Berlin
"Keinen Streik herbeireden"

GDL-Chef Claus Weselsky sieht die Deutsche Bahn in der Pflicht

10.11.2014 | Stand 02.12.2020, 22:00 Uhr

Berlin (DK) Nach dem sechsten Bahnstreik in drei Monaten bewegen sich beide Seiten nur langsam wieder aufeinander zu. Die Suche nach einem Verhandlungstermin läuft noch. Wir haben mit Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), gesprochen.

 

Herr Weselsky, nach dem Ende des letzten Streiks schlagen Sie milde Töne an, und halten eine Einigung bis Weihnachten für möglich. Ist das realistisch?

Claus Weselsky: Wenn wir über die Inhalte sprechen – also über Arbeitszeitreduzierung und Entgelterhöhung –, können wir das in einer angemessenen Zeit leisten. Die Bahn muss jetzt zu Gesprächen einladen und uns ein Angebot machen. Wenn wir für alle unsere Mitglieder verhandeln, sind Kompromisse nicht nur möglich, sondern definitiv erreichbar.

 

Ist mit neuen Streiks zu rechnen?

Weselsky: Ich möchte jetzt nicht den nächsten Streik herbeireden. Das Management der Bahn hat über zwei Instanzen vom Gericht mitgeteilt bekommen, dass der Streik der GDL verhältnismäßig ist. Und jetzt schauen wir mal, ob das Management mit der GDL in Verhandlungen für alle ihre Mitglieder eintritt.

 

Bahnchef Rüdiger Grube fordert Sie zu Kompromissen auf. Mit welchen Vorschlägen gehen Sie in die Gespräche?

Weselsky: Zwei Gerichte in Frankfurt am Main haben der GDL bescheinigt, dass die Streiks und die von uns erhobenen Forderungen rechtmäßig sind. Bahnchef Grube war in den letzten Wochen abgetaucht. Offenbar liest er keine Zeitung. Ich bin erschüttert, wenn der Vorstandsvorsitzende der Bahn nicht weiß, wo wir jetzt stehen, und mitteilen lässt, dass Weselsky Kompromisse machen soll. Wir machen Kompromisse bei den Inhalten. Aber bei der Koalitionsfreiheit und der Grundrechtsfrage, ob für alle Mitglieder verhandelt und Tarifverträge abgeschlossen werden, machen wir keine Abstriche. Das Gericht hat sich eindeutig geäußert, dass die von der GDL erhobenen Forderungen rechtmäßig sind – und zwar für alle ihre Mitglieder: für Lokführer, Zugbegleiter, Lokrangierer, Instruktoren und Ausbilder.

 

Sie haben sich dazu bereit erklärt, nun doch Parallelverhandlungen mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) zu führen. Wie ist der Sinneswandel zustande gekommen?

Weselsky: Wir waren von Anfang an dazu bereit. Die Bahn wollte aber, dass wir das Streikrecht abgeben und nur Scheinverhandlungen führen. Dagegen haben wir uns gewandt, nicht gegen parallele Verhandlungen. Wir sind bereit, in freie und faire Verhandlungen für unsere Mitglieder zu gehen – aber nur ohne die Bedingung, dass wir am Ende den Tarifvertrag von jemand anderem unterschreiben müssen. Schon heute sind 85 Prozent der Tarifverträge für Lokführer und Zugbegleiter absolut identisch. Wenn am Ende zwei bis drei Prozent übrig bleiben, die strittig sind, ist das etwas, das das Unternehmen aushalten kann. Bei vielen Wettbewerbsunternehmen der Bahn – wie Veolia Nordwestbahn, Veolia Nord-Ostsee-Bahn, Veolia Verkehr Sachsen-Anhalt, Netinera, Vogtlandbahn, Odeg – sind plurale Tarifverträge in Kraft.

 

Wer trägt die Schuld daran, dass sich der Streit zuletzt so zugespitzt hatte?

Weselsky: Jeder kann sehen, dass die Lokführer und Zugbegleiter solidarisch für ihre Forderungen kämpfen. Das Bahnmanagement stilisiert eine Mücke zum Elefanten hoch und verbrennt hunderte von Millionen Euro. Wir haben nur unsere Grundrechte verteidigt und allen gezeigt, dass an dieser Stelle mit uns nicht gut Kirschen essen ist.

 

Sie gelten als meistgehasster Gewerkschaftsboss Deutschlands. Den letzten Streik haben Sie verkürzt. Ist das ein Zeichen der Schwäche?

Weselsky: Ich dachte immer, es sei ein Zeichen von Stärke, wenn man erfolgreich ist und zwei Gerichtsverfahren gewinnt. Wir wollten nicht auf dem Gegenüber herumtrampeln, weil wir uns ja wieder in Verhandlungen gegenübersitzen müssen. Deshalb war unsere Geste an die Kunden auch eine Geste an das Bahnmanagement.

 

Nur ein Drittel der bei Ihnen organisierten Lokführer sollen nach einem Bericht an dem Streik teilgenommen haben. Schwindet Ihr Rückhalt?

Weselsky: An einem Streiktag sind mehr als 3000 Mitglieder unterwegs. Wenn wir drei Tage streiken, sind das 9000. Es gibt kein Bröckeln der Streikfront, im Gegenteil.

 

Das Interview führte

Antje Schroeder.