Geisenfeld
Die seltsame Spalte in der Körpermitte

Bei Rektusdiastase weichen die geraden Bauchmuskeln auseinander - Technik aus den USA verspricht Hilfe

04.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:13 Uhr
Der Bauch wölbt sich nach außen (Fotos oben), weil die vorderen Bauchmuskeln nicht mehr an der richtigen Position stehen: Die Collage zeigt eine Betroffene mit Rektusdiastase vor einer Behandlung und nach den ersten sechs Wochen (Fotos unten). −Foto: privat

Geisenfeld - Evi F. aus Geisenfeld (Kreis Pfaffenhofen) bemerkte es nach der Geburt ihres ersten Kindes: Zwischen ihren vorderen Bauchmuskeln klaffte ein Spalt von drei bis vier Zentimetern. Bei Anspannung, etwa bei Sit-ups, bildete sich eine Beule auf ihrem Bauch.

 

Ihre damalige Hebamme zeigte ihr bei der Nachsorge zwar Gymnastikübungen, die die Muskeln beim Wieder-Zusammenwachsen unterstützen sollten. Aber viel tat sich nicht. Während ihrer zweiten Schwangerschaft wurde der Spalt dann noch um Einiges größer, "er glich etwa der Größe zweier Bananen, die man nebeneinander legt", erzählt die heute 38-Jährige. Nach der Geburt wurde es zwar wieder etwas besser. Aber eine Lücke in der Muskulatur ertastet sie auch jetzt noch, nach gut drei Jahren, und die Beule auf ihrer Bauchdecke bildet sich bei Anspannung nach wie vor.

Evi F. ist damit nicht allein, die Betroffenen leiden unter Rektusdiastase, einem Auseinanderweichen der geraden Bauchmuskeln. Der Grund dafür ist eine Überdehnung; die Folge eine beeinträchtigte Halte- und Stützfunktion der Muskulatur sowie eine Wölbung der vorderen Bauchwand nach außen. Eine leichte Rektusdiastase nach der Schwangerschaft verursacht oft keine Schmerzen oder Beschwerden, so wie bei Evi F. , und ist somit in erster Linie nur ein kosmetisches Problem. Wobei das Wörtchen "nur" hier vorsichtig gebraucht werden muss - "denn die Optik eines Schwangerschaftsbauches kann für die Frau psychisch sehr belastend sein", weiß die Ingolstädter Hebamme Heidi Harnack aus ihrer mehr als 35-jährigen Berufserfahrung. In ausgeprägteren Fällen kann eine Rektusdiastase aber auch zu Rücken- und Hüftschmerzen, schlechter Körperhaltung, Beckenbodenschwäche und Magen-Darm-Problemen führen. "Die Schwere der Symptome korreliert mit der Größe der Rektusdiastase", sagt Harnack. Und: Mehrfachgebährende sind meist stärker betroffen.

Aber nicht nur Schwangere - bei denen sich Muskeln, Bänder und Bindegewebe wegen des wachsenden Kindes in der Gebärmutter ja auch dehnen müssen - haben Rektusdiastasen. Bei Männern liegt es nicht selten am sogenannten Bierbauch: Hier übt das Bauchfett einen starken Druck nach außen aus. Desweiteren kann eine Rektusdiastase auch angeboren sein. Sie schließt sich zwar in der Regel bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres wieder, aber eben nicht immer. Hat sie sich geschlossen, kann sie sich auch durch bestimmte sportliche Aktivitäten, ungünstige Alltagsbewegungen oder Operationen wieder öffnen.

Kleinere Rektusdiastasen von Schwangeren heilen nach der Geburt meist von selbst wieder. Eine gute Rückbildungsgymnastik, die Hebammen anbieten, ist hier das A und O. Letztlich seien solche leichten Rektusdiastasen gut behandelbar, "wenn die richtigen Muskelgruppen aktiviert werden und die überlasteten Muskeln Entspannung erfahren", erklärt Harnack. "Auch der Beckenboden spielt hierbei eine wichtige Rolle sowie das richtige Verhalten im Alltag. " Die Hebamme bietet in ihrer Praxis dazu Kurse an (www. hebamme-heidi-harnack. de).

