Stadttheater Ingolstadt: Intendant Knut Weber zieht Bilanz

27.07.2022 | Stand 22.09.2023, 20:39 Uhr

Die Ablehnung der Kammerspiele ist auch eine Ablehnung eines Neubaus der Theaterwerkstätten. Intendant Knut Weber und sein Team werden bis auf Weiteres mit den beengten Verhältnissen im Malersaal leben müssen. Foto: Hauser

Ingolstadt – Für einen kurzen Moment hat er überlegt, ob er schon vorher aufhören soll. Am Sonntagabend war das. Als der negative Bürgerentscheid das Aus für die Kammerspiele-Pläne besiegelte. Aber natürlich macht Knut Weber weiter bis 2024. Dann nämlich endet seine Intendanz in Ingolstadt. Und dann wird sein Haus noch einmal die Bayerischen Theatertage ausrichten.

Herr Weber, sind Sie froh, dass dieses Spielzeit vorbei ist? 
Knut Weber: Nicht wirklich. Klar: Nach so einer anstrengenden Spielzeit ist jeder und jede müde. Aber jetzt am Ende der Spielzeit ist das Publikum noch mal in Scharen zu den Vorstellungen gekommen. Reduit Tilly und Turm Baur waren ständig ausverkauft. Und das hätte schon noch mal eine Weile so weitergehen können. Das tut uns gut. Nicht nur wegen der Einnahmen, sondern auch emotional. Weil man wieder weiß, wofür man das alles macht – nämlich für das Publikum.

Der Bürgerentscheid setzte einen Schlusspunkt hinter eine aufreibende Spielzeit. Ab wann haben Sie mit dieser Entscheidung gerechnet?
Weber: Eigentlich schon ab Dezember, als klar war, dass es einen Bürgerentscheid oder auch Ratsbegehren geben würde. Ein kulturelles Projekt findet in keiner Stadt eine große Mehrheit. Wenn dann noch  mit derart populistischen Methoden gearbeitet wird, muss man sich nicht wundern, wenn es für die Kultur negativ ausgeht. Ich habe das Ergebnis im Kreis der Theaterfamilie erlebt. Das ganze Ensemble und die Theaterfreunde hatten sich am Turm Baur versammelt – und schon diese Solidarität tat gut. Mit geballter kreativer Energie ging das Ensemble in die letzte Vorstellung  und wurde mit Standing Ovations gefeiert.

Welche Konsequenzen hat das Ergebnis für das Haus? Für Sie? Für Ihre Mitarbeiter?

Weber: Wir haben es immer gesagt: Es gibt keinen Plan B. Ich werde nicht für ein Theaterzelt zur Verfügung stehen. Das macht ökologisch und ökonomisch überhaupt keinen Sinn. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren innerstädtisch alle möglichen Standorte geprüft. Der Klenzepark ist durch. Eine Alternative sehe ich nicht. Es bleibt erst mal  nur  – weitermachen. In der Hoffnung, dass dieser alte Tanker wetterfest gemacht werden kann, damit er noch möglichst lange schippert. Dazu muss das kleine Haus ertüchtigt werden. Wir müssen das Stadttheater künstlerisch so gut aufstellen, wie es nur irgend geht. Denn wer plakatiert: „Kultur in Palästen, Jugend auf der Straße“, der hat mehr vor, als nur ein Gebäude zu verhindern. Ich werde mit allen Kräften daran arbeiten, unser Haus künstlerisch noch weiter nach vorne zu bringen, auch damit sich keine Legitimationsdebatte stellt. Und natürlich werden wir die Bayerischen Theatertage vorbereiten, die 2024 in Ingolstadt ausgerichtet werden.

Sie haben zwei Corona-Spielzeiten hinter sich gebracht. Was waren die größten Herausforderungen? 
Weber: Die täglichen Improvisationen aufgrund von Vorstellungsverschiebungen, Erkrankungen im Ensemble, neuen Richtlinien seitens der Staatsregierung. Das war unfassbar aufreibend. Und das noch zu händeln mit nicht einfachen Regisseuren wie z. B. Herrn Peymann. Das war ein täglicher Jonglageakt.

Ist Ihr Konzept aufgegangen – bezüglich Peymann und der „Nashörner“?
Weber: Künstlerisch ja. Es ist eine wunderbare Inszenierung und die Schauspieler spielen auf höchstem Niveau. Auch die Außenwirkung war gut. Es war die meistbesuchte Produktion dieser Spielzeit. Ein Juwel – auch wenn der Preis innerbetrieblich hoch war.

Als man wieder ohne Einschränkungen spielen durfte, blieb ein Teil des Publikums weg. Das beklagen alle Kulturveranstalter – und nicht nur in Deutschland. Was hat sich durch die Krise verändert? 
Weber: Es hat sich viel verändert. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, zu Hause zu bleiben, innere Schutzräume zu suchen. Viele haben nach wie vor Angst, in geschlossenen Räumen zu sein. Wir haben es gesehen: Die Zuschauer kommen ins Freilicht. Aber Innenräume sind problematisch. Wir merken das auch bei den Abo-Aktivitäten. Wir legen ja das alte Abo auf. Aber es gibt einen Teil der Abonnenten, die sagen: Wir möchten es noch ruhen lassen. Es ist uns noch zu früh.

Wie kann man dieses Publikum wieder zurückholen? Braucht es neue Formen von Theater?
Weber: Auf der einen Seite wollen wir die digitale Sparte weiterentwickeln, auf der anderen Seite müssen wir uns rückbesinnen auf unsere eigentliche Stärke – nämlich analog Geschichten zu erzählen. Auf höchstem Niveau mit einem guten Ensemble in spannender Regie und mit Inhalten, die relevant sind. Das ist es, was die Leute sehen wollen. Die Zeit, wo das Theater nur um sich selbst kreist, ist vorbei – wobei wir uns an dieser „Mode“ nie wirklich beteiligt haben. Das interessiert niemanden außerhalb der Szene. Und dann müssen wir natürlich gucken: Wie holen wir die jungen Leute ab? Das Festival Südwind hat gezeigt, wie es geht. Das macht mich für die Zukunft des Theaters hoffnungsvoll.

