Die
Eberhard Schöler: Ein Opel als Siegprämie

Früheres Tischtennis-Ass Eberhard Schöler hat dem jetzigen Aushängeschild Timo Boll etwas voraus – ein WM-Einzelfinale

10.01.2012 | Stand 03.12.2020, 1:57 Uhr

 

Die klassische Hornbrille gehörte zu seinen Markenzeichen. Genau wie sein unbeweglicher Gesichtsausdruck. Als „Mister Pokerface“ trieb Eberhard Schöler mit stoischer Ruhe und seinem nahezu perfektem Abwehrspiel in den 60er und 70er Jahren selbst die asiatischen Tischtenniskünstler schier zur Verzweiflung.

Längst ist der Düsseldorfer ein Idol. Und zwar auf mehreren Ebenen. Als Spieler gewann das Defensiv-Ass 1969 in München WM-Silbermedaillen im Einzel und mit dem Team. Bei Weltmeisterschaften holte er fünf weitere Edelmetalle. Unter anderem 1973 im gemischten Doppel mit seiner Ehefrau Diane. Bei Europameisterschaften stand er sechsmal auf dem Podest. Mit neun DM-Titeln führt der Träger des Verdienstkreuzes am Bande gemeinsam mit dem Ex-Gönnerner Timo Boll und Conny Freundorfer die ewige Bestenliste an. Als Funktionär ist Schöler weiter als stellvertretender ETTU-Präsident aktiv. Auch hier bringt er sich, wie sollte es anders sein, als weitsichtiger und völlig unaufgeregter Stratege ein.

„Er ist unter den Fairen der Fairste, unter den Toleranten der Toleranteste, unter den Anständigen der Anständigste“, hat einmal sein Weggefährte, DTTB-Ehrenpräsident Hans Wilhelm Gäb, über Schöler gesagt, der selbst seinem jungen Clubkameraden Timo Boll sportlich immer noch eines voraus hat: den Einzug in ein WM-Einzelfinale.

 

Guten Tag, Herr Schöler, die Asiaten dominieren genau wie vor 50 Jahren die Tischtennis-Szene, was macht es so unheimlich schwer, in diese Phalanx einzubrechen?

Eberhard Schöler: Wenn unsere Trainer das genau wüssten, könnten sie geeignete Maßnahmen ergreifen. In China spielt sicherlich die zentrale Steuerung eine große Rolle, die bei uns in dieser Form wegen der komplexen Vereins- und Wettkampfstrukturen kaum umsetzbar ist.

 

Timo Boll, quasi Ihr Düsseldorfer Nachfahre, belegt derzeit Rang vier in der Weltrangliste hinter drei Chinesen. Welche Chancen räumen Sie ihm ein, sich auch in den kommenden Jahren gegen die gelbe Übermacht zu behaupten?

Schöler: Das wird schwer werden, ist aber nicht unmöglich. Er muss gesund und körperlich fit sein, dann kann er auch die besten Chinesen schlagen. Eine große Chance wird er im nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen in London haben. Da ist die Teilnehmerzahl je Nation gegenüber den Weltmeisterschaften reduziert. Um eine Medaille zu gewinnen, muss er möglicherweise nur einen Chinesen schlagen. Ausschlaggebend wird die Auslosung sein.

 

Obwohl die Bälle inzwischen größer sind als früher, wird das Spiel immer schneller und athletischer, die Ballwechsel immer atemberaubender und spektakulärer. Kann es überhaupt noch eine Steigerung geben?

Schöler: Ja. Spieler und Trainer entwickeln sich weiter. Wir dürfen gespannt sein, welche Ideen für Athletik und Spieltechnik in Zukunft geboren werden.

 

Sie haben schon in den 60er Jahren mit verschiedenen Belägen, klassisches Noppengummi auf der einen, Noppen-innen-Belag auf der anderen Seite, gespielt. Sehen Sie sich als Vorläufer des Kombischlägers?

Schöler: Nein. Damals haben viele Spieler diese Kombination benutzt. Ich weiß nicht mehr, wer der erste war, nachdem der DTTB die Schaumgummibeläge nach der WM in Dortmund 1959 wieder zugelassen hatte.

 

Mit Ihrer Defensivtaktik haben Sie Ihre Gegner erst zermürbt, dann in Rage gebracht und mit eingestreuten knallharten Vorhandschlägen – der Schöler-Peitsche – den Widerstand endgültig gebrochen. Wann haben Sie diesen Stil kreiert?

Schöler: Das hat sich einfach im Laufe der Zeit so entwickelt. Am Anfang war meine Verteidigung ziemlich hoch, manchmal sogar bewusst hoch, um den Gegner zum Angreifen zu reizen. Später wurde die Abwehr sicherer, flacher und präziser. Um einer „Löffelei“ auszuweichen, habe ich dann probiert, zwischendurch anzugreifen – ohne Trainer und deshalb technisch nicht ganz einwandfrei. Aber einige Bälle habe ich gut und überraschend getroffen.

 

Sie galten als Mister Pokerface, der Abwehrspezialist, der keine Miene verzieht. Niemals. Waren Sie auch innerlich so ruhig, gerade wenn es in die damals noch praktizierten Zeitspiele ging?

