Einmal ins Paradies und zurück

09.07.2009 | Stand 03.12.2020, 4:49 Uhr

Coole Jungs: In Goodwood rekrutieren sich die "wilden Reiter" für Audi Tradition aus (von rechts) Allan McNish, Harald Demuth, Marco Werner, Frank Biela, Rinaldo Capello, Nick Mason, Jacky Ickx, Walter Röhrl, Hannu Mikkola, Arne Hertz, Stig Blomqvist, Altfrid Heger und Emanuele Pirro. - Fotos: Stefan Warter/ok

Goodwood (DK) "Das ist mit Worten nicht zu beschreiben, das glaubt mir zu Hause eh kein Mensch." Timo Schiemer von Audi Tradition hat schon viel gesehen auf der Welt. Aber beim Festival of Speed im südenglischen Goodwood verschlägt es dem Neckarsulmer dann doch die Sprache.

Im scheinbar endlosen Park von Lord March wird Unmögliches möglich, Unerreichbares erreichbar: Hier finden sich reihenweise Superstars zum Anfassen, teuerste Rennwagen warten in allernächster Nähe auf bewundernde Blicke. Nirgendwo sonst auf der Welt ist ein Urlaub in der Motorsport-Historie so atemberaubend, das Eintauchen in die Menge Gleichgesinnter so faszinierend.

Dirk, einer aus der weit gereisten Formel-1-Truppe von Toyota, laufen Schauer über den Rücken: "Schau, ich habe eine Gänsehaut. Da ist man ja plötzlich wieder 15", steht er vor der kreischenden Kreidler Van Veen aus dem Jahr 1970. Dabei ist diese Rennmaschine ja nur eine Mücke unter den Elefanten in Goodwood, auf der Rennstrecke die zur Maschine gewordene Langsamkeit, eher Nebensache im Fahrerlager der Motorsportpreziosen.

Mechaniker unter Druck

Trotz der Werte und der Berühmtheiten geht es gemütlich zu auf dem Gelände, das der Vater des jetzigen Lord einstmals als Basis für die Royal Air Force in der Luftschlacht gegen Deutschland vermietet hatte. Erfolgsdruck verspürt bei strahlendem Sonnenschein hier niemand, zumindest kein Zuschauer und kein Fahrer. Nur manche Mechaniker (vor allem die von Audi Tradition). Sie müssen die mitunter sündhaft teuren oder gar einmaligen Boliden den am Volant drehenden Heroen zur rechten Zeit fahrtüchtig hinstellen. Schade, wenn dann ein Typ-D-Rennwagen von Auto Union schwächelt.

Es schmerzt, wenn ein so betagtes Vehikel nicht funktioniert. Jeder versteht es, aber keiner will es wahr haben. Jackie Ickx am wenigsten, denn er war einer der Leidtragenden. Sein Renner wollte nicht, der Belgier packte tapfer mit an, als der Silberpfeil zurückgeschoben wurde. Der dreimalige Le-Mans-Teilnehmer Nick Mason, "Kollege" am Steuer eines anderen Typ D, bewies ein großes Herz: "Fahr’ am Nachmittag meinen Typ D", bot er an. Ickx nahm dankend an, Pink-Floyd-Drummer Mason ist spätestens jetzt auch für Ickx ein Held. Für Audi Tradition sowieso: Der Engländer ist der einzige Mensch, der alle drei derzeit fahrbereiten Typ-D-Renner von Audi bewegt hat.

"Da kriegst du den Vogel"

Begeisterung auch unter den Stars, den Piloten. Walter Röhrl zum Beispiel "Die Atmosphäre ist toll, so etwas erlebst du weltweit nur in Goodwood." Rallye-Kollege Harald Demuth schwärmt ebenfalls: "Die komplette Motorsport-Historie auf einem Fleck – da kriegst du den absoluten Vogel, wenn du das miterlebst." Security? Fast ein Fremdwort. Zumindest an den Autos. Niemand verscheucht auch nur einen Fan, selbst wenn er ein "Do not touch" mal nicht so ernst nimmt.

Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton nimmt ein Bad in der Menge, US-Megastar Jesse James (mit der fast schüchtern durchs Fahrerlager schlendernden Sandra Bullock verheiratet) beantwortet jede Frage, ehe er in seinem 800-PS-Wüstentruck losprescht und im Ziel ohne groß zu bremsen direkt ins Offroadgelände donnert. So etwas ansonsten Verbotenes wollen Jung und Alt zumindest einmal im Leben sehen.

Nahezu unerkannt streifen andere durch die Menge. So wie Taylor Earnhardt, die Tochter des viel zu früh gestorbenen NASCAR-Idols Dale Earnhardt. Auch Arne Hertz, Beifahrer von Hannu Mikkola, den Rallyeweltmeister von 1983. Oder Kenny Williams, Beifahrer von Seitenwagen-Weltmeister Rolf Biland und in Goodwood im Boot des Deutschen Ralph Bohnhorst.

Früh morgens scheinen sich Autos und Motorräder unter ohrenbetäubendem Lärm von der Langeweile der Nacht zu befreien, die Freundlichkeit der Engländer beschämt den Gast ganztags. Ein "Guten Morgen, mein Herr" hier, ein "Einen schönen Tag" dort oder "Ich wünsche eine gute Heimfahrt" – das hat Stil.

Auch wenn viele Mädels und Jungs den Berg hinauf heizen, als wäre der Teufel hinter ihnen her – die Demonstrationsfahrten sollen den Zuschauern vor allem Zeit geben, Modelle aus über 100 Jahren Motorsportgeschichte zu bewundern und zu beklatschen. Dass ein Walter Röhrl im Audi Sport quattro S1 Pikes Peak beim Start die Stoppuhr am Arm startet, ist ebenso selbstverständlich wie die durchdrehenden Reifen der Formel-1-Rennwagen oder der omnipräsente Geruch von verbranntem Kraftstoff. Gesund schmeckt anders, aber bei vielen weckt es Erinnerungen an früher.

Manche macht es vielleicht auch locker. Frank Biela, fünfmaliger Le-Mans-Gewinner mit Audi, verrät, dass er gerne mal die Rallye Dakar fahren würde, Asket Röhrl gibt zu, dass ihm die Würste im Kommunikationstruck von Audi besonders gut schmecken: "Ich habe nur zwei gegessen, dabei hätte ich gerne vier gegessen."

"Waren drei gute Tage"

Audi Tradition zelebriert in Goodwood sehr eindrucksvoll "100 Jahre Audi". Und Stig Blomqvist, Rallye-Weltmeister 1984 im Audi quattro, sagt, was alle anderen im Team denken: "Ich saß heute wie damals im richtigen Auto, wir alle haben es genossen. Ich hoffe, ich bin im nächsten Jahr wieder hier. Die drei Tage hier waren drei gute Tage."