"Vergesst mir die kleinen Leute nicht"

Horst Seehofer hat seinen Platz an der CSU-Spitze geräumt

20.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:41 Uhr
3739 Tage war Horst Seehofer CSU-Chef. Am Samstag wurde er nun zum Ehrenvorsitzenden gewählt. −Foto: Hase/dpa

Jetzt ist es amtlich: Nach mehr als zehn Jahren an der CSU-Spitze hat Horst Seehofer am Samstag seinen Platz geräumt. Ab sofort lastet alle Verantwortung auf dessen langjährigem Kontrahenten Markus Söder.

München (DK) Warum nur hat sich Horst Seehofer von den beiden schönsten Ämtern der Welt, dem des bayerischen Ministerpräsidenten und dem des Vorsitzenden der CSU, verabschiedet? Er selbst hat das nicht gewollt, und daraus macht er auch keinen Hehl. Im DONAUKURIER habe er sein Horoskop gelesen - Seehofer ist Krebs - und da habe gestanden: "Sie verlieren keinesfalls Ihr Gesicht, wenn Sie eine getroffene Entscheidung revidieren." Schallendes Lachen bei denen im Saal, die Seehofers Witz sofort verstanden haben, kurzes Unwohlsein bei denen, die jahrelang mit Seehofers Finten, Winkelzügen und Drehereien unmittelbar zu tun hatten.

"Vor 15 Jahren hätte ich das als Auftrag empfunden. Heute fehlt mir dafür die Risikobereitschaft", kokettiert der Ingolstädter auf offener Bühne mit dem Gedanken, es nochmal wissen zu wollen, als CSU-Chef doch nicht zurückzutreten, weiterzumachen statt das Amt des Parteivorsitzenden, wie er es nennt, "in die Hände meiner Partei zurück zu geben".

Und in der Tat konnte man während der anderthalbstündigen Abschiedsfeierlichkeiten während des CSU-Parteitages in der kleinen Olympiahalle in München den Eindruck gewinnen, auch die CSU bedauere in allerhöchstem Maße, dass sie in Zukunft ohne ihren Horst auskommen muss, sozusagen sich alleine überlassen in einer auch für die alte, große und traditionsreiche CSU immer dunkler werdenden Politikwelt. Mehr als ein Dutzend Mal schallte bisweilen ganz kehlig das Wort "Danke" während Horst Seehofers Abdankungsfeierlichkeiten vom Rednerpult, viel war von "Lebensleistung" die Rede und davon, wie verdient er sich um die Partei gemacht habe. Ein Delegierter zog im Auditorium unentwegt seine Kreise, ein Schild "Danke, Horst", emporreckend.

Ein paar Weisheiten und Einsichten gab der Scheidende seiner Partei noch mit. Dass er von den 72 Jahren, die es die CSU nun gebe, zwei Drittel in vorderer oder vorderster Position zugebracht habe, dass es zur Ehrlichkeit gehöre, hier auch mal zu sagen, dass er schon "viel geschluckt" und "nie darüber geredet" habe, und schließlich auch noch den Auftrag, "vergesst mir die kleinen Leute nicht".

Jedenfalls schlug er dem CSU-Parteitag noch Markus Söder als seinen Nachfolger vor. Und mit den Worten "Mein Werk ist getan, macht es gut", verabschiedet er sich schließlich. Es folgten ein paar Minuten stehenden Ovationen - und man hätte, wenn man die Situation betrachtet, durchaus zur Frage kommen können: Warum geht er eigentlich?

Auf Vorschlag Söders wird Seehofer am Ende zum Ehrenvorsitzenden gewählt - dem dritten nach Edmund Stoiber und Theo Waigel. Dass Seehofer der neuen Generation an der Parteispitze nun angeblich eine "bärenstarke" CSU übergibt, geht in einer gewissen Nostalgie unter. Mit 43,4 Prozent hatte Seehofer sie vom damaligen Ministerpräsidenten Günther Beckstein und dem damaligen CSU-Chef Erwin Huber übernommen, nach 3739 Tagen im Amt mit 37,2 Prozent bei der letzten Landtagswahl abgegeben. "Offensichtlich kommt es beim Ehrenvorsitz nicht darauf an, die CSU mit einem guten Ergebnis zu übergeben, sondern sie lange geführt zu haben", lästert einer. Ein alter CSU-Fahrensmann kommentiert gleichermaßen trocken wie spöttisch, er wünsche Markus Söder viel Spaß mit gleich drei Ehrenvorsitzenden - schließlich könne schon einer alleine die Hölle sein, "aber jeder Parteivorsitzende ist geschlagen mit drei Ehrenvorsitzenden".

Redete man mit ein paar von den offiziell anwesenden 852 Delegierten, bekam man etwas zu hören, das die Lücke zwischen der auf der Parteitagsbühne dargebotenen Abschiedsshow und der Parteirealität offenbarte. Also, warum geht Seehofer eigentlich? "Weil wir mit ihm keine Wahlen mehr gewinnen", sagt einer. "Wegen der Merkel und dem ganzen Streit", ein anderer. "Weil der schon fast 70 ist, irgendwann ist auch mal Schluss". "Heute so, morgen so - das geht so nicht mehr weiter."

