Fragen nach einem menschlichen Leben

Beim Hallertauer Debütpreis gewinnt Juan S. Guse mit seinem Roman "Lärm und Wälder"

27.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:45 Uhr

Juan S. Guse nach seiner Lesung am Freitagabend. - Foto: Frye-Weber

Pfaffenhofen (DK) Juan S. Guse heißt der Gewinner des Hallertauer Debütpreises 2015. Der in Hannover Studierende setzte sich am Freitag in der Pfaffenhofener Kulturhalle mit seinem Roman „Lärm und Wälder“ (Fischer-Verlag) gegen Stefan Etgeton („Rucksackkometen“, C.H. Beck) und Kat Kaufmann („Superposition“, Hoffmann und Campe) durch.

Zum fünften Mal hatten Publikum und Jury die Reihenfolge der drei zuvor aus Einsendungen von Debüts der Herbstproduktion ausgewählten Kandidaten nach deren je 15-minütigen Lesungen bestimmt. Alle drei Romane zeichneten sich durch ihr Bewusstsein für die Gegenwart aus, spielten sprachlich mit der Lust an Lebens-Möglichkeiten, sagte Literaturkritiker Nico Bleutge, der den Abend für den Neuen Pfaffenhofener Kunstverein moderierte.

In „Lärm und Wälder“ verknüpft der 1989 in Seligenstadt und derzeit an der Leibniz-Universität Hannover Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Soziologie studierende Guse zwei sehr verschiedene Lebensansätze: Er erzählt von Menschen in einer „Gated Community“ vor den Toren Buenos Aires’ und vom abgeschiedenen Leben in den Anden, dem Versuch, jenseits der Zivilisation möglichst autark zu sein. Guse, Sohn einer Argentinierin und eines Deutschen, konnte die von ihm geschilderten Lebensentwürfe in Lateinamerika beobachten. Dabei sind die Verhaltensmuster seiner Romanfiguren, Kontrolle über ihr Leben zu erlangen, um in gesichertem Wohlstand und in Beziehungen zu leben, paradigmatisch für das, was derzeit in Europa geschieht. Mit Zäunen, Eingangskontrollen, bewaffneten Reiterpatrouillen schützt sich die Community vor Übergriffen der verelendeten Stadtbevölkerung jenseits der Mauern. Drinnen baut Familienvater Hector einen Bunker, wohin seine Familie, Ehefrau Pelusa, die Söhne Ignacio und Henny, flüchten soll, wenn die Gemeinschaft die Mauern nicht mehr halten kann. Pelusa sucht den Schutz einer evangelischen Freikirche. Sohn Henny betreibt Tierexperimente, glaubt, dass am Ende nur das Leben im All eine Zuflucht bietet. Der Ich-Erzähler in den Anden umzäunt sein Grundstück, um als Selbstversorger den Bedrohungen der Zivilisation zu entkommen. Verbunden sind sie durch Pelusa, die einst in den Anden lebte, dort mit Literatur die Verbindung zur Zivilisation hielt.

Guses Schreiben ist nicht allein Ausfluss der Reflexion über die Gegenwart, sondern verbunden mit Lektüre: „Heinrich von Kleist sinniert in einem Brief 1801 darüber, ob es nicht besser wäre, als Bauer autark zu leben“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Es sei eine absurde Idee, auf diese Weise Freiheit zu suchen, der Mensch sei ein soziales Wesen. Guse selbst strebt nicht den Beruf des Schriftstellers unmittelbar an. „Ich will mir die Freiheit erhalten, nicht von der Literatur leben zu müssen.“

Um die Idee von Freiheit und Beziehung geht es auch bei Stefan F. Etgetons „Rucksackkometen“, einem Roadmovie zweier junger Männer durch Europa und Begegnungen mit Menschen Ost- und Südosteuropas. Die Idee und das Ziel, die Akropolis zu zerstören, soll Platz schaffen für eine neue Hochkultur, die statt auf Regeln und Verbote auf Gefühle und Menschlichkeit setzt. Der 1988 geborene Etgeton hat seinen Roman nach der Promotion in Volkswirtschaftslehre geschrieben.

Die 1981 in St. Petersburg geborene und in Berlin als Schriftstellerin und Komponistin lebende Kat Kaufmann verknüpft in „Superposition“, der Geschichte der Jazzpianistin Izy Lewin, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Kaufmann fragt, ob das Ich sich weigern könne, familiäres und kulturelles Erbe abzulehnen, um etwas Neues zu entwickeln. Ihr Roman ist für den ZDF-aspekte-Literaturpreis nominiert.

Der Hallertauer Debütpreis wird von der Hallertauer Volksbank mit insgesamt 3000 Euro dotiert und will junge Literatur fördern und ihr Aufmerksamkeit verschaffen.