Ingolstadt
Erstes Profi-Tor statt Mathe-Klausur

FCI-Juwel Röhl nutzt Söders vorzeitiges Weihnachtsgeschenk zum nächsten Karrieresprung

23.12.2020 | Stand 23.09.2023, 16:10 Uhr
Pure Freude: Merlin Röhl bejubelt sein erstes Profi-Tor, der dem FCI den 1:0-Sieg gegen Hansa Rostock bescherte. −Foto: Bösl

Ingolstadt - Ob die kurze Weihnachtspause ausreicht, damit Merlin Röhl zu Hause in Babelsberg all seine Geschichten erzählen kann, die er zuletzt beim FC Ingolstadt erlebt hat, darf man getrost bezweifeln.

Aber sicher wird es mit seinen Eltern und den beiden jüngeren Brüdern ein schönes Fest in der Potsdamer Heimat nach der berühmten Filmstudios. So kann der 18-Jährige seine Familie, die coronabedingt sein Debüt in der 3. Liga nicht live im Stadion hatte verfolgen können, wenigstens teilhaben lassen an dem Film, der gerade bei ihm abläuft. Bisher erfüllt das Drehbuch nämlich alle Kriterien für ein Sportlermärchen, in dem ein Jugendlicher auszog, um in der Fremde sein Glück im Fußball zu versuchen.
Alleine schon die jüngste Episode ist fast schon zu kitschig, um wahr zu sein. Denn Röhls erstes Tor im Profi-Fußball - der 1:0-Siegtreffer am 16. Dezember gegen Hansa Rostock - war nur möglich dank der Weitsicht des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. "Eigentlich hätte ich am Spieltag eine Mathe-Klausur schreiben müssen, hätte somit am Dienstag aufgrund der Vorbereitung auf die Schule das Abschlusstraining verpasst und wäre folglich nicht im Kader für das Spiel gestanden. Aber dann hat Söder die Schulen dicht gemacht. Das war mein Glück", erzählt Röhl und gibt in unserer Zeitung erstmals sein Erfolgsgeheimnis preis.

Die Bilder dazu ruft Röhl gerne nochmals auf seiner persönlichen Filmspule ab. "Dennis schaute auf der rechten Seite hoch und hat gesehen, dass ich komplett frei stehe. Nach seiner Flanke habe ich noch überlegt, ob ich den Ball volley nehme oder doch lieber mit der Innenseite, was ich dann auch gemacht habe. Das war ganz okay, und ich habe gleich gewusst, dass der Ball reingeht", beschreibt der 18-Jährige die Szene, die ihm FCI-Torjäger Dennis Eckert-Ayensa mit seiner präzisen Vorarbeit ermöglicht hatte.

Sein erstes Tor bei den Profis im erst vierten Einsatz bescherten dem FCI drei Punkte. Entsprechend groß fielen hinterher die Lobeshymnen aus. "Merlin ist technisch sehr reif für sein Alter. Er ist ein super Junge, bodenständig, und er nimmt auch Ratschläge an", sagte Eckert-Ayensa, während sich Trainer Tomas Oral bestätigt sah. "Wir haben da einen sehr talentierten Jungen, der richtigen Männerfußball spielt. Es freut mich, dass er sich mit dem Tor belohnt hat", sagte Oral, der schon vor der Partie mehrfach von Röhl geschwärmt hatte. "Er ist ein fertiger Mittelfeldspieler, der in beide Richtungen sehr gut arbeitet. Uns tun seine Unbekümmertheit und sein jugendlicher Elan gut. Wir werden noch sehr viel Freude an ihm haben. "

Röhls Tor ist aber nur die bisher letzte Episode einer filmreifen Geschichte. Bereits seine Entdeckung im Frühjahr 2018 ist im durch und durch professionalisierten Fußballgeschäft ein Kuriosum. Nur weil der FCI mit dem Betreiber der Internet-App Tonsser zusammenarbeitete, stießen die Schanzer auf den Rohdiamanten. "Ich hatte schon immer Spaß an Statistiken und habe in der App meine Spiele dokumentiert, also Tore, Einsatzzeit usw. eingetragen", erzählt Röhl, und Florian Zehe, der als Technischer Direktor des FCI auch für die Nachwuchsförderung und Kaderplanung bei den Profis zuständig ist, ergänzt: "Wir haben uns auch seine Bewertungen durch die Mitspieler angesehen und daraufhin 75 Spieler zu einem Probetraining eingeladen. Mit Merlin und seinen Eltern kam es dann zur Entscheidung, dass er es in unserem Nachwuchsleistungszentrum versucht. Das ist schon eine spezielle Story und tatsächlich die erfolgreiche Suche nach der sprichwörtlich berühmten Nadel im Heuhaufen. "

Seither ging es steil nach oben. Röhl, der bis dahin nur auf Landesliga-Ebene gespielt hatte, fasste schnell Tritt in der U17- und U19-Bundesliga, kam im Dezember 2019 zu seinem Länderspieldebüt bei Christian Wörns und wurde weiter von FCI-Jugendcoach Roberto Pätzold geschult. "Der Trainer hat mich auf vielen Positionen spielen lassen. Davon profitiere ich jetzt, und es ist auch mein Ziel, auf hohem Niveau mehrere Positionen spielen zu können", sagt Röhl, der vorzugsweise auf der Sechs agiert und von Oral künftig als klassischer Box-to-Box-Spieler gesehen wird.

Für seine späte Entdeckung hat Röhl eine einfache Erklärung. "Ich lief bestimmt immer unterm Radar, weil ich früher klein und schmächtig war. Dann bin ich schnell gewachsen, und selbst in Ingolstadt bin ich nochmals von 1,85 Meter auf aktuell 1,93 geschossen. Das kommt mir jetzt zu Gute, auch wenn ich anfangs dadurch Probleme hatte", sagt Röhl. Der Abiturient, der nach der Anfangszeit im FCI-Internat mittlerweile in einem Appartement wohnt, kämpft nun noch um seinen Abschluss ("Die Schule ist echt schwer in Bayern"), hat aber ansonsten längst seinen Fokus auf den Fußball gerichtet. "Profi ist mein einziges Berufsziel", sagt Röhl. Leon Goretzka, Kai Havertz und Florian Neuhaus sind seine Lieblingsspieler. Doch das junge FCI-Juwel ist kein Schwärmer und weiß nach fünf Spielen in der 3. Liga seine Entwicklung klar einzuordnen. "Für mich war das Debüt gegen Bayern II ein idealer Einstieg. Da kannte ich einige Spieler wie Jamie Lawrence bereits aus der Jugend. Darum sehe ich persönlich das Spiel danach in Meppen als mein erstes richtiges Herrenspiel. Das war körperlich schon noch mal eine ganz andere Nummer", erzählt Röhl.

Wie die nächste Episode in Röhls Film aussehen wird, ist noch nicht klar. "Das hängt von der Schule ab. Ich erfahre praktisch von Tag zu Tag, ob ich im Training bei den Profis dabeisein kann oder in der U19. Aber ich freue mich über jeden Einsatz und spüre unglaublich viel Vertrauen vom Trainer. Ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, dass ich fünfmal in der Startelf stand", sagt Röhl, für den es 2021 neben Schule und Fußball aber noch ein weiteres Ziel gibt: den Führerschein. Bisher hatte er keine Zeit dafür, weshalb ihn sein Vater extra für den Weihnachtsurlaub in Ingolstadt abholen musste. Die Fahrt dürfte aber kurzweilig gewesen sein, und wenn Röhl seine Geschichte vom ersten Profi-Tor zum Besten gibt, gewinnt der bayerische Ministerpräsident vielleicht sogar in Potsdam ein paar neue Sympathisanten dazu.

DK

Gottfried Sterner