Kommentar
Pulverfass Venezuela

24.01.2019 | Stand 02.12.2020, 14:46 Uhr

Es war ein großes Experiment auf einem Kontinent, dessen Länder immer wieder politische Umwälzungen erlebt haben: Unter Staatschef Hugo Chavez etablierten die sogenannten Chavisten in Venezuela einst ein neues, ein zutiefst sozialistisches System.

Getragen vom Volk schnitten sie alte Zöpfe ab. Doch im Laufe der Jahre wandelte sich das Projekt in eine Gewaltherrschaft.

Heute hungert das Volk, sieht kaum mehr Perspektiven in der Heimat. Die herrschende Klasse aus Sozialisten und Militärs aber lebt im Überfluss und verwaltet - leider oft recht dilettantisch - die gigantischen Öl-Reserven des Landes. Machthaber Nicolás Maduro hat alles unternommen, um trotz dieser erbärmlichen Umstände an der Macht zu bleiben: Seine Wiederwahl war zumindest fragwürdig. Er hat die ihm nicht gewogene Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz schlicht vertrieben. Und er entmachtete das Parlament - die Seele und das Korrektiv einer jeden demokratischen Ordnung. Auch wenn sich die Chavisten aus ihrer einstigen Rolle der Volkshelden heraus nicht so verstehen mögen: Genau das wird unter einer Diktatur verstanden.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Mehrheit des Volkes - angeführt von einer erstarkten Opposition - auf die Straßen geht. Man will sich nicht mehr mit Hunger und Armut abfinden - schon gar nicht in dem Wissen, in einem vom Potenzial her wohlhabenden Land zu leben. Und man ist die Korruption in Maduros Apparat satt. Die demokratischen Regierungen in aller Welt - auch jene in Berlin - müssen den selbst ernannten Übergangs-Präsidenten Juan Guaidó nun tragen.

Doch dabei müssen sie behutsam vorgehen, um die Lage nicht unnötig zu verschärfen. Denn man darf sich nicht blenden lassen; die Anhänger des Chavismus sind keineswegs zur Randgruppe geworden. Viele profitieren nach wie vor vom Sozialismus. Es ist nicht abwegig, dass Venezuela ein erbitterter Bürgerkrieg um das künftige politische System, um Macht und nicht zuletzt um den Reichtum des Landes bevorsteht. Der Weg vom Krisen- zum Kriegsgebiet scheint für Venezuela kurz zu sein. Ob das Pulverfass detoniert, wird auch davon abhängen, wie skrupellos Maduro seine Herrschaft verteidigt. Der Rückhalt anderer Autokraten weltweit ist ihm dabei gewiss.