Ingolstadt
Eindringliche Expressivität

Violinist Gidon Kremer und sein Ensemble berühren mit Werken von Weinberg und Chopin beim Kammermusik-Abend im Audi Museum mobile

14.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:46 Uhr
Ergreifend virtuos loteten Gidon Kremer, Yulianna Avdeeva und Giedré Dirvanauskaité (rechts) Werke Weinbergs und Chopins aus. −Foto: Audi

Ingolstadt (DK) Obwohl er zunächst von Prokofjew und später von Schostakowitsch beeinflusst war, entwickelte er unverkennbar eine ganz eigene Sprache.

Da gibt es Momente in seinen Werken, die eine immense Brüchigkeit offenbaren, oder solche, in denen es ganz still wird. Der intime Rückzug in sich selbst ist es unter anderem, was die Musik von Mieczys? aw Weinberg so einzigartig macht. Verständlich wird das anhand seiner Biografie: Das Leben des polnisch-sowjetischen Komponisten mit jüdischen Wurzeln verlief ebenso leidvoll wie tragisch. Vor dem NS-Regime floh er aus Warschau nach Russland, wurde unter Stalin inhaftiert und nur durch dessen Tod gerettet. Sämtliche Familienmitglieder verlor Weinberg in Konzentrationslagern.

All diese traumatischen Erfahrungen stecken in seinem hochemotionalen ?uvre, das tief in seine Seele blicken lässt. Seiner als Opfer des Holocaust ermordeten Mutter widmete er seine 6. Violinsonate, mit der der große Gidon Kremer und die mehrfach ausgezeichnete Pianistin Yulianna Avdeeva einen bis ins Mark erschütternden Kammermusik-Abend bei den Audi Sommerkonzerten im museum mobile eröffneten. Schon seit einigen Jahren ist es ein wesentlicher Verdienst des Ausnahmegeigers, dass Weinbergs ergreifende, aber vergessene Kompositionen wieder ihren Weg auf die Konzertpodien finden.

Bohrend, unerbittlich kreisend, setzt Kremer mit schmerzlichem Gesichtsausdruck die Prologtöne an, zieht sie mitten hinein in einen Strudel fast penetranter Klangwindungen. Ungeahnt schroff, eindringlich plastisch schraubt er die verstörenden Dissonanzen vorwärts, treibt sie mitunter bis zum Aufheulen. Dann wieder führt er schwebend vergehende, hauchzart verwehende Phrasen hinüber in melancholische, gleichsam unendliche Zeitlosigkeit. Avdeeva empfindet dies am Klavier kongenial nach, greift die harmonischen Weiten und dramatischen Entwicklungen bewegend auf. Wie im geisterhaften Spuk durchleben beide, an ihren Instrumenten entrückt dahingleitend, den "Traum einer Puppe", den sie an den Tasten zum Flirren und an den Saiten zum Flackern bringen. An Expressivität und Komplexität mit dem Schaffen Weinbergs vergleichbar ist das unkonventionelle, früh entstandene Trio seines polnischen Landsmanns Chopin, zu dem sich am Cello nun Giedré? Dirvanauskaité hinzugesellt.

In romantischer Sensibilität lässt die Formation ihr differenziertes Timbre zwar einerseits farbenreich und nuanciert strömen, lädt es andererseits mit erregender Impulsivität auf. Getragen vom unterschwelligen Feuer einer melancholischen Sehnsucht horchen die Musiker ineinander hinein, entwickeln daraus elegisch schwingende Vibrati und elegant-anmutige Tanzmelodien auf den Streichinstrumenten berauschen sie mit den leichtfüßig perlenden, sich in passionierter Virtuosität steigernden Fiorituren am Flügel zu einem mitreißend folkloristischen Finale.

Als krönender Abschluss folgt noch einmal Weinberg - diesmal sein Klaviertrio. Unglaublich, mit welch schneidender Wucht das Ensemble hier eine Energie freisetzt, der sich wohl niemand entziehen kann. Donnernd rau im Ansatz und Anschlag pulsiert da der rhythmische Drive, so dass man glaubt, die Welt geht zugrunde. Verzweifelt brechen sich hingetupfte und pochende Pizzicati Bahn, wachsen an zu einem wilden Höllenritt. Doch dieser aufgekratzt wühlende Totentanz währt nie allzu lang: Immer wieder verliert er sich in depressiv aufwallenden oder ersterbenden Linien, in kaum mehr hörbaren Spitzentönen, bevor er am Ende, überwältigt von beklemmend-düsterer Traurigkeit, fast lautlos verklingt. Erneut erweist sich Violinist Gidon Kremer bis in die kleinste Facette hinein als unangefochtener Großmeister seines Fachs, dem seine grandiosen Partnerinnen Giedré Dirvanauskaité am Cello und Yulianna Avdeeva am Klavier in nichts nachstehen.

Nach einem wie gelähmten Augenblick des Atem-Anhaltens wallen Bravo-Rufe und Begeisterungspfiffe im Audi Museum mobile auf - die erst recht kein Ende nehmen, als das großartige Trio die Zugabe gespielt hat: Den ihm eigens vom Ingolstädter Komponisten Igor Loboda frisch auf den Leib geschriebenen Tango "Carmen" mit flatterhaften Habanera-Motiven aus Bizets gleichnamiger Oper. Eine auch für die Musiker offensichtlich gelungene Überraschung.

 

Heike Haberl