München
Liebe auf den zweiten Blick

Raffellino del Garbo zählt nicht zu den Maler-Genies - Dennoch wird ein Bild von ihm derzeit restauriert

10.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:36 Uhr
Restauratorin Ulrike Fischer erklärt ihre Arbeit an Raffaellino del Garbos "Beweinung Christi". Die kleinen Fotos zeigen, wie hochgewölbte Bildschichtschollen geglättet wurden und flüssige Kittmasse mit einem feinen Pinsel aufgetragen wird. −Foto: Haslinger/Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek München

München (DK) Raffaellino del Garbo - ein bisschen mondän klingt dieser Name, auch nach einer Spur Hollywood, vor allem aber nach künstlerischen Ambitionen.

Und tatsächlich war der in den 1560er-Jahren geborene Florentiner Maler mit einigem Talent gesegnet. Andernfalls hätte der renommierte Filippino Lippi den "kleinen Raffaelle" kaum in seine Werkstatt aufgenommen, und auch potente Aufträge blieben nach der Lehr- und Gehilfenzeit nicht aus. Das demonstriert jetzt die imposante "Beweinung Christi" in der Alten Pinakothek, die del Garbo um 1500 für die Familienkapelle der Brüder Nasi in Santo Spirito unweit des Palazzo Pitti geschaffen hat.

Dass diese Altartafel überhaupt zu sehen ist, hat mit der aktuellen Ausstellung "Florenz und seine Maler" zu tun. Denn normalerweise fristet die "Beweinung" ein Dasein im Depot, zu fragil war mittlerweile ihr Zustand geworden. Deshalb kam sie bislang nur in die Schausammlung, wenn Ersatz gefragt war, etwa für ein Altarbild Peruginos, dem del Garbo durchaus nachgeeifert hatte. Mehr wollte man dem Werk nicht zumuten. Und für manchen rangierte der Maler sowieso in der zweiten Reihe, die Rettung der Tafel schien also zunächst eine "Mission impossible", zumal eine umfassende Restaurierung schnell sechsstellige Summen verschlingt.

Doch Andreas Schumacher, der Sammlungsleiter für die italienische Malerei, ließ nicht locker und fand in der Initiative "Kunst auf Lager" ideale Verbündete. Hinter dem Zusammenschluss stehen verschiedene Kulturstiftungen mit dem Anliegen, Museumsdepots zu erschließen und zu sichern. Im Fall del Garbo könnte man aber auch sagen, Qualität wieder ausstellungstauglich zu machen, und hier wurde dieser Einsatz von der Ernst-von-Siemens Kunststiftung gefördert.

Dass sich ein zweiter Blick lohnt, gehört sowieso zur DNA dieses Gemäldes. Ludwig I. gab sich anfangs auch zugeknöpft, als sein Kunstagent Johann Metzger in Florenz für den Ankauf des vermeintlichen "Ghirlandajo" plädierte. Erst nachdem entsprechende Zeichnungen über die Alpen gewandert waren und ein Käufer aus dem preußischen Berlin heftiges Interesse zeigte, griff der bayerische König 1829 zu und präsentierte den Fang dann sieben Jahre später bei der Eröffnung der Alten Pinakothek.

Nun hängt Ludwigs "Liebe auf den zweiten Blick" wieder im inzwischen generalsanierten Klenze-Bau - allerdings "in restauro", um den ungemein aufwändigen Prozess der Restaurierung vor Augen zu führen. "Wir haben sechs Bereiche markiert, um an aussagekräftigen Stellen den Zustand vor und nach unseren Eingriffen zu zeigen", erklärt Ulrike Fischer vom hauseigenen Doerner Institut. Die Diplomrestauratorin arbeitet seit über einem Jahr an der "Beweinung", kennt jedes Detail und damit auch jedes Problem. Craquelé überzieht die gesamte Oberfläche, das sind Haarrisse, die man hier bereits mit bloßem Auge erkennen kann - so wie bei Leonardo da Vincis "Mona Lisa", deren Gesicht sicher das bekannteste Beispiel für dieses maschenartige Netz feinster Sprünge darstellt. Unterm Mikroskop tut sich bei del Garbos "Beweinung" dann eine regelrechte Wüstenlandschaft auf, wie man sie nach Phasen der Trockenheit in Namibia oder Nevada antrifft. Nur wölben sich die Ränder der einzelnen Schollen auch noch nach oben wie Schüsseln.

Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Teilchen leicht abblättern und sich in den Zwischenräumen außerdem Staub ansammelt. Also muss man die Farbschicht sichern oder fixieren - das geschieht bis heute mit Störleim - und zugleich den Schmutz entfernen. Wobei über die Jahrhunderte noch verschiedentlich Lasur aufgebracht und schon mal retuschiert wurde; auch Kunstagent Metzger hat Hand angelegt. "UV-Licht zeigt uns, wo ausgebessert wurde", sagt Ulrike Fischer, "solche Übermalungen werden genauso wie der Firnis abgenommen". Und man sieht den Unterschied sofort, an solchen Stellen wirken die Farben ungleich frischer.

Am Ende soll ein geschlossenes, ungestörtes Bild zu sehen sein. Deshalb werden weiße Partien retuschiert, freilich reversibel mit wasserlöslichen Aquarell- oder Gouchefarben, so dass künftige Generationen den Auftrag leicht wieder entfernen können. Genauso setzen die Restauratoren bei letzten Lasuren auf gut lösliche Kunstharze. Der Geschmack kann sich ändern, und überhaupt gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen von einem "gut" restaurierten Gemälde. Hierzulande werden das Alter und die damit verbundenen Malaisen nicht vertuscht. "In den USA strebt man dagegen Perfektion an", beobachtet Ulrike Fischer.

Raffaellinos "Beweinung" kommt auch ohne solches Faceliftig frappierend farbintensiv daher. Ein Jahrhundert vornehmlich im dunklen, kühlen Depot ohne jede Erschütterung zu verbringen, hat durchaus Vorteile. Und gerade del Garbo legte größten Wert auf das Kolorit. Mit den üblichen Pigmenten und Farbstoffen schuf dieser Künstler eine erstaunlich breite Palette an Farbtönen - auch, indem er die obersten Schichten geschickt unterlegt hat. Unter Marias blauem Mantel aus Ultramarin und Bleiweiß sorgt roter Farblack für einen betörenden violetten Schimmer, und das ist lange nicht die einzige bewusste Nuancierung quasi aus dem Untergrund heraus. Ulrike Fischer hat bald zu jeder Bildpartie die Pigmentmixturen und deren effektreiche Inszenierung etwa durch Grünspan bzw. Kupfergrün parat. Und schließlich sind diesem Künstler äußerst differenzierte Charaktere gelungen. Raffaellino del Garbo war ein wandelbarer, flexibler Maler, dessen Personal nicht sofort auf den Urheber verweist, wie das etwa bei Botticelli oder Perugino der Fall ist. Auch deshalb hielt man die "Beweinung" zwischendurch für einen Ghirlandaio. Dabei hat Künstlerbiograf Giorgio Vasari, dieser bestinformierte Flurfunker der Ateliers und Paläste, die Altartafel ganz klar mit Raffaellino in Verbindung gebracht.

Nach der Florenz-Ausstellung wechselt das Bild wieder zurück ins Doerner Institut, es gibt noch einiges zu tun. Danach, das heißt in zwei bis drei Jahren, ist del Garbo dann hoffentlich ein Fall für die ständige Sammlung. Und vielleicht gibt es zum 500. Todesjahr 2024 sogar einen kleinen Tusch.

"Florenz und seine Maler" bis 3. Februar in der Alten Pinakothek, München, Barerstr. 27 (Eingang Theresienstraße), Di und Mi 10 bis 21, Do bis So 10 bis 18 Uhr.

Christa Sigg