Am Ball seit 2022
Keine Sehkraft, aber ganz viel Power: Die Blindenfußballer des FC Ingolstadt

21.02.2024 | Stand 21.02.2024, 14:13 Uhr

Auf dem Gelände des Audi-Sportparks bringen sich die Blindenfußballer des FCI zweimal wöchentlich in Wettkampfform. Die Schanzer, das einzige bayerische Team in der Bundesliga (das Foto zeigt eine Szene aus dem Spiel beim FC St. Pauli), freuen sich auf ihre zweite Saison in der Eliteklasse. Foto: Kobow

Erst Aufwärmen und Dehnen, dann steht Thomas an der Ecke des Fußballplatzes. Konzentriert legt er sich den Ball vor, dribbelt damit den vorgegebenen Bogen und nähert sich dem Tor so Schritt für Schritt. Als er nur noch wenige Meter davon entfernt ist, zieht er ab und drischt die Kugel in die Maschen.



Er grinst zufrieden, von den Coaches und Mitspielern gibt es Applaus und Lob. Klingt wie das normalste Fußballtraining der Welt – doch es ist alles andere als das. Thomas und seine Teamkollegen sind Teil der Blindenfußballmannschaft des FC Ingolstadt. Sonntags und mittwochs stehen die Schanzer auf dem Trainingsgelände am Audi-Sportpark und bringen sich für ihre Spiele in Form.

Dieser Mittwoch ist allerdings eine Ausnahme, denn die Mannschaft, ihre Trainer und Betreuer sind als Ehrengäste auf der Berlinale – als eines von elf Teams aus Deutschland mit inklusivem Hintergrund, das durch dokumentarische Kurzfilme im Rahmen des Projekts „Elf Mal Morgen: Berlinale Meets Fußball“ begleitet wurde. „Das wird eine große Geschichte für uns alle. Wir sind sehr gespannt“, sagt Trainer Peter Adrian, der die Entwicklung des Blindenfußballs beim FCI von Tag eins an mit begleitet hat.

Die Entwicklung des Blindenfußballs beim FC Ingolstadt

Sein Sohn Jan, selbst leidenschaftlicher Fußballer, hatte zunehmend an Sehkraft verloren. Doch die Passion ist geblieben, sie war sogar der Anstoß für das Thema Blindenfußball beim FC Ingolstadt. 2021 fanden erste Gespräche mit dem Verein statt, in denen es um Themen wie Trainingsplätze oder Ausstattung ging. „Schon wenige Monate später legten wir mit vier Spielern los, die sich alle aus Jans Schulzeit schon kannten“, erinnert sich Adrian.

Blindenfußball entstand in Deutschland bereits im Jahr 2006, die Schanzer hatten beziehungsweise haben also alle Hände voll zu tun. „Wir können nicht in zwei Jahren das aufholen, was andere schon seit 15 Jahren machen. Da müssen wir uns erst einmal heranarbeiten, und das braucht seine Zeit“, stellt Adrian klar.

Der Trainer und seine Helfer geben Woche für Woche ihr Bestes. Neun Feldspieler und zwei Torhüter umfasst ihr Team inzwischen. „Der Kern kommt aus Ingolstadt und Umgebung, wir haben aber auch Spieler aus Nürnberg, München und Würzburg. Und sogar einen Keeper aus Erfurt. Aber da ist es mit der Anreise zum Training manchmal schwierig, gerade wenn man sich auf die Bahn verlassen muss“, sagt Adrian und lacht.

Beim FCI-Blindenfußball geht es hart zur Sache

Der Spaß kommt bei den Blindenfußballern nicht zu kurz. Geblödelt wird in den 90-minütigen Einheiten aber keineswegs, denn dafür ist die Sportart auch viel zu komplex. Die Spieler haben einen Sehgrad zwischen B1 (vollblind) und B4 (30 Prozent Sehkraft). Für mehr Chancengleichheit tragen alle Feldspieler eine undurchsichtige Brille, in den Spielen sind zusätzlich die Augen zugeklebt.

Die Kommandos der Trainer und der sogenannten Guides (insgesamt drei pro Team) sind daher elementar. Weitere Hörquellen: die Rasseln in den Bällen und die Kommandos der Mitspieler, etwa das „Voy!“ (Spanisch für ‚Ich komme‘), das jeder Spieler rufen muss, wenn er sich dem ballführenden Akteur nähert.

