Augsburg
Ein kompliziertes Machtspiel

Das Theater Augsburg bringt David Mamets "Oleanna" im Universitäts-Hörsaal auf die Bühne

20.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:41 Uhr
Inszenierung mit Mitteln des epischen Theaters: Katja Sieder spielt in Mamets "Oleanna". −Foto: Fuhr

Augsburg (DK) #MeToo natürlich auch im Theater. Die Gesellschaft richtet seit Jahren das Auge ganz besonders auf das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen, auf Diskriminierung, auf sexuelle Belästigungen und Übergriffe. Das Gender-Thema ist allgegenwärtig, #MeToo hat das noch verstärkt. Wer aber unterstellt, mit David Mamets "Oleanna" springe das Theater Augsburg wohlfeil auf die aktuelle Diskussion auf, greift zu kurz. So einfach ist das nicht.

Das Stück stammt aus dem Jahr 1992, also einer Zeit, als political correctness in den gesellschaftlichen und politischen Diskursen die Rolle von #MeToo heute spielte - wobei beides viel miteinander zu tun hat. Entscheidender ist aber, dass es Mamet in seinem Stück um Grundsätzlicheres geht.

Dabei beginnt das, was Axel Sichrovsky im Hörsaal 2 der Uni Augsburg inszeniert, als eine konventionelle Campus-Geschichte. Studentin Carol ist verzweifelt, versteht nichts, und möchte wissen, wie sie bessere Noten bekommen kann. Der Professor John will ihr helfen, bietet an, den Stoff mit ihr nochmal durchzugehen - privat. Katja Sieder zeigt uns da eine naive, biedere, unbeholfene, aber ambitionierte Studentin, Andrej Kaminsky einen Professor, der verständnisvoll scheint, mit nicht unsympathischer kritischer Distanz zu Bildung, ihren Institutionen und dem System, das ihn nach oben gebracht hat. Er plaudert bereitwillig über Privates, das neue Haus, das er mit seiner Frau kaufen möchte, die Hoffnung auf eine lebenslange Professur.

Im zweiten Akt haben sich die Vorzeichen geändert: Carol hat sich bei der Berufungskommission beschwert, sie wirft John Arroganz, sexuelle Belästigung und Diskriminierung, später sogar versuchte Vergewaltigung vor. Sieder und Kaminsky sitzen sich gegenüber, ihre Gesichter werden per Video auf Leinwände übertragen, die Konfrontation wird offensichtlich. Die schüchterne Carol erläutert immer eloquenter ihre Anklage, während der Zuschauer zunächst so konsterniert ist wie John. Da war doch nichts. Oder? War da wirklich nichts? Keine Anzüglichkeiten in den Bemerkungen? Keine Herablassung gegenüber Studenten, die viel aufgewendet haben, um an der Bildung teilzuhaben, die der etablierte Professor so selbstgefällig infrage stellt? Alles nur überzogen und radikaler Feminismus, hysterischer Gender-Talk? Carol spricht da längst im Namen "der Studentenschaft", und sie sagt das Wort so wie Populisten "das Volk" sagen.

Beide Schauspieler haben ihre Kleidung abgestreift und sitzen sich in schwarzen Suits gegenüber. Die äußeren Zeichen der sozialen Unterschiede und der Hierarchie fehlen, die Grenzen verschwimmen. Wer steht für was, wessen Motive sind lauter und wessen unlauter? Ganz am Anfang kamen der Professor und die Studentin stockend und stammelnd kaum ins Gespräch, und auch wenn sie später rhetorisch glänzen, ist ihr Problem miteinander im Grunde ein einziges Kommunikationsproblem. Die Machtspiele sind eigentlich Sprachspiele, Kämpfe um die Interpretation und die Zuschreibung von Bedeutung, die Deutung des Geschehenen, die bestimmt ist vom subjektiven Gefängnis, in dem jede Weltsicht steckt.

David Mamet verweigert die Fragen nach Schuld und Verantwortung, schlägt sich auf keine Seite, und die Augsburger Inszenierung verstärkt das noch. Im dritten Teil arbeitet sie mit Mitteln des epischen Theaters, die Regieanweisungen werden mitgesprochen, das Publikum befragt. Es stimmt darüber ab, ob John geflirtet hat, ob eine Bemerkung Carols sexuell diskriminierend war. Sichrovsky zieht Meta-Ebenen ein, lässt die beiden über ihre Figuren und das Theater diskutieren, vor allem Katja Sieder löst die Konturen ihrer Figur grandios immer mehr auf, springt zwischen den Perspektiven hin und her, entzieht jedem Standpunkt, jeder Haltung, die der Zuschauer auch immer einnimmt, den Boden, während Kaminksy seiner Figur zunächst alle Souveränität nimmt, sich entblößt - im übertragenen wie im konkreten Sinn -, sie zu einer traurigen Gestalt macht, um ganz zum Schluss, als die Studenten fordern, sein Buch zu verbieten, seine Würde wieder gewinnt, sie vielleicht zum ersten Mal entdeckt.

Die Dynamik des Stücks lässt kein anderes Ende als ein katastrophales zu: Das Leben und die Karriere von John sind zerstört, da lässt er sich zu der Gewalt hinreißen, die ihm Carol die ganze Zeit vorwirft.

Eindeutig ist aber bis zum Ende nichts, noch während des Schlussapplaus wird das Spiel mit Rollen und Rollenzuschreibungen ironisch weitergeführt, keine Antwort gegeben, alles infrage gestellt. "Oleanna" mutet einer Zeit, die so gerne einfache Antworten hat, so gerne schnell urteilt und Schwarz-Weiß-Denken liebt, Mehrdeutigkeiten zu und verweigert jedes Urteil. Es ist eben alles immer komplizierter, und auch auf die Gefahr hin, sich weiter misszuverstehen, gibt es eben keine andere Möglichkeit, als darüber zu reden und sich der Komplexität auszusetzen. Komplexität, Mehrdeutigkeit, Offenheit: Das alles mögen immer mehr Menschen als Zumutung empfinden. Mit zwei so hervorragenden Schauspielern ist das aber ein Vergnügen.

ZUM STÜCK
Theater:

Theater Augsburg,

Universität, Hörsaal II

Regisseur:

Axel Sichrovsky

Bühne und Kostüme:

Jan Steigert

Schauspieler:

Andrej Kaminsky,

Katja Sieder

läuft bis:

15. Februar

Kartentelefon:

(0821) 3244900.

Berndt Herrmann