Brüssel
Regierung in Rom droht Defizitverfahren

Streit um die Budgetpolitik zwischen der EU-Kommission und Italien spitzt sich weiter zu

21.11.2018 | Stand 23.09.2023, 5:02 Uhr
Eric Bonse
So geht's nicht: EU-Währungskommissar Pierre Moscovici begründet die Empfehlung der EU-Kommission, gegen Italien ein Defizitverfahren einzuleiten, mit den hohen Altschulden des Landes. −Foto: Mayo/dpa

Brüssel (DK) Es ist eine Eskalation mit Ansage: Weil sich Italien trotz mehrfacher Aufforderung aus Brüssel weigert, den Budgetentwurf für 2019 zu überarbeiten und weniger neue Schulden zu machen, hat die EU-Kommission gestern ein Defizitverfahren empfohlen. Einige Experten fürchten nun eine neue Euro-Krise.

Ein solches Defizitverfahren könnte mit Milliardenstrafen für Rom enden - und die Schuldenkrise weiter verschärfen. "Wir hatten keine andere Wahl", begründeten die beiden für den Euro zuständigen EU-Kommissare Valdis Dombrovskis und Pierre Moscovici gestern in Brüssel ihre Entscheidung. "Mit dem, was die italienische Regierung auf den Tisch gelegt hat, sehen wir die Gefahr, dass das Land in die Instabilität schlafwandelt", sagte Dombrovskis. "Wir handeln im Interesse der italienischen Bürger", so Moscovici.

Die populistische Regierung in Rom plant 2019 eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung, Brüssel hält höchstens 0,8 Prozent für vertretbar. Mit einem höheren Defizit könne der italienische Schuldenberg von über 130 Prozent der Wirtschaftsleistung weiter wachsen und außer Kontrolle geraten, warnte Dombrovskis. Dies könne auch die Stabilität der gesamten Euro-Zone gefährden.

Auf Nachfrage räumte Dombrovskis allerdings ein, dass es bisher noch keine "Ansteckungsgefahr" für andere Euro-Länder gebe. Der Euro sei stabil, die Defizite in der Währungsunion lägen auf einem historischen Tiefststand. Selbst die seit der Euro-Krise berüchtigten Spreads, die Risiko-Aufschläge auf italienische Staatsanleihen, liegen noch nicht in einem gefährlichen Bereich.

Um das Defizitverfahren gegen Italien zu begründen, greift die EU-Kommission denn auch zu einem Trick: Sie beruft sich nicht auf die Neuverschuldung, also auf das umstrittene Budget für 2019, sondern auf die Altschulden, die die Regierung in Rom von ihren Amtsvorgängern geerbt hat. Nach den EU-Regeln dürfen diese Altschulden nicht höher als 60 Prozent liegen. Brüssel nutzt das nun als Hebel gegen die Populisten.

Bis es zu einem förmlichen Strafverfahren und eventuell sogar zu Geldstrafen kommt, dürfte allerdings noch einige Zeit vergehen. Die EU-Kommission muss zunächst eine Stellungnahme der Mitgliedstaaten einholen, bevor sie das Verfahren offiziell eröffnen kann. Danach müssen noch die Finanzminister zustimmen, was im Januar erfolgen dürfte. Über mögliche Sanktionen würde - wenn überhaupt - erst deutlich später entschieden. Im Falle Italiens sind Geldstrafen von bis zu 3,4 Milliarden Euro möglich.

Bisher sind aber noch nie Geldstrafen gegen "Schuldensünder" verhängt worden. Die EU-Kommission wollte sich dazu gestern auch nicht äußern. Man setze weiter auf Dialog, betonte Moscovici. Tatsächlich sind bereits weitere Gespräche geplant. So wird Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Samstag den italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte zu einem Abendessen treffen. Mit einem Durchbruch wird allerdings nicht gerechnet.
Vielmehr sieht es so aus, als könne sich der Streit nun verselbstständigen - und zu einem Wahlkampfthema werden. Der Chef der rechten Lega, Matteo Salvini, hat bereits Kundgebungen gegen das "Spardiktat" aus Brüssel angekündigt. Die Rechtspopulisten versuchen offenbar, politisches Kapital aus der Konfrontation mit der EU zu schlagen. Aber auch einige Reaktionen aus Brüssel lassen bereits an die Europawahl im Mai kommenden Jahes denken.

"Italien hat die Eskalation gesucht und das ist nun die Antwort", kommentierte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. "Ich erwarte, dass die Kommission den möglichen Strafrahmen vollumfänglich ausschöpft", fügte er hinzu. Hinter die EU-Behörde stellt sich auch der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold. "Wahlgeschenke an die Wähler der Regierungsparteien rechtfertigen keine Mehrausgaben", sagte er.

Allerdings äußerte Giegold auch Verständnis für die Probleme in Rom. Mehrausgaben könnten sinnvoll sein, wenn sie Italiens Wirtschaft wiederbeleben, sagte er. "Für ökonomisch sinnvolle Ausgaben könnte Europa temporär ein Defizit von maximal 2,4 Prozent akzeptieren", so Giegold. Zudem müßten die Stabilitätsregeln reformiert werden. Mit ihrer harten Haltung machten die italienischen Populisten eine Reform der Währungsunion jedoch fast unmöglich.

Vor einem "Bumerang für die Euro-Zone" warnte dagegen der linke Finanzexperte Fabio de Masi. Strafzahlungen belasteten das Land zusätzlich und könnten die Zinsen in die Höhe treiben. "Das ist Wirtschaftspolitik mit geladener Beretta", so De Masi. Es werde die Wut auf Brüssel und Berlin in Italien weiter anheizen.

Eric Bonse