Ingolstadt
"Man darf den Fuß nie vom Gas nehmen"

Sportdirektor Larry Mitchell über den Saisonstart des ERC, das Transferkarussell und die U23-Regel

08.10.2018 | Stand 02.12.2020, 15:30 Uhr
Zufrieden mit dem Start: ERC-Sportdirektor Larry Mitchell. −Foto: Traub

Ingolstadt (DK) Neun Spiele, sechs Siege, 17 Punkte und Tabellenplatz drei - die Welt des ERC Ingolstadt in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) ist aktuell ziemlich in Ordnung.

Das war sie in der vergangenen Saison Anfang Oktober auch - danach folgten jedoch ein Absturz, eine Rekord-Niederlagenserie und die Entlassung von Trainer Tommy Samuelsson. Warum sich das heuer nicht wiederholt, sich das Transferkarussell immer früher dreht und er ein Fan der neuen U23-Regel ist, verrät Panther-Sportdirektor Larry Mitchell im Interview.

Herr Mitchell, welche Schulnote würden Sie dem ERC für den Saisonstart geben?

Larry Mitchell: Für mich ist es eine zwei. Keine drei, weil wir in sieben von neun Spielen eine gute Leistung gebracht haben, nur beim 2:4 in Straubing und beim 1:3 gegen Augsburg nicht. Und mit einer eins würde ich mich schwertun, so wie wir uns gegen Augsburg präsentiert haben. Deswegen ist die Note zwei sehr fair.

In der DEL heißt es immer, dass man erst in der Deutschland-Cup-Pause Anfang November eine erste Bilanz über die Stärke des eigenen und die der anderen Teams geben kann. Aber eine Tendenz zeichnet sich doch jetzt schon ab, oder?

Mitchell: Wir haben mit etwas weniger Geld als in der vergangenen Saison dieselbe Punktzahl nach neun Spieltagen erreicht. Wir wissen alle, was danach passiert ist. Deswegen bin ich eher vorsichtig, wobei es mich natürlich freut, dass bei uns eine positive Stimmung herrscht. Für mich zählt, dass wir Problemstellen erkannt haben und uns verbessern wollten. Mit bislang sieben Überzahltoren können wir zufrieden sein, wenn man das mit dem Powerplay der vergangenen Saison vergleicht. Und wenn man in der DEL-Scorerliste ein paar Ingolstädter Namen weit oben findet, haben wir uns auch bei den Top-Sechs-Stürmern verbessert. Wir sind in einer sehr engen Liga gut dabei, aber wir müssen mit beiden Füßen auf dem Boden bleiben. Zwischenzeitlich war Straubing am Sonntagabend Tabellenführer, ein paar Minuten später sah es ganz anders aus. Man darf den Fuß nie vom Gaspedal nehmen.

Im vergangenen Jahr folgte nach dem guten Start ein Einbruch mit einer Niederlagenserie von neun Spielen. Was macht sie zuversichtlich, dass die Mannschaft heuer stabiler ist?

Mitchell: Man darf die jetzige nicht zu sehr mit der Mannschaft des letzten Jahres vergleichen. Wir haben einen anderen Trainer und auch viele Schlüsselpositionen neu besetzt. Nicht zu vergessen einen Ville Koistinen, der für mich fast als Neuzugang zählt. Wir haben meiner Meinung nach einen Schritt in die richtige Richtung gemacht.

Die letztjährigen Führungsspieler Timo Pielmeier, Koistinen und Darin Olver schwächeln derzeit noch ein wenig. Inwieweit macht Ihnen das Sorgen?

