Ingolstadt
Über 16 Jahre auf höchstem Niveau

19.12.2018 | Stand 02.12.2020, 15:00 Uhr
Nahm an elf Weltmeisterschaften und zwei Olympischen Spielen teil: Eishockey-Nationalspielerin Andrea Lanzl. Imago −Foto: imago sportfotodienst

Ingolstadt (DK) Andrea Lanzl vom ERC Ingolstadt hat mit 14 Jahren ihr erstes Eishockey-Länderspiel bestritten. Seit vergangener Woche sind es mehr als 300, der deutsche Rekord ist für die 31-Jährige greifbar nahe.

 In der vergangenen Woche war es so weit: Mit der Partie gegen Schweden bestritt Andrea Lanzl in Finnland ihr 300. Eishockey-Länderspiel. Eine Marke, die im Trikot des Deutschen Eishockeybundes (DEB) bislang nur Udo Kießling (320) und Bettina Evers (319) erreicht haben. Lanzl, die seit 2013 für das Frauen-Bundesliga-Team des ERC Ingolstadt spielt, bleibt trotzdem bescheiden. "Wirklich darauf hingearbeitet habe ich nicht. Es macht mich aber schon ein bisschen stolz, dass ich so lange auf diesem Niveau spielen konnte und hoffentlich auch weiterhin kann." Im Gespräch blickt die 31-Jährige, die bei elf WM-Turnieren und zwei Olympischen Spielen (2006, 2014) dabei war und im DEB-Dress in 303 Partien 59 Tore und 79 Vorlagen beisteuerte, auf einige Höhepunkte, nennt wichtige Weggefährten und erzählt, wie wichtig ihr der deutsche Rekord ist.

DIE EHRUNG IN FINNLANDVor dem Schweden-Spiel gab es in Vierumäki einen Blumenstrauß und ein DEB-Trikot mit der Zahl 300 hinten drauf. "Ich habe mal erwähnt, dass ich gerne so ein Trikot hätte", erzählt Lanzl, die anschließend in der Kabine auch noch von ihren Teamkolleginnen mit Standing ovations gefeiert wurde. "Die haben gar nicht mehr aufgehört." Für Lanzl besonders schön: Ehemalige Mitspielerinnen und die Familie gratulierten mit einem 15-minütigen Video auch noch persönlich.

DAS DEBÜT IM DEB-TRIKOT"Mir fällt nicht mehr wirklich viel dazu ein", sagt Lanzl und lacht. "Ich weiß nur, dass wir irgendwo in Frankreich in den Bergen waren und ein Turnier über mehrere Tage gespielt haben." Bei ihrem Debüt am 7. März 2002 in Gap gegen Tschechien war sie schließlich auch erst 14 Jahre alt, alles kam ihr wie ein Traum vor. "Meine vier Jahre ältere Schwester war gerade bei den Olympischen Spielen, für mich ging es nur darum, ihr nachzueifern", erinnert sich die heute 31-Jährige. Das Ergebnis gegen Tschechien will ihr nicht mehr einfallen. "Aber in einem der Turnierspiele bin ich zur besten Spielerin gewählt worden", sagt sie. Der Anfang war gemacht.

DIE SCHÖNSTEN SPIELE Sportlich ist Lanzl vor allem das olympische Qualifikationsturnier 2013 in Weiden in Erinnerung. "80 Prozent der Mannschaft waren zuvor noch nie bei Olympischen Spielen gewesen. Wir haben das gesamte Turnier wie im Rausch gespielt, und als wir dann das Ticket für Sotschi sicher hatten, war die Freude natürlich riesengroß." Vergleichbar damit war nur noch der 2:1-Sieg bei der WM 2017 im Viertelfinale gegen Russland. "Weil wir damit zum ersten Mal das Halbfinale erreicht haben." Als "Herzensangelegenheit" bezeichnet sie derweil die "leider nur sehr wenigen" gemeinsamen Länderspiele mit ihrer Schwester Michaela. Zum einen aus sportlicher Sicht ("Sie war besser als ich"), aber vor allem auf der persönlichen Ebene: "Michaela hat mir so viel gezeigt, mir so viel geholfen", erinnert sich Andrea.

