Nürnberg
Kostbares Kleid aus dem Koffer

Die Schau "Luxus in Seide" im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg entführt in die Mode des Rokoko

24.08.2018 | Stand 23.09.2023, 3:54 Uhr
  −Foto: Daniel Karmann/dpa

Nürnberg (DK) Eine Mischung aus Moschus, Orangenblüten, Narzissen, Sandelholz und Rose liegt in der Museumsluft, sanft weht der Duft von irgendwoher.

Der pudrige, heimelige Geruch - eine zeitgenössische Interpretation eines Rokokoparfums - umhüllt den Besucher und katapultiert ihn unweigerlich in längst vergangene Zeiten, mitten ins 18. Jahrhundert.

Doch die Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg versetzt nicht nur die Nase in Aufruhr, sondern auch das Herz, das beim Anblick eines pompösen, hellblauen Seidenkleides bei vielen Frauen höher schlägt. Die Robe ist das Herzstück der Ausstellung "Luxus in Seide", die noch bis 6. Januar im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg zu sehen ist. Zwölfeinhalb Meter Stoff wurde für diese einzigartige Robe verarbeitet, deren Rock so ausladend ist, das er das Fassungsvermögen eines jeden Türrahmens sprengt. Wenn es nicht so verdammt unpraktisch wäre, möchte man am liebsten sofort selbst reinschlüpfen.

Das Außergewöhnliche: Der Traum in Hellblau mit filigranem Blumendekor ist mehr als 260 Jahre alt und fast ungetragen. Einer Pfarrerstochter hatte das Kleid wohl einst gehört, die im zarten Alter von 17 Jahren und einem Taillenumfang von nur 62 Zentimetern darin vor den Altar schritt - in Weiß heiratete damals noch niemand, die High-Society-Damen des Rokoko gaben ihren Männern in blauen, grünen und roten Kleidern das Jawort.

Für das Museum ist die bodenlange Robe ein echter Glücksgriff: Das Stück wurde nicht umgearbeitet und die Farben sind kaum verblichen. Und das nach 261 Jahren - eine Seltenheit bei Textilien dieses Alters. Jahrzehntelang lag das wertvolle Kleid in einem alten Lederkoffer, ausgelegt mit Zeitungspapier aus den Jahren 1893 und 1954. Das wertvolle Kleid stammt aus dem Besitz einer Familie aus Mitteldeutschland. Vergangenes Jahr übergab sie es an das Germanische Nationalmuseum, um es fachgerecht aufzubewahren. Das Seidenkleid hat die selten erhaltene Schnittform einer Taille-Andrienne - ein bodenlanges, einteiliges Kleid mit betonter Taille und weiter Rückenfalte - eine damals hochmodische Sonderform des "Robe á la française".

Und was kombinierte die à la mode gekleidete Dame gehobenen Standes zu einem solchen pompösen Kleid? Wie die Ausstellung zeigt, werteten sie ihre Robe mit Schmuck und Accessoires wie Fächer, Muff, Tücher, Sonnenschirm und Vorstecker auf.

Ein außergewöhnliches Exponat ist ein roter Reifrock aus Atlasseide, der zu dem hellblauen Kleid gehört. Er war für die damalige Zeit eine modische Sensation: Er garantierte Volumen, ohne dass die Frau mehrere Stofflagen mit sich herumschleppen musste und ließ ein wenig Luft an die Beine.

Ebenso unverzichtbar wie der Reifrock war im 18. Jahrhundert der Fächer - wie die Ausstellung in Nürnberg zeigt. Vier Exemplare sind im Museum ausgestellt. Der Fächer zählt wohl zu den am engsten mit dem Rokoko assoziierten Accessoires. Die sogenannten Sonnenwedel waren nicht nur eine transportable, ökologische und elegante Klimaanlage, sondern setzten die Damen bewusst als Mittel der Koketterie und Verführung ein - nicht umsonst wurden die Fächer als Waffe der Frau bezeichnet. Beeindruckend ist auch der Schmuck - Ringe, Ohrgehänge, Broschen und Colliers -, den der Besucher in der Ausstellung zu sehen bekommt. Der Diamant war der beliebteste Edelstein des 18. Jahrhunderts, was sich auch im Schmuckbestand des Germanischen Nationalmuseums widerspiegelt.

Zu wissen, was gerade á la mode ist, war im 18. Jahrhundert gar nicht so leicht. Einfach am Kiosk eine "Vogue" kaufen und in der S-Bahn blättern, um zu wissen, was der letzte Schrei ist, funktionierte zu dieser Zeit natürlich noch nicht. Stattdessen gab es Modepuppen, die von Frankreich aus quer durch Europa geschickt und in adeligen Kreisen präsentiert wurden - die Barbie-Puppe des Rokoko. Eine davon wird am Ende der Ausstellung präsentiert. Ob die Schneider damals schon geahnt hatten, dass die Modepuppen einmal zum Verkaufsschlager werden? Wahrscheinlich nicht.

Wie der Museumsbesucher in der Ausstellung sieht, hatten Frauen schon vor mehr als 200 Jahren einen Schuhtick und ein Faible für High Heels. In den Vitrinen des Museums bekommt der Besucher gleich fünf Paar zu Gesicht. Für die Damen von damals hieß es Zähne zusammenbeißen - oder vielleicht besser gesagt: Zehen zusammenquetschen. Von bequemen Sneakern konnte die Damenwelt damals nur träumen. Zu jener Zeit gab es noch keinen Unterschied zwischen einem linken und einem rechten Schuh. Die Rokoko-Frauen pressten ihre Füße also in zwei identisch geschnittene Treter. Autsch. Schon damals galt wohl das Sprichwort: "Wer schön sein will, muss leiden. "

Xenia Schmeizl