Dass die Leute auch gerade deshalb gekommen waren, den Übergang von Seehofer zu Söder zu organisieren, aber nicht, um jetzt noch große programmatische Detailarbeit zu leisten, zeigte sich daran, dass CSU-Generalsekretär Markus Blume am Samstagnachmittag den Parteitag auflösen musste, weil, nachdem sich mehr als die Hälfte der Delegierten von den Socken gemacht hat, keine Beschlussfähigkeit mehr vorhanden war - zu viele waren nach Seehofers Abgesang und Söders Wahl einfach gegangen.

Immerhin wurde zuvor noch der Antrag, dass sich die CSU eine Erneuerung wünsche, verabschiedet: Bis zum Herbst soll es eine Parteireform geben. Generalsekretär Markus Blume soll mit einer Kommission Vorschläge erarbeiten, wie die CSU jünger, weiblicher, moderner und dynamischer werden kann. Ebenfalls verabschiedet wurde ein Antrag, wonach die Kanzler-Amtszeit auf drei Perioden begrenzt werden soll. Und natürlich war Markus Söder zum neuen CSU-Chef gewählt worden - mit 87,4 Prozent der Stimmen. Damit war er hinter den Erwartungen vieler Parteifreunde zurückgeblieben. "Das ist ein ehrliches Ergebnis", analysiert einer, der lange dabei ist. "Markus Söder hat noch ein Defizit an Glaubwürdigkeit. Er muss erst liefern." Zugleich sei es gut, "wenn jetzt jeder hier spürt, dass wir nicht so weitermachen können wie die letzten Jahre. Die CSU steht an einem Scheidepunkt - große Partei oder Volkspartei."

Theo Waigel, einer der Ehrenvorsitzenden, befindet, Söder "verdient unsere Unterstützung - und er braucht sie". Es sei notwendig, dass er sich als Vorsitzender möglichst breit aufstelle und möglichst viele einbeziehe. Letzteres nicht getan zu haben, sei "eine der kleinen, liebenswürdigen Schwächen" seines Vorgängers Seehofer gewesen. Zudem riet Waigel, Söder müsse als CSU-Chef mindestens alle zwei Jahre mal nach Washington reisen - "oder zumindest öfter als nach Moskau". Eine zweite Harke gegen Seehofer, der in seiner gesamten Zeit als Parteichef und bayerischer Ministerpräsident zwar mehrmals nach Russland, aber kein einziges Mal in die USA gereist war.

Söder hatte in seiner Bewerbungsrede die CSU als "Lordsiegelbewahrer der bayerischen Interessen" bezeichnet. Das Ergebnis von 37 Prozent bei der letzten Landtagswahl sei "für unsere Maßstäbe nicht ausreichend", aber der Wähler habe damit auch klar gemacht, dass er nicht wolle, dass gegen die CSU regiert werde. Damit hätten die Wähler der CSU "eine zweite Chance gegeben. Ich glaube, die sollten wir nutzen." Die CSU solle nicht dem Zeitgeist hinterherlaufen, sondern ihn prägen. Die Zeiten von "höher, weiter, schneller" seien vorbei - es gehe um Qualität.

Besonders viel Applaus gab es für Söder, als er sich mit den Grünen auseinandersetzte (die sieche SPD kam indes kaum mehr in seiner Rede vor), man müsse sie viel stärker hinterfragen. "Wir dürfen die Doppelmoral der Grünen nicht mehr durchgehen lassen." Heftige Kritik übte Söder zudem an der AfD. Wie bei den CSU-Klausuren in Kloster Seeon und Kloster Banz rief er dazu auf, die AfD zu demaskieren.

Seine Aufgabe als Parteichef, so Söder in seiner Bewerbungsrede, sei, "aus großartigen Solisten ein noch besseres Orchester zu machen", er wolle "mit Herz, Leidenschaft und Verstand für diese Partei arbeiten". Zwei klare Positionierungen gab es auf dem Parteitag auch noch. Erstens: Mit einem Gastauftritt der neuen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sollte klargemacht werden, dass die Union nach Jahren des Streits wieder funktioniert. "Es ist Zeit für eine gemeinsame neue Stärke von CDU und CSU in Deutschland", sagte Söder und kündigte "ein neues Kapitel der Zusammenarbeit" an.

Kramp-Karrenbauer versicherte: "Wir sind, wir waren und wir bleiben eine politische Familie." Zweite klare Positionierung: Zusammen mit dem Spitzenkandidaten der CSU, CDU und der europäischen Volksparteien für die Europawahl, dem CSU-Europaparlamentarier Manfred Weber, stellte Söder klar, dass die CSU eine europafreundliche Partei ist. Angesichts der spalterischen Tendenzen in vielen Ländern Europas und der Ankündigung der AfD, für einen Austritt Deutschlands aus der EU zu kämpfen, kündigte Söder an, die CSU werde sich mit all ihrer Kraft gegen einen "Rückfall in urnationalistische Zeiten" stemmen.

Alexander Kain