Ingolstadt
Grandioses Heimspiel

Roland Glassl und die Camerata Hamburg gastieren beim Konzertverein Ingolstadt

14.02.2019 | Stand 23.09.2023, 5:58 Uhr
Jörg Handstein
Überraschungszugabe: Dirigent Hartmut Rohde (links) griff zur Bratsche und spielte mit Roland Glassl ein Bartók-Duo. −Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) "Was ist besser als eine Bratsche?" Roland Glassl und Hartmut Rohde, jeder mit einem Musikinstrument dieses Namens unter dem Arm, stehen schmunzelnd auf der Bühne des Festsaals. Die Anwort liegt nahe, denn beide gehören zu den besten Bratschern dieser Republik. Also: "Zwei Bratschen!" Der kleine Spaß vor der Überraschungszugabe macht deutlich, dass es nicht nur Bratschenwitze, sondern auch gewitzte Bratscher gibt.

Sehr zu Unrecht werden diese oft als die Ostfriesen des Orchester belacht. Dabei schätzten viele große Komponisten das Instrument, darunter auch Mozart. Nur haben sie es leider - jedenfalls vor dem 20. Jahrhundert - mit sehr wenig Solowerken beschenkt. Jetzt hat Roland Glassl, als Kammermusiker schon öfter im Konzertverein, die Bratsche als Solo-Instrument vorgestellt und damit für große Begeisterung gesorgt. Für den gebürtigen Ingolstädter war es ein grandioses Heimspiel.

Begleitet hat ihn die Camerata Hamburg, das Kammerorchester der Hansestadt, das mit einer Menge neuer Ideen dem dortigen Klassikbetrieb eine besondere Farbe gibt. Auch dieses Programm war mit Köpfchen gemacht, rund um Mozart, aber mit einem Fokus auf seine Freunde, Schüler und Verehrer. Den Rahmen bildeten zwei Jugendsymphonien Mozarts, die die Camerata als kraftvoll-geschmeidigen, schlanken und gut zusammengewachsenen Klangkörper zeigten. Vor allem die Streicher haben jenen seidigen Glanz, jene schimmernde Farbpalette, die nur die besten Profi-Orchester aufweisen. Exzellent aufeinander abgestimmt auch die Feinmotorik, was besonders den subtilen Details zugute kam, mit denen Mozart seine früheren, im Ganzen eher konventionellen Symponien bereichert hat. Hartmut Rohde, der mit dem Taktstock ebenso gut umgehen kann wie mit der Bratsche, dirigierte mit viel Fingerspitzengefühl für diese Details, aber auch mit schwungvoller Musikalität, so dass schon die kleine, unscheinbare KV 124 viel Spaß machte.

Solche Musik scheint den litauische Komponisten Arvydas Malcys (geb. 1957) inspiriert zu haben, als er sein "Milky Way" komponiert hat, das er "so leicht und nonchalant wie ein Werk Mozarts machen wollte." Tatsächlich perlte dieses rhythmisch fein ausgearbeitete Stück so belebend, dass der Pausensekt schal dagegen war. Allerdings erscheint Malcys' Mozartbild etwas einseitig: Denn da ist ja auch die berühmte g-Moll-Symphonie KV 183, ein dunkler Sturm der Gefühle, voller Schrecken, Trauer und Schmerz. Nur wenige Lichtblicke hellen das Moll auf, es ist Extremmusik, die an Kühnheit, Ausdruck und schierer Wucht alle anderen Moll-Symphonien der damaligen Zeit toppt. Rohde überreizte die Extreme nicht, setzte eher auf die inneren Kräfte des Werkes, wiederum auf Details, auf eine differenzierte Klangregie, wobei die Celli statt der eingesparten Fagotte dem Andante eine besondere Farbe gaben.

Gegen diese Musik ist das Viola-Konzert von Franz Anton Hoffmeister, Freund und Verleger Mozarts, nun wirklich harmlos. Es ist einem älteren, gefälligeren Musikideal verpflichtet. Aber an ihm klebt der Angstschweiß angehender Orchestermusiker, die damit immer zum Vorspiel antreten müssen. So ist dieses Werk unter Bratschern bestens bekannt. Roland Glassl hat es künstlerisch souverän durchdrungen und bietet eine markante Interpretation, die auch den Skeptiker für Hoffmeister einnimmt. Jede noch so unscheinbare Tongruppe war aussagekräftig gestaltet, im reichen, wandlungsfähigen Klang des Instruments "sprach" sich eine große Stimme aus. Das galt vor allem für das empfindsame, tief elegische d-Moll-Adagio, dem Glassl ein edles, herzbewegendes Pathos gibt. Noch schöner begann die ebenfalls sehr bekannte Viola-Fantasie von Mozarts Schüler Johann Nepomuk Hummel: Romantischer Belcanto reinsten Wassers, weich und warm zum Dahinschmelzen, von innen her leuchtend, wie dunkle durchgeglühte Kohlen.

Im Kontrast dazu die Arie des Don Ottavio aus "Don Giovanni": graziös, gewählt, geziert, auch glänzend in jenes ironische Licht gesetzt, das Mozart wollte. Da ließ man sich gerne zu vielen "Bravi" und langem Applaus hinreißen und bekam dafür noch jene überraschende Zugabe für zwei Bratschen: Das letzte von Béla Bartóks 44 Duos, einen siebenbürgischen Tanz, in dem vor allem Rohde ein so authentisches Musikantengefiedel anstimmte, dass das passende Lagerfeuer fast zu schnuppern war.

Jörg Handstein