Pfaffenhofen
Knappe Entscheidung

Autorin Saskia Hennig von Lange gewinnt den Hallertauer Debütpreis

28.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:11 Uhr

Überzeugend: Saskia Hennig von Lange - Foto: Hammerl

Pfaffenhofen (DK) Es ist dunkel in der Kulturhalle Pfaffenhofen, „romantisch dunkel“, wie Kulturreferent Steffen Kopetzky zum Auftakt des vierten Hallertauer Debütpreises sagt. Aber es bleibt nicht dunkel, jedenfalls nicht im Herzen der knapp 120 Gäste, sobald sie sich auf die zwar kurzen, dafür umso fesselnderen Lesungen der drei Autorinnen einlassen. „Ein Feuer kann einen schon ganz schön aufregen, da tut ein Bier gut.“ Am Ende sind es zwei lauwarme Bier, die der für Bauangelegenheiten zuständige Sachbearbeiter Max am Feuer trinkt. Am Feuer, das er vor dem ehemaligen Haus der Boxlegende Max Schmeling entzündet hat und das dessen Inventar verschlingt.

Saskia Hennig von Lange formuliert kurze, klare, unheimlich packende Sätze und entwirft damit dennoch ein dichtes Gestrick in ihrem Roman „Zurück zum Feuer“, in dem drei Handlungsstränge kunstvoll miteinander verwoben sind. Sie nimmt teil an den letzten Gedanken des sterbenden Max Schmeling, dem die Krankenschwester eine Schnabeltasse reicht. An seinen Erinnerungen an jene Tasse, die ihm im Boxring gereicht wurde, wenn er benommen in der Ecke saß. Während der Sachbearbeiter Max Kleiderständer, Krücke und Stuhlbein betrachtet, die nicht verbrennen wollten, räumt seine Frau Inge ebenfalls aus – allerdings die gemeinsame Wohnung.

Hennig von Langes engagierter Vortrag geht direkt unter die Haut. Das könnte am Ende den Ausschlag gegeben haben für die denkbar knappe Entscheidung. Mit 59 Stimmen geht der mit 1500 Euro dotierte erste Preis an die 38-jährige Theaterwissenschaftlerin aus Frankfurt; nur drei Stimmen weniger und 1000 Euro erhält Christine Koschmieder aus Leipzig mit „Schweinesystem“. Auch sie hat es verstanden, ihr Publikum zu fesseln. Mit „Zaubersätzen, die Magie entfalten“, genau wie Moderator Nico Bleutge angekündigt hat. Der Literaturkritiker und Dorle Kopetzky vom Kunstverein hatten die harte Aufgabe, die Vorauswahl aus 20 im Herbst erschienenen Debütromanen jüngerer Autoren zu treffen.

Sprachlich ausgereift entwickelt Koschmieder tragikomische Bilder, wenn die zugereiste Akademikerin „Elisabeth ohne Brust“ die dörfliche Ordnung gefährdet, indem sie im Frotteebademantel ohne Nachthemd darunter zum Briefkasten geht. Komik, die dem kritischen politischen Roman jene Lesefreundlichkeit verleiht, ohne die schwierige Themen schnell schwer verdaulich werden. Vor dem Hintergrund „staatlichen Fahndungswahns der RAF-Zeit“, wie Bleutge ankündigt, entfaltet Koschmieder das Leben der gepflegt gelangweilten Studienrätin Elisabeth, die in einer Abtreibungsklinik der Schweinefabrik-Arbeiterin Shirley aus Iowa begegnet. Die wiederum versucht, als Mary-Kay-Kosmetikberaterin ihrem „Schweineleben“ zu entkommen. RAF-Zeit, Reagan-Ära und Nachwirkungen des Vietnamkriegs in den USA bilden den Rahmen zweier Frauenschicksale, denen Koschmieder in der Lesung zusätzlichen Pfiff verleiht, indem sie nicht nur liest, sondern auch mit ihrer rauchigen Altstimme singt.

Noch nie hat ein dritter Platz so viele Stimmen erhalten, stellt Wilfried Gerling, Vorstandsvorsitzender der Hallertauer Volksbank, die den Debütpreis gemeinsam mit dem Neuen Pfaffenhofener Kunstverein organisiert, vor der Preisübergabe fest. 40 Stimmen und somit 500 Euro gehen an Madeleine Prahs’ Roman „Nachbarn“. Sie hat sechs Menschen in der deutsch-deutschen Umbruchs-phase der Jahre 1989 bis 2006 begleitet. Schade, dass ihr Vortrag merkwürdig distanziert aus- und damit deutlich im Vergleich abfällt. Ihre Nervosität dürfte Punkte gekostet haben. Die Thematik, ebenso historisch angehaucht wie die ihrer Nachrednerinnen, nur zeitlich der Gegenwart näher, berührt mindestens ebenso stark.

Am Ende lobt die Jury „fantastische, lebhafte Bilder“ bei allen Autorinnen, hebt bei Prahs die „breite epische Anlage des Geschichtspanoramas“ hervor, bei Hennig von Lange das „virtuose Konzept eines Dreiakters mit 39 Szenen“ und bei Christine Koschmieder die Lebendigkeit, mit der sie drastische Bilder entwirft.