Die Bomben von Boston

16.04.2013 | Stand 03.12.2020, 0:15 Uhr
Ein Packen Boston Globes in der Newbury Street in der Nähe jenes Platzes, wo zwei Bomben detonierten und drei Menschen in den Tot rissen. −Foto: Matthew Cavanaugh (dpa)

Ein Kommentar zum Bombenanschlag am Rande des Boston Marathons am Montag von Peter Felkel, Nachrichtenchef des DONAUKURIER.

Egal, ob es nun El-Kaida-Terroristen waren oder ein rechter Wahnsinniger, ein amerikanischer Breivik sozusagen: Der Anschlag von Boston hat Amerika ins Herz getroffen wie kein anderes Ereignis seit dem 11. September 2001.
 Das verwundert auf den ersten Blick: Denn das Land, das laut eigenem Verständnis immer noch der Hort der Freiheit ist und die Heimat der Tapferen, vermag selbst Tragödien wie das Schulmassaker von Newtown oder den Amoklauf von Aurora mit routiniert anmutender Beiläufigkeit zu verarbeiten – ohne Konsequenzen aus den schrecklichen Ereignissen zu ziehen. Barack Obamas Versuche, die archaischen Waffengesetze zu ändern, wirken rührend angesichts der Hartleibigkeit der Waffenlobby. Blutbad, Trauer, politisches Geplänkel, Ohnmacht, Resignation, Schweigen bis zum nächsten Blutbad – so funktioniert das Ritual seit eh und je.
 Doch Boston ist anders. Der Anschlag in der Ostküstenmetropole wird nicht nach kurzer Zeit wieder aus dem Bewusstsein verschwinden. Denn die Bomben von Boston waren ein Anschlag auf die amerikanische Seele – an einem Tag, der in dieser so auf Symbole fixierten Nation von besonderer Symbolkraft ist: am "Patriots’ Day", der an die Schlachten von Lexington und Concord erinnert, mit denen der Unabhängigkeitskrieg der Siedler gegen die britische Krone begann. Und an die Patrioten der historischen Tea Party.
 Noch hat sich von offizieller Seite niemand zu möglichen Attentätern geäußert. Doch das FBI ermittelt offenbar verstärkt unter einheimischen Radikalen. Und an Verwirrten, an Spinnern, an Irregeleiteten mit fatalem Sendungsbewusstsein herrscht in dem riesigen Land kein Mangel. Schon hat sich etwa die radikal-christliche Westboro Baptist Church, zu deren "Programm" die Forderung nach der "Todesstrafe für Schwuchteln" gehört, zu Wort gemeldet: Die Bostoner Bomben seien "eine Strafe Gottes". Dieses Gerede erinnert fatal an die radikale Tea-Party-Bewegung der Neuzeit, deren verbale Entgleisungen während des vergangenen Präsidentschaftswahlkampfes klangen, als herrschte längst Bürgerkrieg im Land der Freien. 
 Es wäre dies das größte anzunehmende Unglück für diese Nation – und die größtmögliche Herausforderung für ihren Präsidenten –, wenn die Ermittlungen am Ende an den Tag brächten: Der Feind lauert tatsächlich im eigenen Land.