Erinnerung an jüdische Bevölkerung
Der Opfer oft nur lau und pflichtschuldig gedacht – Engagement Einzelner für deren Gedächtnis

27.01.2024 | Stand 27.01.2024, 11:00 Uhr

Erich Naab vor dem Glasgemälde „Jüngstes (oder Letztes) Gericht“ im Mortuarium des Eichstätter Doms. Fotos: Hoffmann/pde

Von Erich Naab

Zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust wurde der 27. Januar erklärt. Wenn an öffentlichen Gebäuden Trauerbeflaggung gesetzt wird, fragen viele nach dem Grund. Häufiger wird am 9. November an die Grausamkeiten der Pogromnacht und ihrer Folgen erinnert, oft nur lau und pflichtschuldig. Die vielen anderen Opfergruppen kommen so nicht in den Blick: Neben den europäischen Juden wurden weitere Gruppen entrechtet, gequält, ermordet.

Da die Bösartigkeit der radikalen Völkischen sich wieder breitmacht, sei an die jüdische Bevölkerung und die Erinnerung in Eichstätt gedacht. Schon im Mittelalter gab es hier eine jüdische Gemeinde. Als die Juden nicht mehr zum Aufbau der Stadt gebraucht wurden, wurden sie vertrieben. Das geschah unter dem Reformbischof Johann III. von Eych (1445-64), den das Domkapitel nur wählen wollte, wenn er die Ungläubigen austreibt. Zurück blieben neben vagen Erinnerungen Hass, Schmähungen und Judenfratzen. An der Decke des Domes zwischen den Säulenzwickeln erschrecken sie zusammen mit Dämonen die Gläubigen. Im Höllenschlund befänden sie sich, wie das Letzte Gericht von Hans Holbein dem Älteren und das alte Tympanon aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, beide im Mortuarium des Domes, vor Augen stellen. Sie sind an ihrem Hut und ihre Schuld an Geldsäcken zu erkennen. Die religiöse Begründung aus dem Kreuzestod Jesu war kaum mehr als ein Vorwand.

Von Ausnahmen abgesehen, durften sich Juden erst ab 1861 in Eichstätt niederlassen, ihre volle rechtliche Gleichstellung erreichten sie zehn Jahre später. Sie waren jetzt deutsche Staatsbürger. Ihre Stigmatisierung haben sie wohl nie überwunden, trotz erstaunlicher Leistungen in der Restauration der verfallenden Häuser, ihrer Bildung, ihrer Stiftungen, den vom Kaiserreich ausgezeichneten Leistungen der zwölf jüdischen Teilnehmer am Ersten Weltkrieg. In konkreten Erinnerungen ist regelmäßig von fairem Handel die Rede. Bis Ende des Krieges waren sie als Händler und Kaufleute, als Rechtsanwälte und Musiker, als Mitglieder der Vereine geachtet.

1923 bildet sich die erste Ortsgruppe der NSDAP. Schmierereien an jüdischen Häusern treten auf. Im Februar 1924 kommt es in der Westenstraße zu nächtlichem Krawall. Die Eichstätter Polizei spricht ausdrücklich von Landfriedensbruch und bringt den Vorfall beim Stadtrat zur Anzeige. Der Stadtrat, beherrscht von der Bayerischen Volkspartei (BVP), wiegelt ab. Der Riss in der städtischen Gesellschaft wird von Jahr zu Jahr deutlicher. Ab 1933 werden „alternative Fakten“ geschaffen: Nichtigkeiten werden zu Kapitalverbrechen und Staatsverrat.

Bischof Konrad von Preysing (1932-35) stellte in einem Hirtenwort (27.5.1934) dem Rasse-Gedanken das Bild der Kirche als weltumspannender Völkergemeinschaft entgegen, in der alles Trennende durch den gemeinsamen Glauben überwunden sei. Die Wut der Hitler war groß. Die Sturmabteilung (SA) zerschoss 1934 in Eichstätt ein Bild des Bischofs. Mit der Familie des jüdischen Rechtsanwaltes Hänlein hielt Preysing freundschaftlichen Kontakt, in Eichstätt, bei der Flucht und nach dem Krieg. Aber im Klerus zeigt sich kaum Rücksicht auf Juden, nicht einmal wirklich auf Konvertierte, wie eine Empfehlung im Pastoralblatt (1934) zeigt: Die Ausreisewilligen „nichtarischen Katholiken“ könnten Kontakt mit dem St. Raphaelsverein aufnehmen; wer sich die Ausreise finanziell nicht leisten kann, solle notgedrungen im Land bleiben. Kein Wort zu den nicht-getauften Nicht-Ariern!

Preysings Nachfolger Michael Rackl (1935-48) war völkisch und national gesinnt. Er verteidigte die Bekenntnisschulen, seine Hochschule, auch den Klerus in der Welle der Sittlichkeitsprozesse 1936/37 mit deutlichen Worten. Spätestens mit dem Krieg scheint er sich der Partei unterzuordnen. Im Oktober 1936 wirbt er für das nationalsozialistische Winterhilfswerk: Ihm reichlich zu spenden sei vaterländische und christliche Pflicht. Er geht so weit, diese Spenden als Opfer an Gott selbst zu glorifizieren. Die Synagogen rauchten noch von der Pogromnacht. Der Mob war entfesselt, die Vorzeichen für den Holocaust gesetzt. Das Ideal, die Hoffnung der Glaubenden wurde beschmutzt. Ein Einsatz für Verfolgte ist nicht bekannt. Die wesentliche Gleichheit aller Menschen vor Gott ist bedeutungslos geworden. Die kleine jüdische Gemeinschaft Eichstätts war seit der Jahrhundertwende durch Abwanderung zusammengeschrumpft. Die letzte Familie wurde im November 1938 ausgewiesen. Damit war erneut die jüdische Geschichte in Eichstätt zu Ende.

Nach dem Krieg wurden in Eichstätt Lager für Überlebende der Gräuel und für Flüchtlinge vor den neuen antisemitischen Übergriffen in Osteuropa errichtet. 1949 wurden die Lager aufgelöst – und bald geradezu vergessen. Wurden zuerst Menschen physisch vernichtet, so begann mit Verdrängen und Vergessen eine Auslöschung ihres Gedächtnisses. Es mussten Jahrzehnte vergehen, bis das Vergessen einer mühsamen Erinnerung wich. Sie war durch das Engagement Einzelner, durch den Willen nach Versöhnung, durch demütige Achtung der Verfolgten ins Werk gesetzt worden.

EKDer Verfasser dieses Textes ist Vorsitzender des Diözesangeschichtsvereins Eichstätt.