Hat das Südwind-Festival Ihre Erwartungen erfüllt?
Weber: Sogar weit übertroffen. Auch durch  die inhaltlichen Setzungen wie Inklusion, Barrierefreiheit, Teilhabe. Das ist voll aufgegangen. Die positive Bilanz zeugt davon. Auch die Schulen sind uns treugeblieben. Viele Lehrerinnen und Lehrer sehen, dass kulturelle Erfahrung ein Teil der Bildung ist.

Mit welchen Hoffnungen und welchen Befürchtungen blicken Sie in die nächste Spielzeit? 
Weber: Die Zahlen steigen auch in Ingolstadt wider. Die nächste Corona-Welle wird kommen. Und mit ihr die Maskenpflicht. Aber ich glaube nicht, dass es zu weiteren Einschränkungen für die Besucher und Besucherinnen  kommen wird. Einen Lockdown wird es wohl nicht mehr geben. Trotzdem müssen wir lernen, mit dem Virus zu leben. Wir sind jetzt schon wieder dabei, uns täglich vor den Proben zu testen. Wir werden weiterhin versuchen, keine Vorstellungen ausfallen zu lassen. Zur Not muss jemand mit dem Textbuch auf die Bühne. In den letzten zwei Jahren haben wir gelernt, uns auf Eventualitäten besser vorzubereiten.

Krankheiten im Ensemble, Verschiebungen von Vorstellungen bedeuten ja vor allem auch logistische Probleme.
Weber: Da kann ich nur unserem Künstlerischen Betriebsbüro ein großes Kompliment machen. Mit höchster Souveränität wurde dieses Chaos dort gehändelt. Und als das KBB ausgerechnet während der Südwind-Zeit krankheitsbedingt komplett ausfiel, haben Schauspieler die Probenpläne gemacht. Dass nicht alles zusammengebrochen ist, ist nur der hohen Improvisationskunst der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu verdanken.

Sie haben die nächste Spielzeit unter das Motto „Aufbruch“ gestellt.  Was wird das für ein Aufbruch? 

Weber: Es gibt zwei Aspekte – nach innen und nach außen. Nach innen sind wir seit einiger Zeit in einem Prozess des „change management“. Wir haben verschiedenste Arbeitsgruppen installiert – zum Thema klimaneutrale Produktion, Nachhaltigkeit, Kommunikation, Barrierefreiheit, Verhaltens-Kodex oder Hinterfragen von Machtstrukturen. Das Haus ist in Bewegung.  Diese positive Energie soll in die nächste Ära hinüberschwappen. Auf der anderen Seite gibt es einen Aufbruch nach außen. Der wäre noch schöner gewesen, wenn die Kammerspiele gebaut worden wären. Aber wir werden uns thematisch und ästhetisch weiterentwickeln. Wir haben in der kommenden Spielzeit sieben Regisseurinnen verpflichtet. Und mit Yael Ronen konnten wir eine führende Regisseurin der deutschen Theaterszene engagieren, die das Berliner Gorki Theater entscheidend prägt. Ihre Inszenierung von  „Slippery Slope“ über  Machtmissbrauch, Sexismus und Cancel Culture war auch zum Theatertreffen eingeladen worden. Die Arbeit in Ingolstadt wird inspiriert vom Gorki Theater, aber wird eine völlig eigenständige Inszenierung sein. Yael Ronen ist begeistert von unserem Ensemble.

Ein ähnlicher Coup, wie Claus Peymann zu engagieren.
Weber: Auf jeden Fall. Und dass diese Themen in Ingolstadt in der ersten Produktion mit dieser Regisseurin stark gemacht werden, ist ein ganz klares Zeichen für einen Aufbruch. Auch künstlerisch. Da werden neue Wege beschritten. Neben dem Aufbruch in die Zukunft wird es aber auch einen Rückblick geben. Denn im  Zusammenhang mit der Produktion „Requiem“ – ein Stück des israelischen Autors Hanoch Levin – wird eine Ausstellung zum Thema „Jüdische Schauspielerinnen und Schauspieler bis 1933 in Ingolstadt“ präsentiert werden. Das Stadtarchiv hat in monatelanger Arbeit einzelne Schicksale recherchiert, die zur Premiere von „Requiem“ im Foyer des Stadttheaters gezeigt werden. Das Theater fühlt sich verpflichtet, die Erinnerung an diese schreckliche Zeit wach zu halten.

Wird es neue Spielorte geben?
Weber: Wir planen anlässlich der Uraufführung von „Frankenstein“ eine Downtown-Reihe zum Thema „Künstliche Intelligenz“. Und da sind wir gerade auf der Suche nach möglichen Spielorten in der Stadt. Ohne das Haus zusätzlich  zu belasten.

Was machen Sie in den Theaterferien? 
Weber: Ich werde zwei Wochen nach Texel fahren, eine hundefreundliche Nordseeinsel in Nordholland. Und nehme mir ein bisschen Arbeit mit: Ich werde „Medea“ vorbereiten, die ich in der nächsten Spielzeit in Georgien inszenieren soll, falls Corona und Herr Putin das zulassen.  Und Lektüre von Seneca: „Von der Kürze des Lebens“. Damit ich die Wut der Wahlverlierer der letzten Kommunalwahl unbeschadet überstehe.

DK

Die Fragen stellte Anja Witzke.