Serie zum 20. Geburtstag des FC Ingolstadt
Vor zehn Jahren übernimmt Trainer Ralph Hasenhüttl die Schanzer: „Burschen, da müssen wir auch hin!“

07.10.2023 | Stand 07.10.2023, 11:00 Uhr

Ralph Hasenhüttl mit der Zweitliga-Meisterschale. Foto: Imago Images

FCI-Serie, Teil 5: Der Aufstieg des FC Ingolstadt ins Rampenlicht des deutschen Fußballs ist eng mit Trainer Ralph Hasenhüttl verbunden. An diesem Samstag vor zehn Jahren trat der heute 56-jährige Österreicher seine Mission bei den Schanzern an, die auch seinen persönlichen Aufstieg beschleunigte.

Herr Hasenhüttl, Sie waren – abgesehen von der 0:1-Niederlage mit RB Leipzig 2016 nicht mehr im Audi-Sportpark. Warum nicht?


Ralph Hasenhüttl: Ich bin keiner, der zu seinen ehemaligen Vereinen ins Stadion geht. Ich war auch nie mehr in Aalen oder Leipzig und werde auch in Southampton nicht mehr ins Stadion gehen, das macht man nicht als ehemaliger Trainer. Das ist für mich eine Tabuzone.



Es gibt aber sicher Erinnerungen an die Zeit in Ingolstadt. Welche fallen Ihnen ein?


Hasenhüttl: Oh ja, eine ganze Menge. Ich denke an das erste Gespräch mit Thomas Linke im Sommer, das zweite im Herbst und mein Vorstellungsgespräch vor dem Audi-Vorstand mit acht oder neun Leuten. Das war eine sehr spannende Geschichte. Ich bin damals mit sehr großem Selbstbewusstsein gekommen, weil wir mit dem VfR Aalen in die 2. Bundesliga aufgestiegen sind, das hat sicher geholfen.

Und dann? Sie kamen als der FCI auf dem letzten Tabellenplatz stand.

Hasenhüttl: Der Verein war in einer nicht ganz einfachen Situation. Es war sehr viel vorhanden, um Erfolg zu haben, aber innerhalb des Vereins gab es viele Ungereimtheiten, zum Beispiel zwischen Geschäftsstelle und Mannschaft. Die Stimmung war durch die Misserfolge am Tiefpunkt. Die wichtigste und vielleicht schwierigste Aufgabe war es, in dem Moment den Verein wieder zu einen und die Umgebung für ihn zu begeistern.

Wie haben Sie das angestellt?

Hasenhüttl: Durch gute Ergebnisse auf dem Platz und ein sympathisches Auftreten abseits davon. Ich kann mich noch an unsere erste Autogrammstunde in einem Möbelhaus erinnern. Da sind genau zehn Leute gekommen. Das war sehr peinlich. Für den FCI hat sich niemand interessiert. Der ERC Ingolstadt ist damals Deutscher Meister geworden und hat auf dem Rathausplatz gefeiert. Da habe ich gesagt: „Burschen, da müssen wir auch hin.“ Als ich vom FCI gegangen bin, konnten wir uns vor Autogrammstunden nicht mehr retten. Und die legendäre Feier am Rathausplatz nach dem Bundesliga-Aufstieg werden wir eh alle nicht vergessen.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihren damaligen Weggefährten?

Hasenhüttl: Natürlich, mit einigen Spielern. Mit Pascal Groß habe ich mich oft ausgetauscht, zumal er ja auch in der Premier League spielt und wir öfters aufeinandertrafen. Er macht einen sensationellen Weg und war damals einer unserer Schlüsselspieler. Dann Benni Hübner, Rambo (Ramazan Özcan, Anm. d. Red). Und Almog Cohen schreibt mir, wie cool seine Mannschaft Maccabi Netanya presst und wie geil sie spielt (lacht). Das freut einen als Trainer sehr, wenn einen ehemalige Spieler im Hinterkopf haben und das, was man damals vermittelt hat, heute noch umsetzen. Das ist eigentlich das größte Lob, das man als Trainer bekommen kann.

