Ingolstadt
Wie Micky Maus für die klassische Musik wirbt

Die Audi-Sommerkonzerte starten mit einem Experiment: Disneys "Fantasia" in der riesigen GVZ-Halle B

30.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:35 Uhr
Disneys Zauber entfaltet sich auch in der GVZ-Halle B: Der Eröffnungsabend der Sommerkonzerte mit der Philharmonie Salzburg wird vom Publikum gefeiert. −Foto: Sauer

Ingolstadt (DK) Ganz schön mutig eigentlich, mit einem der größten Flops der Filmgeschichte ein Musikfestival zu eröffnen.

Denn die Audi-Sommerkonzerte starteten an diesem Wochenende mit "Fantasia", einer Livemusik-Fassung der legendären Disney-Filme "Fantasia" und "Fantasia 2000". Der ältere Film aus dem Jahr 1940 kam beim Publikum zunächst überhaupt nicht an und hätte den Konzern fast in den Ruin getrieben.

Dabei wollte Walt Disney mit seinem dritten abendfüllenden Streifen ein hehres Ziel verfolgen: Klassische Musik sollte nicht elitär sein, sondern mit dem Film breiten Massen zugänglich gemacht werden. Dazu zog der Filmpionier alle Register des technisch Möglichen. Jahrzehnte bevor irgendjemand von Dolby-Surround sprach, revolutionierte Disney die Kinos mit "Fantasound". 30 bis 80 zusätzliche Lautsprecher im Saal schufen eine dreidimensionale Klangwelt, in der einzelne Instrumente klar geortet werden können. Bei den Vorführungen wurden die Besucher damals aufgefordert, in Abendkleid und Frack zu kommen, ausführliche Programmhefte wurden gedruckt und Disney verzichtete sogar auf einen Vor- und Nachspann zu den Filmen. Stattdessen sah man auf der Leinwand, wie sich allmählich der Raum mit Musikern füllte. Walt Disney wollte eigentlich weniger einen Film zeigen, als ein Konzerterlebnis vermitteln.

2,28 Millionen Dollar kostete das Experiment, damals ein gigantischer Betrag. Das meiste Geld erforderte die aufwendige Soundtechnik - letztlich die Ursache für den gigantischen Fehlschlag an den Kinokassen. Denn die Lichtspielhäuser waren nicht bereit, ihre Soundanlagen derart aufwendig aufzurüsten. Da half selbst später eine Monofassung des Films wenig. Erst nach etlichen Wiederaufnahmen in den Kinos setzte sich "Fantasia" allmählich durch, seit den späten 60er-Jahren gilt er endgültig als Klassiker und hat bis heute immerhin 75 Millionen Dollar eingespielt. 1999 hatte sogar eine Fortsetzung des Werks Premiere, "Fantasia 2000".

Ein heikles Experiment ist auch die Fassung, die nun bei den Sommerkonzerten am Samstag gezeigt wurde. Denn kühn ist nicht nur, ausgerechnet mit einem Film das Festival zu eröffnen, sondern auch der Aufführungsort, die riesige Betriebsversammlungshalle im GVZ - ein Ambiente mit wenig kultureller Aura. Bis zu 5000 Menschen fasst der riesige Saal in dem nüchtern anmutenden Gebäude. Bestuhlt wurde das Filmkonzert für etwa 1300 Gäste, die Sitzreihen verloren sich so fast ein wenig in den Weiten der Halle. An eine besondere, konzertsaaltaugliche Akustik hat beim Bau des Saals natürlich niemand gedacht. So musste selbst hier, im Innenraum, elektronisch der Orchesterklang verstärkt werden, was eigentlich weitgehend sehr gut gelang - wenn man davon absieht, dass der Klang elektronischer Instrumente wie etwa das E-Piano nur aus den seitlichen Lautsprechern durch den Saal drang.

Disneys Zauber entfaltete sich dennoch. Seinerzeit war der Film bei den Kritikern nicht unumstritten. Kitsch und Klamauk würden die klassische Musik massakrieren, meinten einige. Willkürliche Werkkürzungen und Oktavierungen des Notenmaterials ließen Klassikpuristen die Nackenhaare sträuben.

Heute kann man das alles kaum mehr verstehen. Was zählt, ist der unorthodoxe Zugang, die Freude an der Musik, vor allem aber die Experimentierlust und das Übermaß an Ideen und Fantasien, mit denen die Töne in Bilder umgesetzt werden. Denn: "Klassische Musik kann Geschichten erzählen", sagte Festivalleiterin Lisa Batiashvili bei ihrer kleinen Eröffnungsrede in der Halle.

Natürlich: Die Philharmonie Salzburg mit ihrer Chefdirigentin Elisabeth Fuchs kann nicht ganz mithalten mit dem genialen Leopold Stokowski und dem Philadelphia-Orchester. Ein wenig zu verwaschen kamen die Beethoven-Stücke rüber, manchmal fehlt es an Energie und konzentrierter Wucht, gelegentlich am Feintuning.

Und auch die Technik hat ihre Tücken. Genau im Takt der Bilder hat die Musik dem Geschehen zu folgen, die Dirigentin Elisabeth Fuchs muss sich eisern an vorgegebene Schlagzeiten halten, viel Spielraum für interpretatorische Höhenflüge bleibt da natürlich nicht. Der Reiz der kleinen Filme liegt eben zum großen Teil auch am synchronen Geschehen von Bild und Ton. Gerade im ersten Teil des Abends gelang das nicht immer befriedigend - am wenigsten beim Igor Strawinsky, als der Frühlingsgeist versehentlich den Feuervogel erweckte und das Orchester leider etliche Sekunden zu früh zu toben begann. Das hat man bei anderen Livefilm-Abenden schon exakter erlebt.

Aber Schwamm drüber, darauf kam es eigentlich nicht an. Sondern auf die pure sinnliche Freude an gewitzten Szenen und fulminanter Musik. Als das Publikum am Ende mit Bravorufen den Abend feierte, zeigte sich, wie gut die Geschichten mit Micky Maus und Donald Duck, Nilpferden im Tutu-Röckchen, tanzenden Pilzen und Zentauren im Bikini noch funktionieren. Zumal mit Livemusik.

Disney ist hier längst ein Klassiker, so zeitlos vollendet wie die klassische Musik selbst. Walt Disney wollte diese Musik breiten Zuschauerschichten schmackhaft machen. Wer sich in der Halle B umschaute und in die vielen jungen, amüsierten Gesichter sah und das Lachen der Kinder vernahm, kam zu dem Schluss: Experiment gelungen.

Jesko Schulze-Reimpell