Mitchell: Als Sportdirektor macht man sich Gedanken, vielleicht sogar manchmal Sorgen um den einen oder anderen Spieler. Wie schlägt ein 1,68 Meter großer Tyler Kelleher aus der College-Liga und mit wenig Profierfahrung ein? Man hat eine Vorstellung und ahnt, dass es klappen könnte, aber genau weiß man das nie. Bei den drei Genannten habe ich allerdings keine Sorgen. Ville war im vergangenen Jahr der beste Verteidiger der Liga. Er setzt sich selbst sehr unter Druck. Es ist nicht so, dass er nach Hause geht und sagt, dass er super gespielt hat. Ich habe mit ihm unter vier Augen gesprochen und ihm gesagt, dass er manchmal sein Gehirn ausschalten und einfach spielen soll. Am Sonntag in München (4:2, d. Red. ) hat er meiner Meinung nach sein bislang bestes Spiel gemacht. Und selbst wenn Koistinen nicht in der Form der Vorsaison spielt, ist er immer noch besser als viele andere Verteidiger in dieser Liga. Timo war im Vorjahr mit dem Münchner Danny aus den Birken der beste Goalie. Er hat jetzt erst drei Spiele gemacht, das soll man nicht überbewerten. Und zu Darin: Seine Sturmreihe tut sich momentan am schwersten. Aber ich kenne ihn schon sehr lange, und er hat in der vergangenen Saison 17 Tore und 37 Punkte gemacht. Ich bin mir sicher, dass sich alle steigern.

Laut Medienberichten wechselt der Nürnberger Nationalspieler Leo Pföderl zur kommenden Saison nach Berlin. Aus Ingolstädter Sicht dürften Profis wie Kelleher und Jerry D'Amigo mit ihren bislang starken Vorstellungen ebenfalls schon das Interesse der Konkurrenz geweckt haben. Wann müssen Sie mit dem Wunsch einer Vertragsverlängerung an einen Spieler herantreten?

Mitchell: Das ist unterschiedlich. Ich weiß, in welche Preiskategorie Pföderl gehört, denn ich habe genauso wie alle anderen angefragt. Wir haben keine Chance, einen solchen Spieler zu holen. Wenn ein großer Klub einen bestimmten Spieler haben will, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er diesen auch bekommt. Klubs wie wir müssen auch mit Dingen wie dem Wohlfühlfaktor punkten.

Nimmt das Transferkarussell generell immer früher Fahrt auf?

Mitchell: Ich finde schon. Ich habe letzte Woche zwei Anrufe von Agenten bekommen und auch schon Besuch von Spielerberatern gehabt. Bis zur Deutschland-Cup-Pause werde ich Gespräche führen. Da geht es auch um Spieler anderer Vereine, deren Verträge auslaufen. Wir schlafen sicherlich nicht.

Sprechen Sie auch mit dem Straubinger Nationalstürmer Stefan Loibl? Es ist bekannt, dass Sie ihn sehr schätzen.

Mitchell: Er ist sicherlich ein interessanter Spieler. Ich kannte ihn schon als 18-Jährigen, er hat sich stetig weiterentwickelt. Er ist nicht nur für uns interessant, aber ich habe diesen Bezug zu "Loibs". Er ist sehr bodenständig und heimatverbunden, und Ingolstadt ist ja nicht so weit weg von Straubing (lacht). Wenn er in Bayern bleiben will, sind wir vielleicht im Rennen.

Verteidiger Simon Schütz fehlt noch einige Wochen mit einer Unterkörperverletzung. Heißt das automatisch, dass Probespieler Colton Jobke einen Vertrag bis zum Ende der Saison erhält?

Mitchell: Colton bringt genau das, was wir uns von ihm versprochen haben. Es ist sicher auch eine finanzielle Frage. Ich würde mich freuen, wenn wir uns einigen könnten. Wir haben noch etwas Zeit, er ist auf jeden Fall bis Ende November bei uns.

Seit dieser Saison müssen alle DEL-Klubs mindestens einen deutschen U23-Spieler aufbieten, um mit 19 Feldspielern antreten zu dürfen. Über diese Regel, unter die beim ERC Schütz und Tim Wohlgemuth fallen, gibt es geteilte Meinungen. Nürnbergs Sportdirektor Martin Jiranek beklagte, dass es gar nicht genügend Talente gibt. Wie beurteilen Sie diese Thematik?

Mitchell: Wir haben die Regel alle gemeinsam beschlossen, und ich bin ein Fan davon. Man sieht, dass es mit Jungs wie Wohlgemuth, dem Iserlohner Lean Bergmann oder dem Mannheimer Moritz Seider gute junge Deutsche gibt, wenn man ihnen die Chance gibt. Es ist aber eine legitime Frage, ob alle Trainer diese Talente einsetzen würden, wenn es diese Regelung nicht gäbe. Ich hätte Tim aber auch ohne diese Regel verpflichtet, denn ich bin menschlich und spielerisch absolut von ihm überzeugt.

Das Gespräch führte

Alexander Petri.