Was ist eigentlich Liebe?

23.02.2020 | Stand 23.09.2023, 10:50 Uhr
Hat Liebe ein Verfallsdatum? Anne Bontemps und David Benito Garcia im Gastspiel der Münchner Schauburg gestern in Ingolstadt. −Foto: Frinzel

Ingolstadt - Julians Eltern haben sich mal ewige Liebe geschworen.

Jetzt lassen sie sich scheiden. Und Julian ist verwirrt. Nicht nur, weil er sich entscheiden muss, bei wem er wohnen will. Es geht um ganz Grundsätzliches. Was ist das eigentlich - Liebe? Dieses Gefühl, das einen zum Schweben bringt, zum Lachen, zum Weinen. Das rote Ohren macht und eine wohlige Wärme in der Brust. Liebt man Zitroneneis, Meerschweinchen und Kastanien mit der gleichen Intensität, mit der man Eltern, Geschwister, Freunde liebt? Bedeutet "Ich liebe dich" dasselbe wie "Ich lieb dich"? Hat Liebe ein Verfallsdatum? Und was ist eigentlich das Gegenteil von Liebe? Hass? Angst? Oder einfach nur die Abwesenheit von Liebe? Julian sucht Rat bei seiner Freundin Lia, die er seit dem Kindergarten kennt - und ja, auch liebt. Und beide erhoffen sich von Lias Großeltern, die schon 41 Jahre lang verheiratet sind, Antworten auf die komplizierten Fragen.

"Ich lieb dich" hat Kristo ?agor sein Stück genannt, das er im Auftrag der Schauburg geschrieben hat. Für Publikum ab acht Jahren hat es das Münchner Kinder- und Jugendtheater dort angesetzt. Das Junge Theater Ingolstadt, das die Produktion gestern als Gastspiel eingeladen hat, hat das Alter hochgesetzt - auf zehn Jahre. Zu Recht. Denn Kristo ?agors Stück präsentiert sich zwar als kluge Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen wie Liebe, Angst, Verlust und Tod, ist hoch poetisch dazu und wurde verdientermaßen bei den Mülheimer Theatertagen ausgezeichnet. Aber für Achtjährige ist es doch ganz schön kompliziert.

Zumal die beiden Darsteller Anne Bontemps und David Benito Garcia unter der Regie von Ulrike Günther immer wieder Rollen, Perspektiven und Bedeutungsebenen wechseln. Auch zeitliche Logik und Chronologie sind ausgehebelt. Denn noch während Julian und Lia dem Phänomen des Liebeswandels nachgehen, gibt es mehrere Tote zu beklagen. Dass beide Ausnahmeemotionen trotzdem mit so viel Witz, Eleganz und Leichtigkeit erzählt werden, liegt an der Qualität dieser Inszenierung.

Andreas A. Straßer hat ein Klettergerüst mit Schaukel, Leiter und Stoffhimmel mit Lampengirlande ins Große Hauses gebaut. Das Publikum sitzt zu beiden Seiten (auf der Bühne) und erlebt hautnah, wie sich die Protagonisten mit dem komplexen Thema Liebe auseinandersetzen. Es ist ein Suche. Lächerlich. Zauberhaft. Fantastisch. So, wie die Liebe manchmal eben ist. Am Ende gab's viel Applaus - aber vor allem von den Großen.

DK

Anja Witzke