Zusammenstöße verhindert das freilich nicht. „Manchmal scheppert es richtig. Da ist nichts mit Abtasten. Die Wettkämpfe werden mit richtig Zweikampfhärte geführt“, sagt Adrian. Seine Mannschaft war für Freundschaftsspiele schon in Prag, Straßburg oder Leipzig. Ein Fußball-Wochenende dauert dann meistens von Freitagnachmittag bis Sonntagabend. „Das ist schon ein enormer Zeitaufwand. Aber es geht nicht anders“, sagt Adrian.

Die Anstrengungen lohnen sich, nur ein Jahr nach Gründung der Mannschaft und als erster sowie bislang einziger Verein aus Bayern mischen die Schanzer seit 2023 in der Blindenfußball-Bundesliga mit. „Diese Erfahrungen haben uns am weitesten gebracht. Jetzt sind wir ein Teil der Familie“, sagt Adrian.

Schanzer Blindenfußballteam als ein Auffangbecken

Die Schanzer bilden in ihrem Blindenteam ein Auffangbecken für schwere Schicksale. Theo, ein 60-jähriger Spieler, war bis vor drei Jahren noch Berufskraftfahrer, ehe er im Urlaub plötzlich sein Augenlicht verlor. Seine Ehefrau Anke, inzwischen auch Betreuerin des FCI-Teams, fragte bei den Schanzern an, ob ihr Theo mitkicken könne. Gefragt, getan.

Adrian meint: „Für unsere Jungs ist das ein neuer Mittelpunkt in ihrem Alltag geworden. Es ist eine Freude zu sehen, mit welchem Spaß sie bei der Sache sind.“ Alle fiebern nun nicht nur der Berlinale und dem Start der neuen Saison am 11./12. Mai in Köln entgegen. Nachdem Ende 2023 ein Heimspiel witterungsbedingt abgesagt werden musste, können die Ingolstädter am 23. März ihre erste Partie vor eigenem Publikum bestreiten. Adrian freut’s: „Es kommt ins Laufen.“

IN KÜRZE
• Regelwerk: Die Torhüter sind im Blindenfußball die einzigen Spieler, die keine Brille tragen und sehen können. Akustische Unterstützung erhalten die Spieler neben der Rassel im Ball und den Kommandos ihrer Teamkollegen auf dem Feld durch ihre Trainer und Guides: den eigenen Keeper, der den Ball nur innerhalb seines kleinen Torraums aufnehmen und diesen nicht verlassen darf; einen Trainer, der im mittleren Bereich des Spielfeldes agiert; und durch einen Guide für die Offensive. Anweisungen sind nur dann erlaubt, wenn sich der Ball in der Zone des Trainers/Guides befindet. Das Spielfeld umfasst eine Fläche von 20 mal 40 Metern, die seitlich durch eine Bande begrenzt ist, gespielt wird auf Hockey-Tore. Die Spieldauer ist im Ligabetrieb auf 15 Minuten pro Halbzeit (netto) festgelegt; der Schiedsrichter hält die Uhr bei jeder Unterbrechung an. Ein Team besteht meist aus acht Spielern (plus zwei Keeper). In der Bundesliga gibt es sowohl Vereinsspieltage (auf dem Gelände der Klubs) als auch zwei Stadtspieltage pro Saison. Das Spielfeld wird dann nach Möglichkeit auf einem öffentlichkeitswirksamen Platz der Stadt, zum Beispiel der Kölner Domplatte, aufgebaut.

• Spielersuche: Wer sich den Schanzer Blindenfußballern anschließen möchte, kann sich „jederzeit unter der Adresse blindenfussball@fcingolstadt.de melden“, sagt Trainer Peter Adrian. Voraussetzung für Frauen und Männer (Jugendliche ab 14 Jahren) ist eine Sehfähigkeit bis maximal 30 Prozent. Der FCI sucht auch neue Torhüter für das Blindenteam.

• FCI in Berlin: „Berlinale Meets Fußball“ ist ein gemeinschaftliches Projekt der Berlinale zusammen mit der Philipp Lahm-Stiftung sowie Benedetta Films und ein Beitrag zum Kulturprogramm der Fußball-EM 2024 in Deutschland. Nach dem Besuch auf der Premiere ist der Berlin-Trip für die Schanzer noch lange nicht zu Ende: Neben einem Bankett, einem Fototermin, einer Stadtrundfahrt und einem Film-Workshop geht es in einem Freundschaftsspiel gegen Hertha BSC auch sportlich zur Sache.