DIE BITTERSTE NIEDERLAGEZehn Jahre ist er her, Lanzl muss bei der Erinnerung an die WM 2008 im chinesischen Harbin aber immer noch den Kopf schütteln. "Im letzten Spiel gegen die Gastgeberinnen hätte uns ein Remis zum Klassenerhalt gereicht. Wir lagen vorne, in der Schlussphase wurden aber auf einmal alle nervös und hektisch - und dann haben wir tatsächlich innerhalb von einer Minute noch drei Tore kassiert. Das habe ich auf diesem Niveau nicht für möglich gehalten." Es folgte der bittere Abstieg in die B-Gruppe, aus der das DEB-Team erst 2011 wieder aufstieg.

DAS KURIOSE SPIELDie Atmosphäre beim Freundschaftsspiel vor zwei Jahren in Bad Tölz gegen die Türkei war eine besondere. "Sportlich waren wir klar überlegen, aber darum ging es nicht. Es war einfach schön zu sehen, wie dankbar und froh die türkischen Mädels waren, dass es diesen Termin überhaupt gab. Natürlich ist Eishockey in der Türkei noch sehr jung, aber trotz ihrer geringen Fähigkeiten haben sie einen richtigen Kampfgeist entwickelt. Daran kann man sich durchaus ein Beispiel nehmen."

WICHTIGE WEGBEGLEITERGerade weil sie als sehr junge Spielerin dazu kam, waren ältere Nationalspielerinnen als Helfer wichtig. "Am Anfang stand ich wie ein Reh daneben", erinnert sich Lanzl. Neben ihrer Schwester Michaela war deshalb die sechs Jahre ältere Bettina Evers eine wichtige Bezugsperson. Nicht zuletzt bei der Entscheidung, den Weg als Sportsoldatin einzuschlagen, war die heute 37-Jährige eine Mischung aus Ratgeber und Wegbegleiter. Die Grundausbildung absolvierten beide gemeinsam. Weitere wichtige Personen: Ex-Bundestrainer Peter Kathan, der immer ein Kämpfer für das Frauen-Eishockey war. Die ehemalige Teamkollegin Maritta Becker, heute Fitnesstrainerin der ERC-Profis, mit der sie in einer Sturmreihe spielte, sowie Maren Valenti als sportliches Vorbild.

DIE BEDEUTUNG DER NR. 15Zu Beginn ihrer Nationalmannschaftskarriere bekam sie noch das Trikot ihrer Schwester mit der 21. "Weil da schon der richtige Nachname draufstand." Erst später kam sie zu der 15, die sie seit einigen Jahren im Nationalteam und beim ERC trägt. Der Bezug zu dieser Nummer geht zurück auf ihre Jugendzeit bei der Düsseldorfer EG. "Damals waren Mädchen im Eishockey noch nicht so erwünscht", erinnert sich Lanzl an die Saison 2006/07. "Der damalige Bundestrainer Peter Kathan hat dann aber durchgesetzt, dass ich bei den Jungs in der Nachwuchsliga mitspielen konnte." Für ihre sportliche Entwicklung ein ganz wichtiges Kapitel - und aus Lanzls Sicht die "allerschönste Zeit, die ich im Eishockey hatte". Damals trug sie die Nummer 15, die will sie seitdem nicht mehr missen.

DER DEUTSCHE REKORDSchon im kommenden Jahr könnte Lanzl den deutschen Rekord knacken. Bleibt sie gesund, dürften die Bestmarken von Udo Kießling (320 Spiele) und Bettina Evers (319) fallen. "Klar habe ich diese Zahlen irgendwo im Hinterkopf. Die erste Priorität ist aber, dass ich weiterhin fit bleibe und wieder berufen werde", sagt Lanzl. Unter dem neuen Bundestrainer Christian Künast hofft sie im April erst einmal auf eine erfolgreiche WM in Finnland ("Wir sollten nichts mit dem Abstieg zu tun haben, Platz fünf wäre ein Traum"), dann würde sich der Rekord irgendwann ganz automatisch ergeben. Wie weit sie die Bestmarke nach oben treiben kann, mag sie nicht vorhersagen. "Wann ich aufhöre, weiß ich noch nicht. Aber so lange wird es nicht mehr dauern. Irgendwann möchte ich eine Familie haben", sagt sie. Das Ende ihrer Rekordgeschichte wird sie also selbst bestimmen.