War Ingolstadt der entscheidende Schritt für Ihre weitere Trainerkarriere?

Hasenhüttl: Das, was wir damals auf die Beine gestellt haben in den zweieinhalb Jahren war für mich sicherlich der letzte Schritt ins Fenster. Der entscheidende Durchbruch kam dann mit Leipzig, weil wir im ersten Jahr gleich Vizemeister wurden und in die Champions League eingezogen sind. Damit kommt man international ins Blickfeld. Aalen und Ingolstadt mit den Aufstiegen in die 2. und 1. Bundesliga waren wichtige Fortschritte für meine Entwicklung. Man merkt, dass man das Potenzial zu einem erfolgreichen Trainer hat. Diese Energie, die ich da hatte, diese Lust, erfolgreich zu sein, brauchst du einfach. Mein Fußballwissen war noch lange nicht so ausgereift wie heute. Ich habe damals mehr mit meiner emotionalen und herzlichen Art gepunktet, als mit meinem Fachwissen. Darum war es für mich die größere Leistung – mehr als der Aufstieg – dass ich es geschafft habe, den Verein zusammenzuführen und in der Region zu verankern.



Sie waren einer der ersten Trainer in der Bundesliga, die aus einem laufenden Vertrag herausgekauft wurden. War der Schritt nach Leipzig logisch, weil Sie einen Karriereplan im Kopf hatten?


Hasenhüttl: Karriereplan, nein. Aber trotzdem logisch, weil ich Leipzig zweimal abgesagt hatte. Bei der dritten Anfrage nach einem Jahr mit dem FCI in der Bundesliga hatte ich das Gefühl, dass ich mit der Mannschaft am Limit angelangt war. Wenn man dieses Gefühl hat, dann ist es besser, man macht den nächsten Schritt, um sich neu zu beweisen. Zum Problem wurde es natürlich. Einmal, weil mir übel genommen wurde, dass ich einen Verein gewählt habe, der deutschlandweit nicht das beste Ansehen hatte. Und dann musste der FCI einen Ersatz finden, jemanden, der die Erfolgsgeschichte weiterschreiben sollte. Fast unmöglich. Ich konnte die Reaktionen verstehen. Und trotzdem tat es weh. Ich habe bei meinem Abschied Tränen vergossen, weil ich viele schöne Momente erleben durfte. Mein Resümee: Den perfekten Abgang bekommst du als Trainer eigentlich nie.

Ist etwas zurückgeblieben im Verhältnis zu den FCI-Verantwortlichen, weil Sie vor Vertragsende zu RB gewechselt sind?

Hasenhüttl: Nein. Ich habe einen sehr guten Kontakt zu Harald Gärtner (damaliger FCI-Geschäftsführer, Anm. d. Red.). Er ist sehr emotional, aber auch ein sehr ehrlicher Mensch. Seine Wutausbrüche waren bekannt, man wusste bei ihm immer, woran man ist. Er ist ein Mensch, der mit vollem Herzblut bei dem Verein dabei war. Und dann Thomas Linke (damals Sportdirektor) als sehr ruhiger Pol. Er hat mir gezeigt, was es bedeutet, sich zurückzunehmen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich habe viel gelernt von diesen Leuten. Und ich hatte ein tolles Team um mich herum, die Physios, die medizinische Abteilung, die Co-Trainer und Analysten. Ich will niemanden vergessen. Alle waren wichtig für den Erfolg. Ich glaube, es waren auch alle dankbar, dass ich keinen einzigen Mitarbeiter mitgebracht habe, sondern mit allen weitergemacht habe, die schon im Verein waren.

Sie haben es in fünf Schritten in die Premier League geschafft und waren von Dezember 2018 bis November 2022 beim FC Southampton tätig. Ist Ihre Trainerkarriere damit komplett?

