Moosburg
Eine Frage des Rückgrats

Michael Stanglmaier will für Bündnis 90 / Die Grünen in den Bundestag einziehen

05.09.2013 | Stand 02.12.2020, 23:42 Uhr

Zu Gast beim Bundestagsdirektkandidaten der Grünen, Michael Stanglmaier, und seiner Ehefrau Alexandra Becher. Bei Kaffee und Kuchen spricht der Naturwissenschaftler über Bürgerrechte, Musik, Europa und anderes. Politik habe für ihn nichts damit zu tun, sich durch Nachplappern beliebt zu machen – im Gegenteil - Foto: Kraus

Moosburg (PK) Michael Stanglmaier ist Wahlkampfveteran, Naturwissenschaftler, Triathlet und Bundestagsdirektkandidat der Grünen. Der Moosburger gilt als Politiker, der auch zur unbequemen Überzeugungen steht.

Wir treffen ihn in seinem Gartenidyll am Moosburger Stadtrand. Zu Kaffee und Kuchen auf der Terrasse des Stockhauses mit den französischen Balkonen. Es gibt Espresso und Cappuccino. Nicht aus Fair-Trade-Bio-Bohnen, die man beim Vorzeigegrünen vermuten möchte, sondern die bekannte italienische Marke. „Ich bin kein Dogmatiker“, sagt Kaffeeliebhaber Stanglmaier. „Wenn’s wäre, hätte ich aber auch eine Packung Biokaffee da.“ Da blitzt die Gelassenheit des Politikers durch, der auch im Stadtrat und Kreistag sitzt. Kein Wunder: „Es ist mein fünfter Wahlkampf, bei dem als Kandidat meinen Kopf hinhalte.“ Zweimal Bundestag, einmal Landtag, zweimal Bürgermeister. Von Wahlkampf-Routine könne aber keine Rede sein.

Die hat eher Ehefrau Alexandra Becher, die sich heuer weitestgehend raushält. „Früher war ich viel dabei“, erzählt sie. Heute nicht mehr, einer müsse ja d bei den Söhnen – zwölf und 14 Jahre alt – sein. „Und die Reden und Vorträge kenne ich schon“, sagt sie lachend. Sie ist schließlich die Testzuhörerin.

Stanglmaier schneidet den Marmorkastenkuchen an. Der stammt von der „Hausbäckerei“, wie er scherzt. Von seiner Mutter. „Sie backt gerne und ist froh, dass wir dankbare Abnehmer sind.“

Der promovierte Chemiker arbeitet seit 16 Jahren in der Krebsforschung und molekularen Medizin, an der Entwicklung von Tumormedikamenten. Aus dem Beruf heraus zieht er manche politische Erkenntnis – etwa zur Gefahr von Dieselabgas und Tabak. „Das Rauchverbot hat mehr Leben gerettet als so manch medizinischer Durchbruch“, sagt Stanglmaier.

Der gebürtige Freisinger hat seine Kindheit im kleinen Dorf Hausmehring bei Nandlstadt verbracht. Daher die Liebe zur Natur. Vor ein paar Tagen hat er nun seinen 50. Geburtstag in den Bergen gefeiert. Mit einer Besteigung des Guffert in Tirol. Luft zum Atmen im engen Zeitkorsett des Wahlkampfendspurts. Als Bergwanderer erklimmt Stanglmaier sieben oder acht Gipfel im Jahr. Er ist überhaupt sportlich. Als Radler, Läufer, Schwimmer – oder alles zusammen: Dass er Moosburgs Triathlon-Stadtmeister ist, erwähnt seine Frau eher beiläufig.

Die weitere Leidenschaft Stanglmaiers: Musik. Aber nur das Hören, nicht das Musizieren. Er habe kein Rhythmusgefühl, sagt er. „Ich konnte schon bei der Bundeswehr nicht im Gleichschritt gehen.“ Stattdessen hat er eine stolze Plattensatzung, 1300 CDs und über 600 Vinylplatten – fast alle von Elvis, Springsteen, Dylan, Young.

Stanglmaier ist eher der nachdenkliche Typ. Etwa wenn er über Bürgerrechte spricht. „George Orwells ist mit ,1984‘ fast schon harmlos im Vergleich“, sagt Stanglmaier, der 1986 über eine Bürgerinitiative gegen die Volkszählung zu den Grünen kam, mit Blick auf NSA-Affäre. Dazu kämen immer mehr Überwachung im öffentlichen Raum, Kontrolle auf Schritt und Tritt und nicht zuletzt die Vorratsdatenspeicherung. „Das kann doch nicht Ziel eines Rechtsstaats sein“, mahnt Stanglmaier. „Freiheit hat doch nicht nur damit zu tun, dass ich auf auf der Autobahn so schnell fahren kann, wie ich will.“

Hoch über dem Garten dröhnt ein Flugzeug im Anflug auf den Münchener Flughafen. Er schaut ihm hinterher. „Heute ist es vergleichsweise leise“, sagt er. Am Abend wird er mit anderen Gegnern der dritten Startbahn einen Vortrag zum Thema halten. Ein Bierzeltredner ist er ja weniger. Von der zu ruhigen Stimme ganz abgesehen: „Ich versuche die Leute mit Argumenten zu überzeugen – da kommt der Naturwissenschaftler bei mir durch.“

Neben den grünen Standardthemen Energiepolitik und Klimaschutz, die Stanglmaier aus dem Effeff beherrscht, umfassen seine Schwerpunkte auch Sozial- und Verkehrspolitik. Oder Europapolitik: „Die Europäische Union ist eine der größten Errungenschaften, die dieser Kontinent je hervorgebracht hat“, sagt der Kandidat. Es gebe heute offene Grenzen, wo sich vor 70 Jahren noch Todfeinde gegenüberstanden. Einzelne Nationalstaaten, die im internationalen Konzert nur die kleine Geige spielen, bekämen zusammen eine starke Stimme in der Welt. Die Frage sei allerdings wie man die EU ausgestalte: Finanztransaktionssteuer, europäische Bürgerinitiativen, mehr Gestaltungsmöglichkeiten für das EU-Parlament und so weiter. Es dürfe nicht um Bürokratie gehen, sondern um Werte – um Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. „Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger“, sagt Stanglmaier.

Dass man mit solchen europapolitischen Forderungen im Wahlkampf derzeit nicht gerade Jubel erntet, ist ihm klar. „Ein Politiker braucht das Rückgrat, seine Überzeugungen zu vertreten, auch wenn sie unpopulär sind“, sagt der Grüne. Mann müsse zu Inhalten stehen, auch wenn sie der schnellen politischen Karriere schaden. Er weiß wovon er spricht. Dass er vehementer Gegner der Moosburger Westtangente war, dürfte ihm bei der Bürgermeisterwahlkampf wohl einige Stimmen gekostet haben. Es reiche nicht aus, die allgemeine Stimmungslage nachzuplappern, sagt Stanglmaier. „Damit würde man sich beliebt machen – aber darum geht es in der Politik nicht: Wer Stanglmaier wählt, weiß was er bekommt.“