Von Anja Witzke
Ingolstadt – Am Ende stehen alle, klatschen, tanzen, singen: „We‘re going to have a party! Yeah!“ Enrico Spohn steckt als exaltierter Ziggy-Stardust-Widergänger alle an mit dem 80er-Jahre-Party-Hit „All Night Long“. Und eigentlich will auch noch keiner gehen. Obwohl es bald Mitternacht ist. Aber die Temperaturen haben sich endlich auf sommerliche Wohlfühlgrade eingependelt. Und man sieht und hört diesem wunderbaren Ensemble einfach gern zu. Corona und nicht zuletzt die ermüdende Kammerspiel-Debatte haben allen eine aufreibende Spielzeit beschert. Und nachdem die Premiere wegen des Unwetters auch noch von Freitag- auf Samstagabend verschoben werden musste, will das Publikum jetzt einfach unbeschwert feiern.
Dabei war der Liederabend „Turm Power“ eigentlich eher eine Verlegenheitslösung. Weil die geplante Gundermann-Produktion aus Krankheitsgründen nicht realisiert werden konnte, hatte Tobias Hofmann das gefeierte Sleepless-Konzept der vergangenen Jahre kurzerhand auf den Turm Baur übertragen, die Zeitmaschine auf 70er Jahre eingestellt und seine Schauspieler um Lieblingslieder gebeten. Die einzelnen Nummern hat er mit leichter Hand und raffinierten Arrangements zu Geschichten verwoben über das Suchen und Finden der Liebe, über Partystimmung und Katzenjammer, Trübsinn und Sehnsucht, Einsamkeit und Trost.
Hier, in dieser WG mit großgemusterten Tapeten und zusammengewürfeltem Mobiliar, (Ausstattung: Ilona Lenk) treffen die unterschiedlichsten Charaktere aufeinander: WG-Bewohner mit langen Haaren, Strickminis oder gebatikten Schlaghosen, ausgeflippte Künstlertypen und verklemmte Sensibelchen oder auch Zufallsbekanntschaften wie die stets korrekt gekleideten Mormonen-Missionare, denen Marc Simon Delfs und Matthias Zajgier Gestalt verleihen – und die über den kompletten Abend höchst komisch das große Beziehungsdrama zelebrieren. Das am Ende – nach Marc Simo Delfs atemberaubender Nummer „The Spirit Carries On“ – natürlich in ein Happy End mündet.
Aber auch sonst gibt es jede Menge Minidramen zu durchleiden: Alltagssorgen und Sinnkrisen, Eifersucht und Überspanntheit, Leichtsinn und Abschied – man singt und trinkt – und in Gesellschaft ist sowieso alles leichter zu ertragen.
Neben altbekannten Nummern gibt es auch Neues zu entdecken: Schon mit ihrem ersten Song „Liegen ist Frieden“ (Elen) hat Olivia Wendt das Publikum gepackt. Peter Reisser bringt mit „Wenn du tanzt“ (Von Wegen Lisbeth) funkigen Indie-Pop zu Gehör. Teresa Trauth lässt mit „Wo bist du?“ Tamara Danz wieder auferstehen. Michael Amelung hat mit „Martha“ einen wunderschönen frühen Tom-Waits-Song ausgewählt. Péter Polgár singt sogar in seiner Muttersprache Ungarisch. Renate Knollmann kann sowieso alles. Und Ralf Lichtenberg stimmt zum Ende hin ein gefühliges „Gute Nacht, Freunde“ an. Gut zwei Dutzend Songs sind es. Ob solo oder im Ensemble, ob Metallica oder Comedian Harmonists, ob Barry Manilow oder Vicky Leandros, ob „Currywurst“ oder „Griechischer Wein“: Herrlich ist das, wenn die Ingolstädter Schauspieler singen, weil sie eben viel mehr tun als nur singen. Sie erfinden Figuren und ganze Geschichten dazu. Und nehmen das Publikum mit auf eine Reise durch Nacht und Dunkelheit, Tragik und Aberwitz.
Tobias Hofmanns sechsköpfige Band ist dabei ein verlässlicher Begleiter: Die Musik swingt und jazzt, rockt und poppt, ist ganz Sentiment oder fiebriger Disco-Sound.
Zwei Zugaben gibt es. Unter anderem „St. Pauli“ von Jan Delay, das hier kurzerhand umgetextet wird: „Im Turm Power brennt noch Licht, da ist noch lange noch nicht Schicht. Denn im Großen und im Ganzen ham wir allen Grund zum Tanzen.“ Großer Jubel!
DK
ZUR PRODUKTION
Theater:
Stadttheater Ingolstadt,
Turm Baur
Musikalische Leitung:
Tobias Hofmann
Ausstattung:
Ilona Lenk
Vorstellungen:
bis 23. Juli
Kartentelefon:
(0841) 30547200