Hasenhüttl: Absolut. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir das nie hätte erträumen lassen, dass ich in der 3. Liga starte und irgendwann mal in der besten Liga der Welt ende. Das ist wie ein Märchen, so etwas kann man nicht planen. Mein großes Ziel war immer, in den englischen Fußball zu kommen. Schon als Spieler, aber da habe ich es nicht geschafft. Dass es als Trainer klappt, war umso unwahrscheinlicher. Darum habe ich die vier Jahre in England unglaublich genossen, auch wenn sie enorm kräfteraubend waren. Die Lebensqualität leidet etwas darunter, wenn man 14, 15 Spiele pro Saison verliert. Aber das tust du bei einem Verein wie Southampton automatisch, wenn man gegen die besten Trainer mit den besten Spielern antritt. Trotzdem gab es sehr schöne Momente. Wir haben gegen jede Mannschaft mindestens einmal gewonnen. Das zeigt, dass man als Trainer ein bisschen was gelernt hat. Premier League ist gefühlt Champions League das ganze Jahr.

Es gab auch spezielle Erlebnisse wie Siege gegen Liverpool oder Manchester City. Andererseits zwei 0:9-Pleiten gegen Leicester City und Manchester United, die als höchste Niederlagen in die Premier-League-Geschichte eingingen.

Hasenhüttl: Ja, das gehört zu meiner Vita dazu wie die Erfolge auch. Das passt schon. Aber so etwas geht ganz schnell in der Premier League. Zweimal 0:9, das war schmerzhaft. Trotzdem hatten wir nie etwas mit dem Abstieg zu tun, das spricht für uns. Und Tabellenführer waren wir auch einmal am achten Spieltag in der Saison 2020/21. Wenn auch nur für 24 Stunden.

Wie konnten Sie die brutalen Niederlagen als Trainer überleben?

Hasenhüttl: Nach der ersten habe ich meinem CEO vorgeschlagen, mich zu entlassen. Das wollte er nicht. Bei der zweiten waren die Umstände etwas anders. Wir hatten unglaubliches Verletzungspech und mussten mit vielen Spielern der Nachwuchsakademie auswärts gegen ManUnited ran. Nach zwei Minuten gab es Rot für einen Jungen, nach 60 Minuten flog der zweite Spieler vom Platz. Das war dann nicht mehr zu regeln.

Sie haben schon bei der Vertragsverlängerung bis 2024 gesagt, dass es möglicherweise der letzte Vertrag in Ihrer Trainerkarriere ist. Jetzt sind zehn Monate vergangen. Kribbelt es schon wieder?

Hasenhüttl: Das war damals nicht so dahergesagt. Trotzdem weiß man nie, was in Zukunft passiert.

Es fällt auf, dass Sie sich zwischen Ihren Stationen, mit Ausnahme des Wechsels von Ingolstadt nach Leipzig immer eine Pause genommen haben. Warum?

Hasenhüttl: Ich habe immer gesagt, wenn man die positive Energie nicht hat, wie ich sie hatte, als ich nach Ingolstadt kam oder als ich nach Leipzig ging, wenn man diesen Hunger nicht 100-prozentig hat, weil man sehr viel Energie gelassen hat, dann werde ich nicht arbeiten, bis ich diesen Moment wieder spüre. Wenn man zu einem neuen Verein kommt, ist es ganz entscheidend, dass man entzündet, was in einem selber brennt. Wenn in dir aber nichts brennt, was willst du dann bewegen? Darum habe ich aktuell schon viele Dinge nicht gemacht, die ich hätte machen können, weil ich noch nicht da bin, wo ich sein will.

Was wäre für Sie denn reizvoll? Im Ausland gibt es viele neue Möglichkeiten, Saudi-Arabien ist derzeit ja besonders angesagt.

