Pfaffenhofen
Überzeugungssache

Dorothee Mooser hat es mit viel Ehrgeiz aber ohne Verbissenheit zur Drittliga-Handballerin mit Spitzen-Jura-Abschluss geschafft

04.08.2020 | Stand 23.09.2023, 13:21 Uhr
Erfolgreich mit jedem Verein: Mit den Drittliga-Handballerinnen des ESV Regensburg (oberes Bild, Mitte) wäre Dorothee Mooser ohne die Corona-Krise in die Zweite Liga aufgestiegen, mit dem MTV Pfaffenhofen stieg die 26-Jährige 2012 in die Landesliga auf (unten rechts). −Foto: Stolle, Missy, privat

Pfaffenhofen - Sie hätte das schon hinbekommen mit der Promotion und der 2. Liga.

 

Während die meisten anderen Menschen mit nur einem davon überfordert wären, sitzt Dorothee Mooser in einem Pfaffenhofener Café und wirkt entspannt. "Ich kann mir die Zeit ja relativ frei einteilen", sagt die Handballerin des ESV Regensburg. Neben dem Doktortitel in Jura 2. Liga spielen, so hätten die Jahre 2020 und 2021 für Mooser aussehen können. Doch die Corona-Krise hat die Pläne vieler Menschen in den Konjunktiv versetzt. In der fünf Spieltage vor Saisonende abgebrochenen 3. Liga lagen die Regensburgerinnen auf dem zweiten Tabellenplatz, waren aufstiegsberechtigt - aber wegen der Corona-Krise fehlen Sponsorengelder. "Es hätten alle Lust gehabt, auch der Verein stand sehr dahinter, unsere Halle wurde renoviert", sagt Mooser. "Jetzt ist es besonders bitter. "

So ruhig dahingesagt kommt diese Aussage fast schon harmlos daher. Mooser hätte die Situation auch tragisch oder katastrophal nennen können. In ihrer siebten Spielzeit in Regensburg wäre das der absolute Höhepunkt gewesen - ihr persönlicher und jener der ganzen Mannschaft. Mal schafften die Regensburgerinnen gerade so den Klassenerhalt, mal verpassten sie den Aufstieg knapp. Mooser ist 26 Jahre alt, in einem Jahr beginnt das Referendariat an einem Gericht. Dann bleibt für Spitzenhandball auf diesem Niveau kaum noch Zeit. Zum Abschluss noch eine Saison in der 2. Liga wäre die Krönung einer Handballkarriere gewesen, die vollkommen auf Erfolg und Leistung getrimmt zu sein scheint. Warum frustriert sie dieses Corona-Pech dann nicht viel stärker?

Von Sportlern, die in die nationale Spitze vorstoßen, nimmt man gemeinhin an, das sei schon in frühester Kindheit zu erkennen gewesen. "Nein, bei Dorothee würde ich das nicht sagen", sagt Frank Kallenberg. Als Mooser mit 13 Jahren von den Handball-Füchsen Scheyern zu Kallenberg in die weibliche C-Jugend des MTV Pfaffenhofen wechselt, stehen erstmal "banale Sachen wie Wurf- und Passtraining" auf dem Programm. Der Grund: Von den Minis bis zur C-Jugend spielte Mooser in Scheyern im Tor. Weil sie am Ende lieber im Feld und auch etwas leistungsbezogener spielen will, wechselt sie zum MTV. "Dort haben wir in der Jugend eigentlich die ganze Zeit Landesliga gespielt", sagt Mooser, die in Pfaffenhofen zur Kreisläuferin umfunktioniert wird.

Rund um diese Mannschaft entsteht beim MTV eine Goldene Generation, bemerkenswert viele Spielerinnen schaffen den Sprung in den höherklassigen Handball. Paulina Kallenberg spielt später in Regensburg A-Jugend-Bundesliga, ihre Schwester Josepha in Zwickau 2. Liga. Simone und Steffi Unger laufen für den ASV Dachau in der 3. Liga auf, Kathrin Tischler spielt in Ismaning und Sandra Daschner in Ebersberg Bayernliga. Und Julia und Laura Thalhammer prägen ganz stark das Spiel der MTV-Frauen, die vergangene Saison in die Landesliga aufgestiegen sind. "Darauf ist man natürlich stolz", sagt Kallenberg. Er, seine Frau Martina und der aktuelle Frauen-Trainer Thomas Hofmann verantworten seit vielen Jahren den weiblichen Bereich beim MTV. "Die Grundlagen und das Interesse am Sport kommen aus dem Heimatverein", sagt Kallenberg. Das sei toll für die persönliche Entwicklung der Spielerinnen, aber auch ein bisschen schade für den Ausbildungsverein.

 

Moosers Karriereweg steht symptomatisch für diese ambivalente Gefühlslage. Anfang 2010 sammelt sie noch als B-Jugendliche Spielpraxis in der MTV-Frauenmannschaft, steigt mit dem Team in die Landesliga auf - nach dem Abitur steht für die Scheyrerin aber fest, den Verein wechseln zu wollen. "Der ESV hatte gehört, dass ich überlege in Regensburg zu studieren und mich angerufen", sagt die 26-Jährige. "Das war ganz cool, aber auch ganz anders, weil es da wirklich leistungsbezogen war. "Anfangs spielt die Scheyrerin für die Zweite Mannschaft in der Bayernliga, dann parallel für die Erste Mannschaft, ab 2015 nur noch im Drittliga-Team.

