Von Traumata und Grenzgängern

Berlinale: Roberto Benigni zeigt einen neuen "Pinocchio" und Christian Petzold schickt "Undine" ins Rennen<?ZE>

23.02.2020 | Stand 23.09.2023, 10:50 Uhr
Gerd Roth
Daniel Rademacher
Oscar-Preisträger Roberto Benigni sieht in den Abenteuern von Pinocchio weit mehr als eine Geschichte allein für Kinder: "Es ist für mich ein grundlegend wichtiges Buch." Auch der junge Schauspieler Federico Ielapi (Mitte) und Regisseur Matteo Garrone stellten sich den Fragen der Presse. −Foto: Kappeler, dpa

Berlin - Oscar-Preisträger Roberto Benigni hat am ersten Festivalwochenende internationalen Glanz auf die Berlinale gebracht.

 

Der Italiener ("Das Leben ist schön") stellte am Sonntag eine Neuverfilmung von "Pinocchio" vor. Auf der Pressekonferenz zeigte sich Benigni bestens gelaunt, scherzte und warb vor allem für die Geschichte von Pinocchio, die seiner Ansicht nach nicht nur Kinder anspricht. Der 67-Jährige spielt darin Geppetto, den Erbauer der kleinen Holzpuppe. Regie führte Matteo Garrone ("Dogman", "Gomorrha"), der auch auf die Aktualität des Stoffs hinwies: "Die Geschichte erzählt von uns, von dem Kampf, den jeder von uns führt (. . . ) vom Menschsein. " Der Film läuft nicht im Wettbewerb, sondern in der Sparte Special Gala.

Schwung kam in die Pressekonferenz auch durch den jungen Pinocchio-Darsteller Federico Ielapi, der neben Weltstar Benigni saß und selbstbewusst Fragen beantwortete. So sagte er rückblickend über sein Alter Ego: Auch wenn er immer wieder frech gewesen sei - "am Ende ist Pinocchio ein gutes Kind".

Die Berlinale gehört neben Cannes und Venedig zu den wichtigsten Filmfestivals der Welt. Rund 340 Filme werden bis zum nächsten Wochenende gezeigt. Davon konkurrieren 18 um die Silbernen und den Goldenen Bären - mit "Undine" von Christian Petzold stand am Abend der erste deutsche Wettbewerber im Berlinale-Programm. Der mysteriöse Liebesfilm erzählt von der Beziehung zwischen einer Museumsführerin (Paula Beer) und einem Industrietaucher (Franz Rogowski). Petzold erzählte unter anderem von den Dreharbeiten unter Wasser.

Der Auftakt der Berlinale bot wahrlich keine leichte Kost, stattdessen aber zwei intensive und grenzgängerische Wettbewerbsfilme, die Schatten und Traumata des Lebens in den Blick nehmen. Die großen Erwartungen nicht ganz erfüllen konnte "El profugo" ("The Intruder", übersetzt: "Der Eindringling") der argentinischen Regisseurin Natalia Meta über eine toxische Beziehung der Synchronsprecherin Inés (Érica Rivas) und deren Aufarbeitung eines ungeheuerlichen Ereignisses zwischen Traum, Wirklichkeit und Wahn.

"Volevo nascondermi" ("Hidden Away", übersetzt: "Ich wollte mich verstecken") hingegen ist ein leidenschaftlicher und aufwühlender Film über das Leben des Künstler Antonio Ligabue (1899-1965), der als bedeutendster Vertreter der italienischen "Art brut" - oder der der Schweiz, seinem Heimatland, aus dem er jedoch 1919 ausgewiesen wurde - gilt, und der gleichermaßen Außenseiter, Ausgestoßener wie Genie war. Elio Germano spielt diesen Ligabue, in dem ungeahnte kreative Kräfte stecken, der aber an den seelischen Grausamkeiten und psychischen Einschränkungen sein Leben lang leidet, Bärenverdächtig überzeugend in all seiner Verzweiflung, in seiner Rage, in seiner Verletzlichkeit und in seiner Einsamkeit bis an den Rand des Erträglichen. Und selbst die Phasen des Erfolgs Ligabues werden für den Zuschauer zur visuellen und emotionalen Gratwanderung. Regisseur Giorgio Diritti nimmt das Leben dieses außergewöhnlichen Künstlers und geplagten Mannes mit starken und einprägsamen Bildern in den Fokus, lässt einige autobiografische Momente zwar aus, deutet die historischen Begebenheiten - den Faschismus oder die Folgen des Krieges - nur in wenigen Szenen an, was der Schlüssigkeit und der existenziellen Wucht dieses Films jedoch keinen Abbruch tut. Ein packendes Porträt eines Menschen, der allzu lange in Vergessenheit geraten ist.

Daneben ging noch ein ziemlich ungewöhnlicher Western ins Rennen: In "First Cow" erzählt US-Regisseurin Kelly Reichardt von einer Männerfreundschaft. Zwei Außenseiter freunden sich im Wilden Westen des frühen 19. Jahrhunderts an. Sie wollen Geld mit Backwaren verdienen - und melken dafür heimlich die einzige Kuh in der Region. Das ist filmisch spannend und witzig erzählt - dabei reflektiert der Film auch heutige Fragen gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Für einen besonders emotionalen Moment sorgte Schauspieler Lars Eidinger mit einem Statement gegen Hass in Deutschland. "Ich finde, unsere Gesellschaft ist so dermaßen vergiftet, was Hass und Missgunst angeht", sagte der 44-Jährige am Samstag mit Tränen in den Augen und zunehmend brechender Stimme vor der Berlinale-Präsentation des Films "Persian Lessons" von Vadim Perelman.

dpa/DK

 

Katrin Fehr, Gerd Roth, Daniel Rademacher