Schöler: Ich bin einigermaßen ruhig und ausgeglichen. Meine Konzentrationsfähigkeit ist vermutlich überdurchschnittlich. Dadurch geht aber wohl etwas an Temperament verloren.

 

Wir haben Sie an der Platte nur mit Brille gekannt. Sonst tragen Sie die eher selten, wie kommt’s?

Schöler: Das ist eine lange Geschichte: Als meine Mutter mit mir 1945 – mein Vater und Bruder waren im Krieg – vor den Russen von Pommern in den Westen flüchteten, sind wir nach Scheeßel, das ist ein kleiner Ort zwischen Hamburg und Bremen, wo wir dann bis 1949 wohnten. Ein Cousin meiner Mutter war dort Optiker, der feststellte, dass ich eine leichte Sehschwäche habe. Er verordnete mir eine Brille, betonte aber gleichzeitig, ich solle sie nicht immer tragen. Seitdem setze ich sie nur beim Tischtennis, im Kino, beim Fernsehen und beim Autofahren auf. Ich weiß nicht, ob das medizinisch korrekt war. Mein Augenlicht hat sich über die Jahrzehnte nicht verschlechtert. Heute ist meine Weitsicht ganz normal, ohne Kontaktlinsen; lediglich beim Lesen von Kleingedrucktem nehme ich die Brille.

 

Die WM-Bronzemedaillen 1965 und 1967 haben Sie mit der Vizeweltmeisterschaft 1969 getoppt. Wie gut erinnern Sie sich an das Finale in München gegen den Japaner Shigeo Ito?

Schöler: Sehr gut. Das war unvergesslich in der wunderbaren Atmosphäre vor ausverkauftem Haus. Das Turnier war hart für mich, weil ich deutlich mehr Spiele zu absolvieren hatte als die Japaner, die alle Mannschaftsspiele glatt gewonnen hatten. Wir haben einiges von München 1969 gelernt und später eingeführt – den roten Boden, um den Ball besser sichtbar zu machen, eine bessere Zeitplanung und die Betreuung durch Arzt und Masseur, was es damals bei uns nicht gab – um nur einige Bereiche zu nennen.

 

Was war Ihre außergewöhnlichste Siegprämie?

Schöler: (lacht) Ein Auto. Ein uralter Opel Rekord. Aufgemotzt, mit schwarzen Felgen. Den gab’s für den Turniersieg 1966 in Remscheid. Wilfried Lieck und ich haben unheimlich lange und hart darum gekämpft. Es war mein erstes Auto.

 

Sie haben das Bundesverdienstkreuz am Bande ebenso verliehen bekommen wie das Silberne Lorbeerblatt der Bundesrepublik, sind für Ihr vorbildlich sportliches Verhalten mit der Barna-Trophy und dem von Max Schmeling überreichten Fair-Play-Pokal ausgezeichnet worden und wurden außerdem 1999 mit dem Georg-von-Opel-Preis als „Unvergessener Sieger“ geehrt. Dazu wurden Sie als erster Tischtennisspieler in die Hall of Fame des deutschen Sports berufen. Welche Auszeichnung ist Ihnen die wichtigste?

Schöler: Alle Auszeichnungen haben mich gefreut. Ich habe sie als Zeichen der Anerkennung für meinen Einsatz empfunden. Das erste Silberne Lorbeerblatt, überreicht von dem damaligen Bundesinnenminister Dr. Benda, hat einen besonderen Stellenwert – das zweite hat mir Bundespräsident Lübke verliehen. Die späteren Auszeichnungen sind vielleicht wichtiger; ich habe sie aber mehr als Ehrung für den Tischtennissport insgesamt wahrgenommen.

 

Wo stehen eigentlich Ihre Trophäen?

Schöler: In Schränken in unserem gemeinsamen Büro, in dem auch für Tischtennis gearbeitet wird – und sind teilweise sichtbar, teilweise unsichtbar. In unserem Wohnbereich möchten weder Diane noch ich sie haben.

 

Es müssen da eine ganze Menge zusammengekommen sein, denn Ihre Frau Diane räumte allein bei Weltmeisterschaften 20 Medaillen ab . . .

Schöler: Sie hat nur einen Teil aus England mit nach Düsseldorf gebracht. Der andere ist bei ihrer Zwillingsschwester Rosalind. Für Diane war es damals eine schwierige Entscheidung, zu mir nach Düsseldorf zu ziehen. In England war sie der absolute Star, die Queen of Table Tennis, hier nur die Frau von Eberhard Schöler, die zunächst kein Wort Deutsch sprach. Aber sie hat es gut hinbekommen. Sie ist zudem weiter Präsidentin des Swaythling Clubs SCI mit rund 600 früheren Meistern und Nationalspielern als Mitglieder, die sich bemühen, den Gedanken von Fairness und Freundschaft im Sport hochzuhalten. Der SCI ist übrigens – autorisiert durch den Weltverband ITTF – verantwortlich für die Senioren-Weltmeisterschaften, die alle zwei Jahre mit mehr als 2000 Teilnehmern ausgetragen werden. So ist Diane genau wie ich dem Tischtennis weiter stark verbunden.