Ist der Spalt allerdings stärker ausgeprägt oder hat die Diastase eine andere Ursache als eine Schwangerschaft, sei es jedoch so gut wie unmöglich, sie selbst wieder in den Griff zu bekommen, sagt Anika Unterburger aus Greding (Kreis Roth). Im Gegenteil: "Wenn die Diastase vier Finger und mehr breit ist, wird bei jeder Alltagsbewegung, in die der Bauch involviert ist, die Muskulatur noch weiter auseinandergezogen. Man muss also aktiv eingreifen und den Zug vom Bindegewebe nehmen, um die Muskulatur wieder zusammenzubringen. "

Da Unterburger selbst, ihr Mann sowie ihr fünfjähriger Sohn unter Rektusdiastase leiden, hat sie sich viel mit dem Thema beschäftigt - und sich schließlich zur zertifizierten Trainerin der Tupler-Technique ausbilden lassen, einer nicht-operativen Methode zur Behandlung von Rektusdiastasen. Unterburger ist die erste in Bayern und die Zweite in ganz Deutschland, die diese Methode anbietet (www. anika-unterburger. de). "Das Thema Rektusdiastase ist in der medizinischen Fachwelt bisher kaum präsent, obwohl viele Betroffene stark darunter leiden und nicht wissen, was sie tun sollen", sagt sie. Die Technik wurde in den 90er-Jahren von der Krankenschwester, Personal Trainerin und Entbindungsberaterin Julie Tupler in New York entwickelt. Ziel ist es, das Bindegewebe zwischen den auseinandergewichenen Muskeln zu festigen, während die geraden Bauchmuskeln wieder aufeinander zuwandern. Bauchmuskulatur und Bindegewebe sollen somit dauerhaft wieder an ihre "richtige" Position zurückgebracht werden.

Die Technik besteht aus vier Bausteinen. Der erste ist der "Splint", ein spezieller Gurt beziehungsweise Wickel, der die Muskulatur zusammenbringt - oder - wer das Training vorbeugend bereits in der Schwangerschaft macht - zusammenhält. "Der ,Splint' ist kein Kompressionsgurt oder Korsett", betont Unterburger. "Er wird auch nicht eng getragen, sondern ist eher eine Art Funktionskleidung, die die Muskeln fixiert. Ich kann damit also jede Bewegung machen, die ich möchte. " Zweiter Baustein sind die passenden Bauchmuskelübungen dazu, die drei Mal täglich durchzuführen sind. "Wir arbeiten dabei mit Kontraktionen, das heißt, wir sitzen aufrecht auf einem Stuhl und trainieren den Transversus, den tiefliegendsten Bauchmuskel, indem wir einfach den Nabel einziehen, halten und wieder lösen. Eigentlich total einfach", sagt Unterburger. "Wenn man das allerdings mal am Stück längere Zeit macht, ist es gar nicht mehr so einfach - aber effektiv. " Dabei sei es sehr wichtig, dass die Muskeln mit dem "Splint" zusammengehalten werden, sonst könne das Gegenteil passieren: "Die Muskeln gehen auseinander. "

Im dritten Schritt lernt man, den Transversus im Alltag zu trainieren und in jeder einzelnen Bewegung richtig einzusetzen. "Das heißt, bei jeder Bewegung, die wir machen, muss sich der Bauch reinziehen und darf nicht nach außen gehen, sonst entsteht wieder Druck auf das Bindegewebe und die Diastase wird größer. "

Wichtig seien im vierten Schritt richtig ausgeführte Positionswechsel, also hinsetzen, aufstehen, sich ins Bett legen, bücken - "da kann man unheimlich viel falsch machen, was das Bindegewebe zusätzlich schädigt", so Unterburger.

In den ersten sechs Wochen begleitet Unterburger die Betroffenen intensiv, um ihnen die Grundlagen der Technik zu vermitteln. Das ganze Programm samt "Splint" und Handbuch kosten bei ihr 389 Euro. Einen Erfolg garantiert sie ab etwa einem halben Jahr. "Bei großen Diastasen, also von etwa 25 bis 30 Zentimetern Breite, kann es auch mal eineinhalb Jahre dauern. " Da Männer in der Regel das bessere Bindegewebe haben, gehe bei ihnen die Diastase meist schneller zurück als bei Frauen.

Insgesamt komme es aber auch auf das eigene Engagement an. "Wenn ich die Übungen schleifen lasse, dauert es natürlich länger, als wenn ich kontinuierlich dranbleibe", sagt Unterburger. Man müsse die Technik in sein Leben integrieren. "Denn auch wenn die Diastase sich wieder geschlossen hat, muss ich immer berücksichtigen, dass sie sich wieder öffnen kann. " Das Schöne sei jedoch, dass man innerhalb kürzester Zeit bereits Ergebnisse der neuen Muskelstärke spüren könne, man etwa einen stabileren Rücken und weniger Schmerzen habe.

Von einer Operation, die manchmal von Medizinern bei einer schweren Diastase empfohlen wird, halten weder Unterburger noch Heidi Harnack besonders viel. Diese sei der Hebamme zufolge lediglich in Erwägung zu ziehen, wenn es trotz aller Bemühungen nicht gelungen sei, die Lücke in der Bauchdecke zu schließen. Denn eine Operation sei immer mit Risiken verbunden und die Heilung relativ langwierig und auch schmerzhaft.

DK

Silvia Obster