Ein echter Pollesch

"Passing - It's so easy, was schwer zu machen ist" an den Kammerspielen

02.03.2020 | Stand 23.09.2023, 10:59 Uhr
Barbara Reitter-Welter
Die Spinne ist allgegenwärtig: Damian Rebgetz und Benjamin Radjaipour. −Foto: Aurin

München - Die Spinne ist real: ein technisches Meisterwerk der Bühnenbildnerin Nina von Menchow und der Hingucker der Uraufführung an den Kammerspielen.

 

Wie ein Riesenmonster schwebt sie einem Ufo gleich vom Bühnenhimmel in die Endzeit-Landschaft von Desert Rock, bewegt die Beine und beherbergt in ihrem Bauch immer wieder einige Schauspieler. Spinnen bringen im Volksmund Glück oder Unglück, je nach Tageszeit, die Phobie vor den Tieren ist weit verbreitet. Doch spätestens seit die Künstlerin Louise Bourgeois ihre Hyper-Spinnen-Skulpturen als Mutter-Symbole verkauft, ist der Psychogehalt offenkundig.

Jetzt hat Theatermann René Pollesch, der designierte Intendant der Berliner Volksbühne, eine Spinne ins Zentrum seines neuesten Theaterspektakels gestellt, das an den Kammerspielen unter dem kryptischen Titel "Passing - It's so easy, was schwer zu machen ist" Premiere hatte. Ein echter Pollesch, der stets in Personalunion Autor und Regisseur ist, der nicht nur souverän mit der Sprache spielt, sondern auch sämtliche Mittel aus der Theater-Trickkiste beherrscht. Eine logische Handlung - Fehlanzeige. Stringente Dialoge - nicht vorhanden. Texte - manchmal so absurd, dass man sich gar nicht um Verständnis bemühen muss. Stattdessen: intelligenter Trash mit Anarcho-Qualitäten im Stil von Übervater Frank Castorf, in einer Multimedia-Show mit hohem Unterhaltungswert.

Sechs Schauspieler, abenteuerlich kostümiert, spinnen am "Webstuhl der Geschichte" als "Die glorreichen Sieben" ihre Geschichten. Im intellektuellen Wortgeschwurbel geht es um Kapitalismuskritik ("Kapitalismus greift alle Utopien ab"), aber auch um die Selbstreflexion des Theaters ("Das Theater ist tot, nicht das Regietheater - wir suchen das proletarische Theater") und eine Hommage an Bertolt Brecht ("Und jetzt das Lied vom Imperativ! "). Doch Polleschs Umgang mit der Sprache ist höchst vergnüglich, gelingt ihm doch der ständige Wechsel zwischen banalen Statements und klugen Sentenzen zu Kultur und Politik. Dazu kommen köstlichen Wortspielereien, denn seine Darsteller gründeln dem Doppelsinn der Worte nach, etwa dem "Passing" im Titel, was auch mal zum Stadtteil "Pasing" wird oder dem Begriff "fertig" in seinen vielfachen Bedeutungen.

"Fertig" steht statt "Ende" nach dem Filmabspann und animiert zu absurden Interpretationen. Denn Polleschs Inszenierung ist auch eine Parodie auf amerikanische B-Movies, vom Wild West Heroismus bis zum Horror mit der schwarzen Monsterspinne. Während Filmsequenzen mit dem entsprechenden Sound eingespielt werden, agieren die Darsteller - darunter als einzige Frau die hinreißende Kathrin Angerer aus Berlin, die eine Kunstfigur zwischen naivem Weibchen und Spinnerei-Boss gibt - mal im Video, dann wieder zwischen den Plastikfelsen von Desert Rock.

DK


ZUM STÜCK
Theater:
Münchner Kammerspiele
Regisseur:
René Pollesch
Video:
Amon Ritz, Ute Schall
Bühne und Kostüme:
Nina von Mechow
Nächste Vorstellungen:
7., 24., 30. März
Kartentelefon:
(089) 233966 00

 

Barbara Reitter-Welter