München
Verfolgte Patrioten

08.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:16 Uhr

Zeitleiste: Das Jüdische Museum legt den Fokus auf die Erlebnis- und Erfahrungswelt jüdischer Soldaten - Foto: Kimmel

München (DK) Im August 1914 ergriff eine regelrechte Kriegs-Euphorie die deutschen Männer, die zu den Waffen eilten. Welche Erfahrungen in dieser Situation jüdische Soldaten aus Deutschland machten, zeigt eine Ausstellung im Jüdischen Museum München unter dem Titel: „Krieg! 1914–1918 – Juden zwischen den Fronten“.

Ein Gerücht kursierte im Deutschen Reich: dass sich die Juden drücken vor dem Einsatz als Soldaten. Deshalb ließ der Kriegsminister 1916 eine „Judenzählung“ durchführen. Das Ergebnis: 96 000 jüdische Soldaten taten Dienst – aber die Zahl wurde nie veröffentlicht, denn sie hätte den Patriotismus der Juden belegt. Dies ist nur ein Detail für den Antisemitismus, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts entfaltete. Und dieser Antisemitismus ist der rote Faden der Ausstellung, die versucht, mit vielen Dokumenten und Fotos und einigen wenigen persönlichen Objekten das Leben einiger jüdischer Männer beispielhaft aufzuzeigen. Ernst blicken die Männer in die Kamera, wenn sie in der Uniform des Ersten Weltkrieges für ein Abschiedsfoto posieren. Ihre Bilder hängen überlebensgroß im Raum – ihre biografischen Angaben stehen auf der Rückseite – manche von ihnen starben während des Zweiten Weltkrieges in einem Konzentrationslager. Mit diesem Kunstgriff, dass die Vorderseite gezeigt wird und die Hintergrund-Information erst sichtbar wird, wenn der Betrachter die andere Seite liest, wird deutlich: Jede Medaille hat zwei Seiten – auch das „Eiserne Kreuz“. Denn als Nathan Wolf, Feldarzt im Ersten Weltkrieg, am 9. November 1938 von der SS aus dem Bett geholt und misshandelt wird, da bringen gerade diese Kriegsorden die nationalsozialistischen Täter in Rage.

Viele deutsche Juden waren Patrioten und als solche meldeten sie sich freiwillig an die Front. Und noch mehr: Der Berliner Arzt und Medizin-Professor Max Rothmann schreibt mehrfach an das Kriegsministerium mit der Bitte, seinen 15-jährigen Sohn in die Kadettenanstalt aufzunehmen. Die Bitte wird wiederholt abgelehnt, erst als die Hartnäckigkeit der Familie auffällt, erklärt man deutlich und schriftlich, dass die preußische Kadettenakademie eine Institution „christlicher Gesinnung“ sei.

Dennoch gab es auch Orte, wo zumindest die religiösen Grenzen fielen. Bestattungen wurden, wenn sie schnell gehen mussten, ökumenisch abgehalten. Dann konnte es vorkommen, dass ein jüdischer, ein katholischer und ein protestantischer Soldat in einem Grab lagen und gesegnet wurden. Und ein Foto von 1917 zeigt einen Pfarrer, einen Imam und einen Rabbiner Seite an Seite in Uniform.

Briefe und Tagebücher aber belegen vor allem: Jüdische Soldaten waren mehr und mehr antisemitischen Äußerungen ausgesetzt. Zu den Erfahrungen von Hunger, Dreck und Angst im Schützengraben, denen alle Soldaten leiden mussten, erlebten Juden die Ausgrenzung. Es gibt somit eine Kontinuitätslinie des Antisemitismus, und wer im Ersten Weltkrieg sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, genießt wegen dieser patriotischen Gesinnung nach 1933 dennoch keinen Schutz. „Wir Waisen der Erde / Ziehn stumm in die Schlacht“, dichtete der jüdische Autor Ernst Toller 1918 in den Münchner-Torgel-Stuben.

 

Jüdisches Museum München, bis 22. Februar 2015, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr.