Kunstdiskurse und Hasstiraden

Hinreißend: Thomas Bernhards "Alte Meister" im Münchner Teamtheater

02.03.2020 | Stand 02.12.2020, 11:50 Uhr
Musikkritiker Reger (Titus Horst) sitzt seit 30 Jahren fast täglich vor einem Tintoretto im Kunsthistorischen Museum. −Foto: Theater Plan B

München - Da sitzen die beiden Kunstliebhaber Atzbacher und Reger auf einer abgewetzten Bank gegenüber von Tintorettos Gemälde "Weißbärtiger Mann" im Wiener Kunsthistorischen Museum.

 

Jeden zweiten Tag treffen sie sich hier im Bordone-Saal, freilich weniger um auf das Gemälde zu starren, als vielmehr über den Weltenlauf im Allgemeinen und die menschlichen Abgründe im Besonderen sich auszutauschen. Doch anstatt ernsthaft zu diskutieren, schwadronieren sie lieber und palavern auch über die Bedeutung, vor allem jedoch über die Missachtung von bildender Kunst, Musik und Literatur in Österreich.

Atzbacher (Martin Hofer) ist der intellektuelle Schöngeist, Reger (Titus Horst) der introvertierte Kauz, der gerne zu hypochondrischen Anfällen neigt. Ein Wiener Misanthropen-Duo, dem Thomas Bernhard in seinem als Komödie bezeichneten Roman vom Jahre 1985 beinahe schon kabarettistische Züge verlieh. Im schönsten, schier nicht enden wollenden Grantler-Stakkato steigern sie sich mit furiosem Crescendo in Hasstiraden hinein, bei denen der Wiener Schmäh stets auch durchschimmert. Die Kulturlosigkeit Österreichs wird dabei in all ihren Facetten beleuchtet. Über "die Vernichtung der Kunst und der Künstler" - vor allem der reichlich vorhandenen Genies - durch die nicht-existente Kulturpolitik räsonieren sie ebenso unermüdlich wie sie wortgewaltig und voller Sarkasmus die Verschwendung von Steuergeldern für nichtsnutzige Repräsentationsausgaben anprangern.

Und schon einmal in köstlicher Raunzer-Fahrt ereifern sie sich nicht nur über die Zustände in den Toiletten des Kunsthistorischen Museums, der weltweit bekannten Wiener Caféhäuser und des Musikvereins, sondern auch über die inkompetenten Zeichenlehrer, die ihren Schülern beim Museumsbesuch jegliches Verständnis für die Kunst austreiben. Von den deutschen Touris ganz zu schweigen, die die Gemälde lieber im Katalog anschauen anstatt die Originale zu bewundern.

Herrlich bärbeißig hat Thomas Bernhard hier seiner misanthropischen Suada Lauf gelassen, die der Regisseur Andreas Wiedermann mit musikalischen Einsprengseln von Beethoven, Richard Wagner, Anton Bruckner, Gustav Mahler, Johann Strauss und anderen "alten Meistern" aufgelockert hat. Und zu den köstlichen Ping-Pong-Tiraden von Atzbacher und Reger darf Evelyn Plank als Museumswärterin gelangweilt durch den Bordone-Saal schlurfen, den Redefluss der beiden Fabulierer mit stummem Unverständnis begleiten und den Kaugummi von einem der Kunstbanausenbesucher vom Boden kratzen. Doch der ultimative Gag dieser Inszenierung liegt darin, dass Tintorettos "Weißbärtiger Mann", der eigentlich das Anschauungsobjekt und die Diskussionsgrundlage der beiden selbst ernannten Sachverständigen für Kunst und Leben ist, hier durch ein schwarz gerahmtes Blatt ersetzt ist. Kurzum: Eine hinreißend skurrile Aufführung. Für eingefleischte Thomas-Bernhard-Fans ein Muss.

DK


ZUM STÜCK
Theater:
Teamtheater München
Regisseur:
Andreas Wiedermann
Dauer:
90 Minuten ohne Pause
Nächste Vorstellungen:
6. und 7. März
Kartentelefon:
(089) 2604333