Der Weg geht steil nach oben, aber nicht mit der Brechstange. Eigentlich wäre Mooser direkt für die Erste Mannschaft vorgesehen gewesen, bevorzugt aber selbst den Zwischenschritt über die Bayernliga, um sich zu akklimatisieren. Das Ziel ist es, Jura zu studieren und hochklassigen Handball zu spielen. Deswegen beeinflusst das Interesse des ESV die Wahl des Studienorts mehr als die Aussicht auf eine schöne Altstadt. Und weil das Jurastudium "nicht stressig und wenig zeitaufwendig" ist, verbringt Mooser "extrem viel Zeit in der Halle". Vier Trainingseinheiten pro Woche, dazu die Spiele am Wochenende, zwischenzeitlich ist Mooser sogar als Trainerin bei Minis- und A-Jugendmannschaften aktiv. Im Kinderhandball noch Torhüterin, in der Jugend ohne jedes Auswahlspiel für den Bayerischen Handball-Verband - und jetzt ist Mooser Abwehrchefin in der 3. Liga.

Auch diese Entwicklung ist konsequent. Schon in Pfaffenhofen liegen ihre Stärken in der Defensive. "Sie spielt sehr kämpferisch und hält die Abwehr auch mit lauten Kommandos zusammen", sagt Moosers ehemaliger Jugendtrainer Kallenberg. Beim ESV läuft die 26-Jährige teils über den Spezialistenwechsel ausschließlich in der Deckung auf. Für das starke Stellungsspiel und Zweikampfverhalten kommt ihr mit 1,79 Meter Körpergröße sicherlich die Physis entgegen. Die ehemalige Mitspielern Laura Thalhammer meint: "Doro war immer unser Abwehrviech. " Im Handballkontext ist das unbedingt als Kompliment zu verstehen. "Teilweise hat sie problemlos zwei Gegenspieler gleichzeitig gehabt. "

Doch wenn man Mooser spielen sieht, bemerkt man auch etwas anderes als gewonnene Zweikämpfe, geblockte Würfe oder raumschaffende Sperren. Mooser spielt nicht nur mannschaftsdienlich, sie denkt auch so. Gewinnt die Nebenfrau einen wichtigen Zweikampf, wird intensiv abgeklatscht, wirft eine Mitspielerin ein Tor, ballt Mooser demonstrativ die Faust. Oft sind es die kleinen Gesten, die einem Team Erfolgswillen vermitteln.

 

Manchmal aber braucht es auch die großen Gesten. In der vergangenen Saison peilen die Bunkerladies, wie der ESV sein Frauen-Team nennt, den Aufstieg an. Der Saisonstart gelingt, Regensburg spielt oben mit, doch irgendwann ändern sich Training und Ansprache. Zwischen der Mannschaft und den Trainern funktioniert es nicht mehr. "Es hat sich dann angedeutet, dass wir was anderes brauchen, damit wir den Aufstieg schaffen", erzählt Mooser. Mit einer Mitspielerin regt die 26-Jährige bei der Vereinsführung einen Trainerwechsel an. "Es war nicht so, dass wir groß überreden mussten", sagt sie.

Sich vor Entscheidungen nicht wegzuducken dürfte bei der beruflichen Karriere ähnlich viel helfen, wie ihr Prädikatsexamen mit der Note 9,28. Statt in neun Semestern Regelstudienzeit schreibt Mooser das Examen nach acht Semestern. "Wenn ich das im zweiten Examen nochmal schaffe, dann könnte ich beim Staat als Richterin arbeiten", sagt die 26-Jährige, die keinen Job in der freien Wirtschaft mit womöglich besserem Gehalt anstrebt. "Das ist eine Überzeugungssache", sagt sie. "Ich wünsche mir manchmal, dass manche Urteile gerechter ausfallen. " Mooser hat Respekt vor der Verantwortung, davor mit tragischen Schicksalen konfrontiert zu werden und auch ein bisschen davor, abzustumpfen. Trotzdem kommt zum Idealismus auch Pragmatismus hinzu. Sie will Karriere machen. "Man fängt ja meistens am Amtsgericht an, aber da würde ich dann auch raus wollen, weil das nie so die spannenden Fälle sind. "

Wie beim Handball sind die Ziele groß. Die 26-Jährige will nach oben ohne zu überdrehen. Sie weiß, dass für Erfolg Disziplin nötig ist und Verbissenheit schadet. In der Examenszeit nahm sich die Jura-Studentin ein halbes Jahr Handball-Auszeit. Natürlich will Mooser so lange es geht, auf möglichst hohem Niveau spielen, aber nicht um jeden Preis. Da sind das Studium, der Beruf und auch die vielen Verletzungen. "Ich habe eigentlich dauerhaft Knieprobleme", sagt sie. "Höher raus komme ich glaube ich nicht. "

Sie spricht darüber in derselben Stimmlage wie über den verpassten Aufstieg. Und überhaupt: Die 26-Jährige ist aus einer Handball-Familie, spielt aber deutlich höher als ihre sehr talentierten Brüder. Sie ist die einzige Spielerin im ESV-Drittliga-Kader, die aus der Zweiten Mannschaft hochgezogen wurde. Und von all den talentierten MTV-Spielerinnen ist sie mit am höchsten hinausgekommen. Natürlich hätte es die 2. Liga werden können, aber Mooser hat das gesteckte Ziel Aufstiegsplatz mit dem Verein, an dem sie hängt, in einer Stadt, in der sie sich wohlfühlt, erreicht.

Die neue Drittliga-Saison beginnt, wenn das Corona-Infektionsgeschehen und die politischen Vorgaben es zulassen, im Oktober. Zwar sagt Mooser mit Blick auf Promotion, Berufsstart und Verletzungshistorie: "Mal schauen, wie lange das noch geht. " Es steht ja auch das zweite Examen an. "Aber grundsätzlich bekomme ich das schon hin", sagt Mooser entspannt und gleichermaßen überzeugt. Es gilt ja schließlich, neue Ziele zu erreichen.

PK

Christian Missy