
Kreitmeir: Eichstätt ist der Sitz des Little Smile e.V., der unsere Arbeit in vielfältiger Weise unterstützt. Es wäre mir ein Herzensanliegen, dass sich neue Mitglieder finden, die mit Energie und Ideen dazu beitragen. Die Bischofsstadt im Altmühltal soll weiterhin das deutsche Zentrum von „Little Smile“ bleiben. Informationen gibt es unter der Telefonnummer (01575) 3281524 oder jeden Mittwoch von 10 bis 11.30 Uhr im Vereinsbüro in der Pfahlstraße 12. Mir hat es in der Vergangenheit besonders in Krisen sehr geholfen – etwa als ich unschuldig im Gefängnis saß –, dass es Menschen gibt, die mich und das, was ich im fernen Sri Lanka tue, nicht vergessen haben. Der Ort, an dem man geboren und aufgewachsen ist, spielt in der eigenen Gefühlswelt eine ganz besondere Rolle; er ist und bleibt Heimat. Es fällt mir schwer, angesichts der nicht einfachen Situation in der Heimat, der riesigen Not in der Ukraine und drohender Hungerkatastrophen in einigen Ländern Afrikas um Spenden für „Little Smile“ zu bitten. Es wäre für mich aber ein wunderbares Geschenk, zu wissen, dass unser Kampf um ein Lächeln für Menschen in Not – besonders für Kinder – in meiner Heimatstadt nicht vergessen wird.

EKDie Fragen stellteLina Schönach.