Hasenhüttl: Ich kann mir nicht alles vorstellen. Ein neues Land ja, wenn mir die Kultur und die Sprache gefallen, dann ist das eine nicht uninteressante Option. Die Sprache ist für mich ein wichtiges Werkzeug, darum arbeite ich nicht gerne mit einem Dolmetscher. Die Botschaft, die ich rüberbringen will, soll klar und direkt ankommen. Das war in England am Anfang auch nicht so einfach, weil ich die passenden Vokabeln nicht kannte. Frankreich wäre daher schwierig, italienisch kann ich ein bisschen. Die Premier League verfolge ich am meisten, weil ich alle Mannschaften und Trainer gut kenne. Aber im Moment ist das noch kein Thema.

Wären Sie gerne österreichischer Nationaltrainer?

Hasenhüttl: Das war mal im Gespräch, als ich noch bei Southampton unter Vertrag stand. Aber da haben wir jetzt mit Ralf Rangnick einen, der perfekt in die Position passt. Vielleicht ist das in Zukunft mal möglich.

Was sind Sie jetzt für ein Trainer im Vergleich zu früher?

Hasenhüttl: Einer, der mehr über das fußballerische Wissen kommt als über Emotionen. Das ist eine normale Entwicklung, denke ich. Aber Siege und Applaus von den Rängen fühlen sich nicht anders an als früher. Sie sind immer die Droge. Wenn man als junger Trainer wüsste, wie wenig man eigentlich weiß, wäre man nicht so überzeugt von dem, was man vermittelt. Aber das kann auch ein Vorteil sein. Man merkt erst später, was man an seinem Arbeitsstil verbessern kann. In Leipzig habe ich gelernt, mich akribisch vorzubereiten, für jede taktische Variante. Das braucht man, wenn man in der besten Liga ankommt und Woche für Woche perfekt arbeiten muss, damit man überhaupt eine Chance hat. Das Wissen muss mit deiner persönlichen Entwicklung Schritt halten.

Sie haben gesagt, Sie wollen nicht wie Roy Hodgson mit 74 noch auf der Trainerbank sitzen. Gibt es Dinge, die Sie abseits vom Fußball reizen?

Hasenhüttl: Im Augenblick genieße ich es sehr, viel Zeit mit meinen Liebsten zu verbringen, mit meiner Familie, meinen Eltern und Freunden, die ich jahrelang vernachlässigt habe aufgrund meiner Arbeit. Das ist für mich die größte Erfüllung, weil man noch gesund ist und Dinge unternehmen kann wie Reisen und Sport zu treiben. Das ist der Luxus, den ich mir erarbeitet habe.

Sie haben ja auch einen Promi-Status, tauchen aber nicht in Talkshows auf. Warum nicht?

Hasenhüttl: Weil ich mir vorgenommen habe, in die Anonymität abzutauchen. Im Grunde genommen ist dieses Interview kontraproduktiv. Aber ich mache das zu Ehren des Jubiläums des FCI. Für mich ist es ein angenehmeres Leben, wenn ich mich weitgehend unerkannt mit meiner Frau in der Öffentlichkeit bewegen kann. Es ist nie angenehm, wenn sich jeder nach dir umdreht und heimlich Fotos mit dem Handy macht. Ich schätze die Anonymität im Augenblick sehr, vielleicht ändert sich das wieder. Ich hatte jahrelang eine Vorbildfunktion als bisher einziger österreichischer Trainer in der Premier League. Der bin ich hoffentlich gerecht geworden. Jetzt sag ich lieber ja zu mir und meiner Familie als zu Interviews aller Art.

Wie blicken Sie auf den FCI? Halten Sie nach dem Absturz der Schanzer in die 3. Liga eine Rückkehr in die Bundesliga für möglich, und würden Sie Ihr ehemaliges Erfolgsteam gerne wiedersehen?

Hasenhüttl: Warum nicht? Wenn alles zusammenpasst, ist so etwas immer möglich. Eine Krise ist auch eine Chance, Dinge neu anzupacken, aber ich kenne die jetzigen finanziellen Möglichkeiten nicht. Und ja, die Spieler würde ich gerne mal wiedersehen. Jeden einzelnen. Auch den, der mich nicht mehr sehen will. Und dann soll er mir seine Story erzählen. Ich trage sie als Erinnerung noch immer mit mir herum.

DK